kommentiere ihn und ziehe meine Schlussfolgerungen. Dann werde ich meinen Zeugen fur diesen Anklagepunkt aufrufen und befragen. Im Anschluss daran erhaltst du, Hortensius, Gelegenheit fur Kommentar und Kreuzverhor. Auf diese Weise werde ich den Fall binnen zehn Tagen abhandeln.«

Mein Leben lang habe ich nicht vergessen - und werde es auch fur die kurze mir noch verbleibende Spanne meines Lebens nicht vergessen -, wie Hortensius, Verres, Metellus und Scipio Nasica auf diese Worte reagierten. Naturlich war Hortensius sofort auf den Beinen und erklarte dieses mit jeder Tradition brechende Vorgehen fur in jeder Hinsicht illegal. Glabrio hatte nur daraufgewartet und wies Hortensius barsch zurecht, dass es allein Ciceros Sache sei, wie er seinen Fall vortrage; au?erdem habe er schon an gleicher Stelle vor den Konsulatswahlen deutlich gemacht, dass er die endlosen Reden satthabe. Auf diese Bemerkung, die sich Glabrio offensichtlich schon im Vorhinein zurechtgelegt hatte, sprang Hortensius wieder auf und beschuldigte ihn geheimer Absprachen mit der Anklagevertretung. Worauf Glabrio, den als reizbaren Charakter zu beschreiben wohlwollend gewesen ware, ihm schroff riet, er moge seine Zunge im Zaum halten, sonst lie?e er ihn -designierter Konsul hin oder her - von seinen Liktoren aus dem Gericht entfernen. Hortensius setzte sich, verschrankte die Arme und schaute wutend auf den Boden, wahrend Cicero sich wieder den Geschworenen zuwandte und seine einleitende Rede beendete.

»Auf uns schauen heute die Augen der Welt und wachen daruber, ob jeder Einzelne von uns sich so verhalt, wie sein Gewissen und das Gesetz es befehlen. So wie ihr uber den Angeklagten zu Gericht sitzt, so sitzt das Volk von Rom uber euch zu Gericht. Weil alle Welt wei?, dass Verres sich durch nichts auszeichnet als durch seine monstrosen Verbrechen und seinen gewaltigen Reichtum, entscheidet dieser Fall daruber, ob es moglich ist, dass ein aus Senatoren zusammengesetztes Gericht einen bis ins Mark schuldigen, aber auch steinreichen Mann verurteilen kann. Und deshalb konnten die Schlussfolgerungen, die aus einem Freispruch zu ziehen waren, nur die beschamendsten sein. Deshalb rate ich euch, ehrenwerte Pachter, es schon aus eigenem Interesse nicht dazu kommen zu lassen.« Nach diesen Worten wandte er den Geschworenen den Rucken zu. »Ich rufe meinen ersten Zeugen auf: Sthenius aus Thermae.«

Ich mochte stark bezweifeln, dass auch nur einer der Aristokraten auf der Geschworenenbank - ob Catulus, Isauricus, Metellus, Catilina, Lucretius, Aemilius oder einer der anderen - sich jemals derart anma?ende Worte hatte anhoren mussen. Vor allem von einem homo novus, der in seinem Atrium nicht eine einzige Maske eines Vorfahren an der Wand hangen hatte. Wie gro? muss ihr Hass gewesen sein, dass sie einfach so dasitzen und das uber sich ergehen lassen mussten, und um wie viel gro?er muss er gewesen sein, als Cicero sich unter den geradezu ekstatischen Jubelsturmen der Menschen auf dem Forum wieder auf seinen Platz setzte. Hortensius konnte einem fast leidtun. Seine gesamte Karriere fu?te auf der Fahigkeit, gewaltige Reden auswendig zu lernen und dann mit dem selbstsicheren Gestus eines Schauspielers vortragen zu konnen. Und nun hatte man ihm per Gesetz den Mund gestopft; noch schlimmer: Er sah zehn langen Tagen entgegen, an denen er auf Ciceros Zeugenbefragungen mit vierzig oder funfzig Minireden wurde antworten mussen. Und auf diese war er nicht einmal im Ansatz ausreichend vorbereitet, was auf grausame Weise offenbar wurde, als Sthenius in den Zeugenstand trat. Als Zeichen des Respekts vor dem Urheber des wahnwitzigen Unternehmens hatte Cicero ihn als Ersten aufgerufen. Und der Sizilier lie? ihn nicht im Stich. Er hatte so lange auf seinen Tag gewartet, dass er jetzt das Beste aus sich herausholte und auf herzzerrei?ende Weise schilderte, wie Verres seine Gastfreundschaft missbraucht und ihn ausgeplundert hatte, wie er Anschuldigungen gegen ihn erfunden und ihn mit Strafen uberzogen hatte, wie er versucht hatte, ihn zu Tode peitschen zu lassen, wie er ihn in Abwesenheit zum Tode verurteilt und dann die Akten des Gerichts von Syrakus gefalscht hatte - Akten, die Cicero als Beweismittel prasentierte und auf der Geschworenenbank herumgehen lie?.

Als Glabrio Hortensius aufrief, den Zeugen ins Kreuzverhor zu nehmen, kam der »Tanzmeister« dieser Aufforderung verstandlicherweise nur zogernd nach. Die goldene Regel des Kreuzverhors ist namlich die, niemals, unter keinen Umstanden, eine Frage zu stellen, auf die der Fragende die Antwort nicht im Voraus kennt, und Hortensius hatte schlicht keine Ahnung, was Sthenius ihm antworten wurde. Er blatterte ratlos in seinen Unterlagen, besprach sich im Flusterton kurz mit Verres und ging dann zum Zeugenstand. Was sollte er tun? Nach ein paar ungeduldigen Fragen, die andeuten sollten, dass der Sizilier dem romischen Rechtssystem ganz generell feindlich gesinnt war, fragte er ihn, warum er angesichts der vielen infrage kommenden Anwalte direkt zu Cicero gegangen sei - einem Mann, dem man allgemein als Agitator fur die Interessen der unteren Schichten kenne. Offenbar habe er mit seinen Anschuldigungen von Anfang an nichts weiter im Sinn gehabt, als Unruhe zu stiften.

»Aber ich bin nicht direkt zu Cicero gegangen«, antwortete Sthenius auf seine unnachahmliche Art. »Der erste Rechtsanwalt, den ich aufgesucht habe, warst du.«

Sogar einige der Geschworenen konnten sich ein Lachen nicht verkneifen.

Hortensius schluckte und versuchte es ebenfalls auf die heitere Art. »Ach ja, wirklich? Ich kann mich gar nicht an dich erinnern.«

»Das wundert mich nicht im Geringsten. Du bist ein beschaftigter Mann, Senator. Dafur erinnere ich mich umso genauer. Du hast gesagt, dass du schon Verres' Vertretung ubernommen hattest. Und dass es dich nicht interessiere, wie viel er mir geraubt habe, kein Gericht wurde einem Sizilier glauben, wenn sein Wort gegen das eines Romers stunde.«

Hortensius musste sich mit seiner Antwort gedulden, bis die uber ihn hereinbrechenden Buhrufe und Pfiffe wieder verstummt waren. »Ich habe keine weiteren Fragen an den Zeugen«, sagte er mit verbissener Stimme, worauf die Verhandlung bis zum folgenden Tag unterbrochen wurde.

*

Ursprunglich hatte ich geplant, den Prozess gegen Gaius Verres in allen Einzelheiten zu schildern, sehe nun aber, da ich seinen Beginn zu Papier gebracht habe, keinen Sinn mehr darin. Nach Ciceros taktischem Geniestreich vom ersten Tag erschienen mir Verres und seine Anwalte wie die Opfer einer Belagerung: eingeschlossen in einer kleinen Festung, rundum von Feinden umgeben, tagtaglich unter Dauerbeschuss, die brockelnden Mauern von Tunneln untergraben. Sie verfugten uber keinerlei Waffen, um zuruckzuschlagen. Ihre einzige Hoffnung bestand darin, dem Ansturm der restlichen neun Tage irgendwie zu widerstehen und sich wahrend der folgenden, durch die Spiele des Pompeius erzwungenen Ruhephase wieder neu zu formieren. Ciceros Ziel lag ebenfalls klar auf der Hand: Verres' Verteidigung so vollkommen zu zerstoren, dass nach Darlegung des gesamten Falles kein noch so korrupter senatorischer Geschworener es wagen wurde, ihn freizusprechen.

Cicero nahm seine Mission mit der ihm eigenen Disziplin in Angriff. Die Mannschaft der Anklagevertretung kam jeden Morgen noch vor Sonnenaufgang zusammen. Wahrend Cicero seine Leibesubungen machte, sich rasierte und ankleidete, las ich ihm die Aussagen der fur den Tag vorgesehenen Zeugen vor und sah mit ihm die Beweismittel durch. Dann diktierte er mir in groben Zugen, was er vorzutragen gedachte. Die nachsten ein oder zwei Stunden ging er alle Punkte durch, legte sich dazu Anmerkungen zurecht und pragte sich diese genau ein, wahrend Quintus, Frugi und ich dafur zu sorgen hatten, dass alle seine Zeugen und alle Kisten mit den Beweisstucken abmarschbereit waren. Und dann paradierten wir den Hugel hinunter aufs Forum - und was fur Paraden das waren! In Rom herrschte namlich allgemein die Meinung, dass Ciceros Gerichtsvorstellung die beste Veranstaltung in der Stadt war. Am zweiten und dritten Tag war die Zuschauermenge so gro? wie am ersten, und die Auftritte der Zeugen, die bei der Schilderung ihrer Misshandlungen nicht selten in Tranen ausbrachen, waren oft herzzerrei?end. In besonders guter Erinnerung sind mir Dio aus Halaesa, den man um zehntausend Sesterzen betrogen hatte, und zwei Bruder aus Agyrium, die ihr gesamtes Erbe in Hohe von viertausend Sesterzen abliefern mussten. Es hatte noch mehr Zeugen gegeben, aber Lucius Metellus hatte einige von ihnen am Verlassen der Insel gehindert, darunter auch Heraclius aus Syrakus - ein Frevel an der Gerechtigkeit, den Cicero elegant in einen Vorteil verwandelte. »Unsere Verbundeten«, donnerte Cicero, »haben nicht einmal das Recht, wegen ihres erlittenen Unrechts Klage zu fuhren!« Erstaunlicherweise sagte Hortensius kein einziges Wort zu all den Anschuldigungen. Jedes Mal, wenn Cicero die Befragung eines Zeugen beendete, gab Glabrio dem Konig der Gerichtshofe Gelegenheit, den Zeugen ins Kreuzverhor zu nehmen, doch jedes Mal lehnte Ihre Majestat mit einem Kopfschutteln ab oder erklarte pompos: »Keine Fragen an den Zeugen.« Am vierten Tag stellte Verres den Antrag, aus Krankheitsgrunden vom Erscheinen vor Gericht befreit zu werden, was Glabrio jedoch strikt ablehnte. Falls notig, so Glabrio, werde man ihn samt seines Krankenlagers aufs Forum schaffen lassen.

Am Nachmittag des funften Tages kehrte Ciceros Vetter Lucius nach getaner Arbeit von Sizilien nach Rom zuruck. Als Cicero ihn nach Ende des Prozesstages in seinem Haus antraf, war er au?er sich vor Freude. Unter Tranen schloss er ihn in die Arme. Ohne Lucius, der permanent fur Nachschub an Zeugen und Beweismitteln von Sizilien aufs Festland gesorgt hatte, ware Ciceros Fall nicht halb so solide gewesen. Allerdings hatte die siebenmonatige Strapaze bei Lucius, der noch nie einer der Widerstandsfahigsten gewesen war, seine Spuren

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