Jetzt war nur noch das Problem zu losen, wie Ries das Funktionieren der Kamera beobachten und den schutzenden Filter anbringen sollte, was zweifellos eine Weile Zeit in Anspruch nehmen wurde. Und funfzehn Millionen Meilen von der Sonne entfernt konnte man nicht lange arbeiten, wenn man keinen Schutz au?er einem Raumanzug besa?. Die Expedition war naturlich so sorgfaltig geplant worden, da? keiner der Manner je in die Verlegenheit kommen sollte, in der Sonnenhitze zu arbeiten. Aber alles lie? sich eben nicht voraussehen. Grumpy Ries mu?te ein oder zwei Stunden im vollen Sonnenlicht arbeiten.

Aber sobald er sich zehn Minuten der Hitze drau?en ausgesetzt hatte, mu?te er zwanzig Minuten im kuhlen Tunnel verbringen. Und das hie?, da? er fur seine Arbeit zu lange brauchen wurde.

Die Vorratslager der Mannschaft enthielten Rollen von Aluminiumfolie und Drahtspulen. Ries fertigte einen Schild aus zwei Lagen Folie an. Der Zwischenraum zwischen den zwei Lagen wurde mit Eis gefullt. Mit Hilfe des Drahtes verlieh er seinem Schild Festigkeit, und in seinem Schutz hatte er in kurzer Zeit das neue Kontrollsystem und den Filter eingebaut.

Mit der ihm eigenen Kurze teilte er den anderen mit, da? er seine Arbeit erledigt hatte. Das Kontrollsystem wurde von innen getestet. Wie Wurmer zog man Ries aus der Nase, wie er das bewerkstelligt hatte, und die Bewunderung der Wissenschaftler zauberte beinahe ein Lacheln auf sein barbei?iges Gesicht.

Beinahe. Aber ein eingefleischter Griesgram andert sich nicht von einer Sekunde auf die andere. Wenn er sich uberhaupt je andert.

Zehn Millionen Meilen vom Zentrum der Sonne. Noch einundzwanzig Stunden. Aber noch zahlten sie nicht die Minuten.

Die Sonne kroch ein wenig hoher uber den nordlichen Horizont, vom Eingang des Tunnels aus gesehen, und jedesmal, wenn sie aufstieg, war sie etwas langer zu sehen. Die Kamera nahm ein paar erstklassige Bilder auf, wie sie auf noch keiner der Raumstationen in der Nahe der Erde photographiert worden waren.

Funf Millionen Meilen. Zehn Stunden und funfzig Minuten.

Ries blieb jetzt im Innern des Kometen und versuchte zu schlafen — niemand sonst hatte Zeit dazu. Es war unmoglich, weiterhin zum Eingang des Tunnels zu gehen, obwohl Ries noch einige Schilde angefertigt hatte. Sie befanden sich im Strahlenkranz der Sonne, wenn auch nur in der au?eren Zone.

Ries erwachte, als sie den Neunzig-Grad-Punkt erreichten, das erste Viertel des Periheliums, etwa eine Million Meilen vom Sonnenzentrum. Sechshunderttausend Meilen von der Photosphare. Eine Stunde und zwanzig Minuten trennten sie noch vom Zeitpunkt, an dem sie der Sonne am nachsten sein wurden.

Sie flogen mit einer Geschwindigkeit von etwa dreihundertzehn Meilen in der Sekunde, in eine Region, wo das Spektroskop Temperaturen von uber zwei Millionen Grad anzeigte, wo Ionen von Eisen, Nickel und Kalzium sich in Elektronen spalteten.

Die Manner rechneten damit, da? die Elektronen nicht sehr dicht waren. Ein einziges Ion bei einer Temperatur von zwei Millionen Grad bedeutete nichts. Problematischer wurde es, wenn man sich der Photosphare naherte. Man konnte sich vorstellen, da? der Komet in dieser Strahlenflut verschwinden wurde wie ein Schneeball auf einer Herdplatte — aber die Strahlenflut war nicht endlos. Ein gewisses Ma? an Sonnenenergie traf den riesigen Schneeball und lie? Tonnen von Eis schmelzen.

Aber auch das intensive Sonnenlicht brauchte einige Zeit, um dreiundfunfzig Milliarden Tonnen Eis verschwinden zu lassen. Der Komet wurde nur etwa einundzwanzig Stunden funf Millionen Meilen von der Sonne entfernt verbringen, und dafur hatten sie Eis im Uberflu?.

Sie tauchten hinein. Naturlich konnte niemand hinaussehen.

Sie konnten nicht die Sonnenflecken sehen, von denen so viele von ihnen getraumt hatten. Und wenn sie einen Sonnenfleck gesehen hatten, so waren sie daran erblindet. Nur mit Hilfe ihrer Instrumente konnten sie ›sehen‹. Photometer und Radiometer, Magnetometer und lonenmesser zeigten Bilder und Zahlen.

Spektrographen und Interferometer und Kameras summten und klickten und surrten. Wachsame Augen beobachteten die Akzelerationsmesser. Wenn der Zeiger zu hoch schnellte, dann waren sie alle verloren. Aber nichts dergleichen geschah.

Sie waren neunzehn Minuten vom Perihelium entfernt, als das Gefuhl der Zufriedenheit, das sich ihrer aller bemachtigt hatte, jah zerstort wurde.

Sie waren gerade noch an ihren Geraten gewesen, hatten ihre Aufgaben erledigt, waren mit sich und dem Universum zufrieden.

In der nachsten Stunde durchzuckte ein gewaltiger Blitz das Schiff, Funken spruhten, und die Instrumente horten zu arbeiten auf.

Sekundenlang herrschte Schweigen. Dann schwirrten die Stimmen durcheinander, uberrascht, verzweifelt. Einige Manner waren von den wirbelnden Funken verletzt worden. Einer war durch einen elektrischen Schlag bewu?tlos geworden.

Glucklicherweise funktionierte die Beleuchtung noch.

„Ein Magnetfeld“, lautete Mallions Kommentar. „Man kann nicht sagen, wie gro? es ist, auch nicht, wodurch es entstanden ist. Wir haben es mit einer Geschwindigkeit von dreihundertundzwanzig Meilen pro Sekunde durchflogen. Wenn dieses Schiff aus Metall bestunde, ware es wahrscheinlich explodiert.

Mit dieser Moglichkeit haben wir gerechnet, und deshalb gibt es im Schiff auch keine langen Stromwege. Au?er den Kontrollen der Instrumente. Die Intensitat des Magnetfeldes lag zwischen zehn und hundert Gauss. Ich furchte, unsere Instrumente werden uns nichts mehr zeigen.“

„Aber wir konnen doch jetzt nicht aufhoren!“ rief Donegan.

„Wir brauchen Bilder — noch Hunderte.“

„Da bin ich ganz Ihrer Meinung. Aber was sollen wir tun?

Das Kabel, das durch den Tunnel lief, mu? explodiert sein.

Aber irgend etwas mu? die heranlaufende Welle zerstort haben, bevor die Instrumente hier verbrennen konnten.“

„Kommen Sie, Dr. Donegan, ziehen Sie Ihren Raumanzug an“, sagte Ries. Der Physiker blickte ihn an, schien seine Gedanken zu lesen, nickte und verschwand in seiner Kabine.

„Was wollt ihr tun?“ schrie Mallion. „Seid ihr wahnsinnig?

Ihr konnt nicht zu der Kamera gehen. Ihr wurdet wie Zunder brennen, um es mild zu formulieren.“

Ries erwiderte nichts, und Minuten spater schwebte er mit Donegan durch den Tunnel, so schnell sie es wagten. Die Lichter waren ausgegangen, aber man konnte genug sehen. Vom Eingang des Tunnels stromte starkes Licht herein, das auch die gewundene Passage erhellte. Sie mu?ten die Filter vor ihre Sichtscheiben ziehen, lange, bevor sie den Eingang des Tunnels erreichten. Als sie am Ziel waren, schien der Schnee rund um die Offnung zu gluhen. Sie hatten Aluminiumschilde mitgenommen und stopften noch zusatzlich losen Schnee zwischen die beiden Lagen. Aber die Schilde nutzten wenig, als sie sich einige Schritte vom Eingang entfernt hatten. Die Schilde waren nicht gro? genug. Der ganze Himmel schien sich in ein Flammenmeer verwandelt zu haben. Rasch zogen sie sich in den Tunnel zuruck, wo noch mehrere Schilde lagen. Mit Hilfe von Draht befestigten sie mehrere aneinander.

Mit dem Riesenschild ging Ries allein zum Eingang, und diesmal hatte er keine Schwierigkeiten. Er montierte die Kamera ab und brachte sie in den Tunnel. Es war nicht notig, das Kontrollkabel vom Hauptkabel zu trennen. Wie Mallion vorausgesagt hatte, waren beide verschwunden. Die Explosion hatte tiefe Hohlen in die Tunnelwande gerissen, wo die Kabel gelegt worden waren.

Ries wollte die Kamera so rasch wie moglich in schutzende Kuhle bringen. Da sie ihre Verbindung mit dem Schiffsinnern verloren hatte und nicht mehr durch ein Verbindungskabel gekuhlt werden konnte, wurde sie bald gefahrlich hei? sein. Und jetzt, da der Komet sich dem Perihelium naherte, war schon eine betrachtliche Lucke in der bildlichen Berichterstattung.

Im Tunnel fertigte Ries weitere Schilde fur die Kamera an und untersuchte den Schild, den er benutzt hatte, um zu sehen, wieviel Schnee noch darin war. Etwas war noch da, aber entmutigend wenig. Er pre?te seinen Helm gegen den Donegans.

Die Radios konnten in der Sonnenhitze nicht funktionieren.

„Wir konnen nicht hinausgehen, wenn wir nicht mehr Schnee fur das Ding da haben. Und wir mussen alle paar Minuten kommen und Schnee nachfullen.“

Er glitt durch den Tunnel zuruck ins Schiffsinnere, aber schon an der zweiten Biegung kam ihm eine Gestalt im Raumanzug entgegen. Es war Pawlak, der eine Tasche mit Schnee trug. Er erkannte ihn an der Nummer des Raumanzugs. Das Gesicht hinter dem Filter war nicht zu sehen. Er nahm die Tasche und dankte mit lebhaften Gesten. Pawlak sagte ihm in der Zeichensprache, da? er noch mehr Schnee holen wurde, und eilte davon. Ries ging zu seinem Gefahrten zuruck, der sich uber die rasche Ruckkehr wunderte, aber keine Zeit mit Fragen verschwendete.

Durch den Filter sahen sie die Sonne orangerot brennen. Gewisse Formen waren klar zu sehen, aber nicht in allen Fallen zu interpretieren. Einzelne Korner waren zu erkennen. Ein winziger Fleck zeigte sich auf einer Seite. Wenn sie den Kopf so weit drehten, wie der Schild es erlaubte, hatten sie einen viel gro?eren Gesichtskreis als die Kamera.

Donegan photographierte. Erst den Fleck und seine Nachbarschaft.

Immer mehr merkwurdige Gebilde stachen ihm in die Augen, und er machte zahllose Aufnahmen. Er wandte sich um, als ihn jemand am Bein zog. Ries, nur unzureichend mit dem noch verbliebenen Schild bedeckt, mahnte ihn, seinen Schild mit Schnee aufzufullen. Widerstrebend tat er es und bedauerte den Zeitverlust. Ries stopfte Schnee unter die Kamera, wahrend Donegan Schnee zwischen die Lagen seines Schildes steckte, so schnell, wie ihm dies mit den vom Raumanzug bedeckten Handen gelang. Dann betatigte er wieder die Kamera.

Sie hatten das Perihelium bereits erreicht. Donegan wu?te es nicht und kummerte sich auch nicht darum. Er wu?te, da? der Film in der Kamera lang genug war, um ihn neunzig Minuten lang ein Bild pro Sekunde aufnehmen zu lassen, und er wollte den ganzen Film verbrauchen. Er photographierte alles, was ihm als ungewohnlich auffiel. Er wu?te, da? einige Instrumente im Schiff noch funktionierten, und er wu?te auch, da? einige Gerate an der Au?enflache des Kometen noch intakt waren — oder intakt sein sollten. Das Kontrollsystem war ja ausgefallen.

Und die Messungen dieser Gerate zusammen mit seinen Photos wurden eine umfassende Information liefern.

Ein paar Yards unter ihm arbeitete Ries, bewegte Schnee hin und her, und aus einem Draht, den Pawlak ihm gebracht hatte, fertigte er eine Kette an, die er um Donegans Fu?knochel wand. Auf diese Weise konnte er ihm leichter mitteilen, wann er wieder Schnee in seinen Schild fullen mu?te.

Ries arbeitete verbissen. Niemand wu?te, ob er es schweigend tat, da die Sprechgerate ausgefallen waren. Aber es war anzunehmen, da? er murrisch vor sich hin knurrte, wie er es meist tat. Schwerelos hing er im wei?gluhenden Tunnel, hielt mit der einen Hand die Kette fest, an deren anderem Ende ein Mann befestigt war, hielt die Kamera mit der anderen Hand, um zu verhindern, da? sie im weichen Schnee ihre Position veranderte oder ins Perihelium entschwand, versuchte, durch den dunklen Filter auf die Uhr im Tunnel zu sehen.

Naturlich gelang es Donegan nicht, die gesamte Sonnenoberflache bildlich festzuhalten. Dazu war seine Bewegungsfreiheit zu begrenzt. Charakteristische Merkmale verschwanden hinter dem solaren Horizont, bevor Donegan sie aufnehmen konnte.

Sogar Ries wu?te nicht, wie man dieses Problem ausschalten konnte, als der Physiker daruber klagte, wahrend er seinen Schneevorrat auffullte.

Zu diesem Zeitpunkt schien sich die Sonne schneller in die Breite als in die Lange zu bewegen. Der Komet hatte seinen Kurs geandert und flog schneller, als die Sonne sich drehte.

Der Physiker wu?te, da? eine Eindreiviertelstunde nach dem Eintritt ins Perihelium die Sonne aus seinem Gesichtskreis verschwunden sein wurde. Aber daran verschwendete er jetzt noch keine Gedanken. Er beobachtete und photographierte wie besessen und legte nur kurze Pausen ein, wenn Ries gnadenlos an der Kette zog, um ihn daran zu erinnern, da? der Schnee in seinem Schild schon wieder geschmolzen war.

Der Eingang des Tunnels lag jetzt viel naher am Schiff als zuvor. Ries mu?te mit seinen Schneetaschen immer weiter zuruckweichen.

Ries, Donegan und Pawlak waren die einzigen Mitglieder der Expeditionsgemeinschaft, die wu?ten, wie rasch der Schmelzvorgang ablief, da das Me?gerat bei der Explosion ausgefallen war. Sie konnten hinterher nicht sagen, ob das gut oder schlecht war. Die Manner im Innern des Schiffes verlie?en sich auf ihre Mathematik. Fur die Physiker war das nur zu verstandlich, aber Ries hatte anders gedacht, ware er in ihrer Mitte gewesen. Aber er zwang sich, nicht daran zu denken, was mit dem Kometen passieren wurde, wenn sie das Perihelium durchquert hatten. Er mu?te auf zu viele andere Dinge aufpassen.

Donegan war wutend, als er sah, wie die Sonne sich senkte und es immer noch genug zu photographieren gab. Aber wie Ries hatte auch er keine Moglichkeit, seinem Arger Luft zu machen.

Sie waren bis zur ursprunglich dritten Biegung des Tunnels zuruckgetrieben worden, und von hier ab verlief die Passage ein ziemlich langes Stuck gerade. Pawlak kam an das andere Ende der geraden Strecke, mit der, wie er hoffte, letzten Schneeladung, als sich etwas langsam von der Decke des Tunnels zwischen ihn und Ries senkte. Er sprang vor, lie? die Schneetasche fallen und sah, da? es eines der Instrumente war, die sich drau?en befunden hatten. Seine Silberoberflache war verbogen. Seine Temperatur war angestiegen, und es hatte sich einen Weg in das Innere geschmolzen. Die tiefstehende Sonne schien durch das Loch, das das Gerat hinterlassen hatte. Pawlak ging um das Instrument herum und auf Ries zu, dessen Aufmerksamkeit auf etwas anderes gerichtet war, und teilte ihm mit, was geschehen war. Ries zerrte an der Kette. Der Physiker war wutend, als er bei den beiden Mannern ankam. Das merkten sie, als sie ihre Helme gegen den seinen

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