Luft ein.
»Eins musst du mir versprechen«, sagte Lucius. »Solltest du jemals das
»Ich schwore es«, erwiderte Cicero. »Und versprich du mir, mein lieber Lucius, solltest du dich jemals fragen, warum rechtschaffene Manner der Philosophie entsagen und nach Macht in der realen Welt streben, dass du dich immer daran erinnern wirst, was du in den Steinbruchen von Syrakus gesehen hast.«
*
Zu dieser Zeit - es war spater Nachmittag, als wir die Steinbruche verlie?en - herrschte dank Ciceros Aktivitaten gro?e Aufregung in Syrakus. Die Menschenmenge, die uns den steilen Weg hinauf zum Gefangnis gefolgt war, nahm uns vor den Mauern von Epiolae wieder in Empfang. Sie war sogar noch gro?er geworden, da sich ihr einige der angesehensten Burger der Stadt angeschlossen hatten, darunder der Oberpriester des Jupiter, der eigens seine geweihte Robe angelegt hatte. Dieses hohe geistliche Amt, das traditionell dem ranghochsten Burger von Syrakus vorbehalten war, hatte zu jener Zeit niemand anderer als Ciceros Klient Heraclius inne, der aus eigenem Entschluss und unter betrachtlichem personlichem Risiko aus Rom angereist war, um uns zu unterstutzen. Er bat Cicero im Namen des stadtischen Senats, ihn umgehend in die Stadt zu begleiten, damit ihn die Honoratioren formlich willkommen hei?en konnten.
Cicero wusste nicht recht, was er tun sollte. Er hatte noch viel Arbeit in viel zu kurzer Zeit zu erledigen, und au?erdem verstie? es gegen das Protokoll, dass ein romischer Senator ohne die Erlaubnis des Statthalters vor einer ortlichen Kammer sprach. Andererseits eroffnete es ihm eine gute Moglichkeit, seine Nachforschungen voranzutreiben. Er zogerte kurz, erklarte sich dann einverstanden, und wenige Minuten spater marschierten wir mit unserer vielkopfigen Eskorte aus ergebenen Siziliern Richtung Stadt.
Die Senat war uberfullt. Unter einer vergoldeten Statue von Verres stand der ranghochste Senator, der ehrwurdige Diodorus, hie? Cicero in griechischer Sprache willkommen und entschuldigte sich dafur, dass sie ihm bislang noch keinen Beistand geleistet hatten: Bis zu den Ereignissen des heutigen Tages hatten sie nicht geglaubt, dass er es tatsachlich ernst meinte. Beflugelt von den Eindrucken und Erlebnissen des Tages, hielt Cicero -ebenfalls auf Griechisch - eine brillante Stegreifrede, in welcher er versprach, sein Leben ganz der Aufgabe zu widmen, das den Menschen von Sizilien zugefugte Unrecht wiedergutzumachen. Unmittelbar nach der Rede stimmten die Senatoren von Syrakus fast einstimmig dafur, ihre Lobpreisung auf Verres zu widerrufen (die ihnen, so schworen sie, von Metellus abgepresst worden sei). Unter allgemeinem Jubel schlangen mehrere junge Manner Seile um den Hals der Verres-Statue und rissen sie um. Andere prasentierten uns - was wichtiger war - aus ihrem eigenen Geheimarchiv eine Fulle an neuem Beweismaterial, das sie uber Verres' Verbrechen gesammelt hatten. Dazu gehorten Ungeheuerlichkeiten wie der Diebstahl von siebenundzwanzig unschatzbaren Portrats aus dem Tempel der Minerva - sogar die uppig verzierten Turen des Heiligtums waren abtransportiert worden! - sowie ein detailliertes Verzeichnis der Bestechungsgelder, die Verres in seiner Eigenschaft als Richter fur Freispruche gefordert hatte.
Inzwischen hatte die Nachricht von der Versammlung und dass man die Verres-Statue umgesturzt hatte, den Palast des Statthalters erreicht. Als wir den Senat verlassen wollten, war das Gebaude umstellt von romischen Soldaten. Die Versammlung wurde auf Metellus' Befehl aufgelost, Heraclius verhaftet und Cicero zum sofortigen Rapport zum Statthalter zitiert. In diesen Minuten fehlte nicht viel, und es ware zu blutigen Unruhen gekommen. Cicero sprang jedoch auf die Ladeflache eines Fuhrwerks und forderte die Sizilier auf, Ruhe zu bewahren. Metellus wurde es nicht wagen, sich an einem romischen Senator zu vergreifen, der im Auftrag eines romischen Prators handle. Allerdings fugte er nicht nur zum Spa? hinzu, dass es vielleicht nicht falsch ware, sollte er bei Einbruch der Nacht nicht wieder unter ihnen weilen, Nachforschungen nach seinem Aufenthaltsort anzustellen. Dann stieg er von dem Wagen herunter, und wir lie?en uns widerstandslos uber die Brucke auf die Insel fuhren.
Das Geschlecht der Metelli naherte sich zu jener Zeit dem Zenit seiner Macht. Besonders der Zweig mit den drei Brudern Quintus, Lucius und Marcus, die damals alle in den Vierzigern waren, schien dafur ausersehen, die Geschicke Roms auf Jahre hinaus zu bestimmen. Das Trio war, wie Cicero zu sagen pflegte, ein dreikopfiges Monster, dessen mittlerer Kopf - der zweite Bruder Lucius - in vielerlei Hinsicht der gefahrlichste war. Lucius Metellus empfing uns unter Aufbietung aller Insignien seines
Ohne sich zu erheben und ohne ein Wort der Einleitung sagte er: »Die Anstiftung einer Rebellion in einer romischen Provinz ist Hochverrat.«
»Es ist ebenfalls Hochverrat«, erwiderte Cicero, »das Volk und den Senat Roms zu beleidigen, indem man deren offiziellen Reprasentanten daran hindert, seine Pflicht zu erfullen.«
»Ach ja? Was ist das fur ein Reprasentant Roms<, der vor einem griechischen Senat eine Rede in dessen Muttersprache halt? Du ziehst durch die Provinz und stiftest uberall Unruhe. Das werde ich nicht dulden! Unsere Garnison ist zu klein, um bei so vielen Einheimischen die Ordnung aufrechtzuerhalten. Mit deiner verfluchten Agitation machst du die Insel unregierbar.«
»Ich versichere dir, dass sich der Unmut gegen Verres richtet, nicht gegen Rom.«
»Verres!« Metellus schlug mit der Faust auf die Armlehne seines Stuhls. »Warum interessierst du dich plotzlich fur Verres? Ich sage dir, warum. Du benutzt ihn, weil du die Chance witterst, damit deine Karriere befordern zu konnen, du mieser kleiner Stankerer.«
»Schreib das auf, Tiro«, sagte Cicero, ohne seinen Blick von Metellus abzuwenden. »Ich will einen wortlichen Bericht von diesem Gesprach. Derartige Einschuchterungsversuche werden von jedem Gericht zur Verhandlung zugelassen.«
Doch ich hatte viel zu viel Angst, um auch nur einen Finger zu ruhren. Bei Ciceros letzten Worten war namlich Metellus aufgesprungen, und die anderen Manner machten lautstark ihrem Unmut Luft. »Ich befehle dir«, sagte Metellus, »die heute Morgen gestohlenen Dokumente zuruckzugeben!«
»Und ich mochte den Statthalter mit allem gebotenen Respekt daran erinnern«, erwiderte Cicero gelassen, »dass er sich nicht auf dem Exerzierplatz befindet, dass er es mit einem freien romischen Burger zu tun hat und dass ich die Aufgabe, mit der man mich betraut hat, erfullen werde!«
Metellus hatte die Fauste in die Huften gestemmt und stand mit leicht vorgeneigtem Oberkorper und vorgerecktem Kinn vor Cicero. »Du kannst die Dokumente jetzt zuruckgeben, ohne gro?es Aufsehen, oder das Gericht wird dich morgen vor den Augen von ganz Syrakus dazu zwingen.«
»Ich ziehe es vor, meine Sache vor Gericht auszutragen, wie immer«, sagte Cicero und neigte kaum merklich den Kopf. »Besonders, da ich wei?, welch unparteiischen und rechtschaffenen Richter ich mit dir, Lucius Metellus, wurdiger Erbe des Verres, haben werde.«
Ich versichere, dass ich dieses Gesprach exakt wiedergebe, da Cicero und ich es sofort nach Verlassen des Raumes - was sehr bald nach dem letzten Wortwechsel geschah - zu rekonstruieren begannen fur den Fall, dass er tatsachlich Gelegenheit erhielte, es vor Gericht verwenden zu konnen. (Die exakte Abschrift befindet sich bis zum heutigen Tag bei seinen Unterlagen.)
»Das ist ja prachtig gelaufen«, witzelte er, aber seine Hande und seine Stimme zitterten. Es war jetzt klar, dass die ganze Mission und vielleicht sogar seine personliche Sicherheit in hochster Gefahr waren. »Aber wenn du die Macht willst«, sagte er halb zu sich selbst, »und wenn du ein
Wir kehrten sofort zu Flavius' Haus zuruck und arbeiteten beim schwachen Schein qualmender sizilischer Kerzen und flackernder Ollampen die ganze Nacht durch, um fur den morgigen Auftritt vor Gericht vorbereitet zu sein. Ehrlich gesagt war mir nicht klar, was Cicero uberhaupt erwarten durfte - au?er einer Demutigung. Metellus wurde nie zu seinen Gunsten entscheiden, und au?erdem, wie Cicero unter vier Augen ja schon zugegeben hatte, war das Recht aufseiten der Steuerpachter. Aber den Tapferen hilft das Gluck, wie schon der edle Terentius sagt, und in jener Nacht war es zweifelsohne mit Cicero. Es war der junge Frugi, der den Durchbruch schaffte. Ich habe Frugi in dieser Erzahlung nicht so oft erwahnt, wie er es eigentlich verdient hatte. Hauptsachlich deshalb, weil er den ruhigen, anstandigen Typ verkorperte, der nur selten Anlass fur eine Bemerkung gibt und erst auffallt, wenn er nicht mehr da ist. Er hatte schon den ganzen Tag uber den Unterlagen der Steuerpachter gesessen und wollte auch am Abend, obwohl er sich Ciceros Erkaltung eingefangen hatte, keinesfalls ins Bett, sondern sturzte sich stattdessen auf die Beweismittel, die der Senat von Syrakus zusammengetragen hatte. Es muss schon weit nach