Dank-Empfanger ist, nicht nur fur Das, was er selber Gutes gethan hat, sondern zumeist fur Das, was von seinen Vorgangern als ein Schatz des Hochsten und Besten allmahlich aufgehauft worden ist.

101

Voltaire. — Ueberall, wo es einen Hof gab, hat er das Gesetz des Gut-Sprechens und damit auch das Gesetz des Stils fur alle Schreibenden gegeben. Die hofische Sprache ist aber die Sprache des Hoflings, der kein Fach hat und der sich selbst in Gesprachen uber wissenschaftliche Dinge alle bequemen technischen Ausdrucke verbietet, weil sie nach dem Fache schmecken, desshalb ist der technische Ausdruck und Alles, was den Specialisten verrath, in den Landern einer hofischen Cultur ein Flecken des Stils. Man ist jetzt, wo alle Hofe Caricaturen von sonst und jetzt geworden sind, erstaunt, selbst Voltaire in diesem Puncte unsaglich sprode und peinlich zu finden (zum Beispiel in seinem Urtheil uber solche Stilisten, wie Fontenelle und Montesquieu), — wir sind eben alle vom hofischen Geschmack emancipirt, wahrend Voltaire dessen Vollender war!

102

Ein Wort fur die Philologen. — Dass es Bucher giebt, so werthvolle und konigliche, dass ganze Gelehrten-Geschlechter gut verwendet sind, wenn durch ihre Muhe diese Bucher rein erhalten und verstandlich erhalten werden, — diesen Glauben immer wieder zu befestigen ist die Philologie da. Sie setzt voraus, dass es an jenen seltenen Menschen nicht fehlt (wenn man sie gleich nicht sieht), die so werthvolle Bucher wirklich zu benutzen wissen: — es werden wohl die sein, welche selber solche Bucher machen oder machen konnten. Ich wollte sagen, die Philologie setzt einen vornehmen Glauben voraus, — dass zu Gunsten einiger Weniger, die immer» kommen werden «und nicht da sind, eine sehr grosse Menge von peinlicher, selbst unsauberer Arbeit voraus abzuthun sei: es ist Alles Arbeit in usum Delphinorum.

103

Von der deutschen Musik. — Die deutsche Musik ist jetzt schon desshalb, mehr als jede andere, die europaische Musik, weil in ihr allein die Veranderung, welche Europa durch die Revolution erfuhr, einen Ausdruck bekommen hat: nur die deutschen Musiker verstehen sich auf den Ausdruck bewegter Volksmassen, auf jenen ungeheuren kunstlichen Larm, der nicht einmal sehr laut zu sein braucht, — wahrend zum Beispiel die italianische Oper nur Chore von Bedienten oder Soldaten kennt, aber kein» Volk«. Es kommt hinzu, dass aus aller deutschen Musik eine tiefe burgerliche Eifersucht auf die noblesse herauszuhoren ist, namentlich auf esprit und elegance, als den Ausdruck einer hofischen, ritterlichen, alten, ihrer selber sicheren Gesellschaft. Das ist keine Musik, wie die des Goethischen Sangers vor dem Thore, die auch» im Saale«, und zwar dem Konige wohlgefallt; da heisst es nicht:»die Ritter schauten muthig drein und in den Schooss die Schonen«. Schon die Grazie tritt nicht ohne Anwandelung von Gewissensbissen in der deutschen Musik auf; erst bei der Anmuth, der landlichen Schwester der Grazie, fangt der Deutsche an, sich ganz moralisch zu fuhlen — und von da an immer mehr bis hinauf zu seiner schwarmerischen, gelehrten, oft barbeissigen» Erhabenheit«, der Beethoven'schen Erhabenheit. Will man sich den Menschen zu dieser Musik denken, nun, so denke man sich eben Beethoven, wie er neben Goethe, etwa bei jener Begegnung in Teplitz, erscheint: als die Halbbarbarei neben der Cultur, als Volk neben Adel, als der gutartige Mensch neben dem guten und mehr noch als» guten «Menschen, als der Phantast neben dem Kunstler, als der Trostbedurftige neben dem Getrosteten, als der Uebertreiber und Verdachtiger neben dem Billigen, als der Grillenfanger und Selbstqualer, als der Narrisch-Verzuckte, der Selig-Ungluckliche, der Treuherzig-Maasslose, als der Anmaassliche und Plumpe — und Alles in Allem als der» ungebandigte Mensch«: so empfand und bezeichnete ihn Goethe selber, Goethe der Ausnahme-Deutsche, zu dem eine ebenburtige Musik noch nicht gefunden ist! — Zuletzt erwage man noch, ob nicht jene jetzt immer mehr um sich greifende Verachtung der Melodie und Verkummerung des melodischen Sinnes bei Deutschen als eine demokratische Unart und Nachwirkung der Revolution zu verstehen ist. Die Melodie hat namlich eine solche offene Lust an der Gesetzlichkeit und einen solchen Widerwillen bei allem Werdenden, Ungeformten, Willkurlichen, dass sie wie ein Klang aus der alten Ordnung der europaischen Dinge und wie eine Verfuhrung und Ruckfuhrung zu dieser klingt.

104

Vom Klange der deutschen Sprache. — Man weiss, woher das Deutsch stammt, welches seit ein paar Jahrhunderten das allgemeine Schriftdeutsch ist. Die Deutschen, mit ihrer Ehrfurcht vor Allem, was vom Hofe kam, haben sich geflissentlich die Kanzleien zum Muster genommen, in Allem, was sie zu schreiben hatten, also namentlich in ihren Briefen, Urkunden, Testamenten und so weiter. Kanzleimassig schreiben, das war hof- und regierungsmassig schreiben, — das war etwas Vornehmes, gegen das Deutsch der Stadt gehalten, in der man gerade lebte. Allmahlich zog man den Schluss und sprach auch so, wie man schrieb, — so wurde man noch vornehmer, in den Wortformen, in der Wahl der Worte und Wendungen und zuletzt auch im Klange: man affectirte einen hofischen Klang, wenn man sprach, und die Affectation wurde zuletzt Natur. Vielleicht hat sich etwas ganz Gleiches nirgendswo ereignet: die Uebergewalt des Schreibestils uber die Rede und die Ziererei und Vornehmthuerei eines ganzen Volkes als Grundlage einer gemeinsamen nicht mehr dialektischen Sprache. Ich glaube, der Klang der deutschen Sprache war im Mittelalter, und namentlich nach dem Mittelalter, tief bauerisch und gemein: er hat sich in den letzten Jahrhunderten etwas veredelt, hauptsachlich dadurch, dass man sich genothigt fand, so viel franzosische, italianische und spanische Klange nachzuahmen und zwar gerade von Seiten des deutschen (und osterreichischen) Adels, der mit der Muttersprache sich durchaus nicht begnugen konnte. Aber fur Montaigne oder gar Racine muss trotz dieser Uebung Deutsch unertraglich gemein geklungen haben: und selbst jetzt klingt es) im Munde der Reisenden, mitten unter italianischem Pobel, noch immer sehr roh, walderhaft, heiser, wie aus raucherigen Stuben und unhoflichen Gegenden stammend. — Nun bemerke ich, dass jetzt wieder unter den ehemaligen Bewunderern der Kanzleien ein ahnlicher Drang nach Vornehmheit des Klanges um sich greift, und dass die Deutschen einem ganz absonderlichen» Klangzauber «sich zu fugen anfangen, der auf die Dauer eine wirkliche Gefahr fur die deutsche Sprache werden konnte, — denn abscheulichere Klange sucht man in Europa vergebens. Etwas Hohnisches, Kaltes, Gleichgultiges, Nachlassiges in der Stimme: das klingt jetzt den Deutschen» vornehm«— und ich hore den guten Willen zu dieser Vornehmheit in den Stimmen der jungen Beamten, Lehrer, Frauen, Kaufleute; ja die kleinen Madchen machen schon dieses Offizierdeutsch nach. Denn der Offizier, und zwar der preussische, ist der Erfinder dieser Klange: dieser selbe Offizier, der als Militar und Mann des Fachs jenen bewunderungswurdigen Tact der Bescheidenheit besitzt, an dem die Deutschen allesammt zu lernen hatten (die deutschen Professoren und Musicanten eingerechnet!). Aber sobald er spricht und sich bewegt, ist er die unbescheidenste und geschmackwidrigste Figur im alten Europa — sich selber unbewusst, ohne allen Zweifel! Und auch den guten Deutschen unbewusst, die in ihm den Mann der ersten und vornehmsten Gesellschaft anstaunen und sich gerne» den Ton von ihm angeben «lassen. Das thut er denn auch! — und zunachst sind es die Feldwebel und Unteroffiziere, welche seinen Ton nachahmen und vergrobern. Man gebe Acht auf die Commandorufe, von denen die deutschen Stadte formlich umbrullt werden, jetzt wo man vor allen Thoren exerciert: welche Anmaassung, welches wuthende Autoritatsgefuhl, welche hohnische Kalte klingt aus diesem Gebrull heraus! Sollten die Deutschen wirklich ein musicalisches Volk sein? — Sicher ist, dass die Deutschen sich jetzt im Klange ihrer Sprache militarisiren: wahrscheinlich ist, dass sie, eingeubt militarisch zu sprechen, endlich auch militarisch schreiben werden. Denn die Gewohnheit an bestimmte Klange greift tief in den Charakter: — man hat bald die Worte und Wendungen und schliesslich auch die Gedanken, welche eben zu diesem Klange passen! Vielleicht

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