schreibt man jetzt schon offizierma?ig; vielleicht lese ich nur zu wenig von dem, was man jetzt in Deutschland schreibt. Aber Eines weiss ich um so sicherer: die offentlichen deutschen Kundgebungen, die auch in's Ausland dringen, sind nicht von der deutschen Musik inspirirt, sondern von eben jenem neuen Klange einer geschmackwidrigen Anmaassung. Fast in jeder Rede des ersten deutschen Staatsmannes und selbst dann, wenn er sich durch sein kaiserliches Sprachrohr vernehmen lasst, ist ein Accent, den das Ohr eines Auslanders mit Widerwillen zuruckweist: aber die Deutschen ertragen ihn, — sie ertragen sich selber.

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Die Deutschen als Kunstler. — Wenn der Deutsche einmal wirklich in Leidenschaft gerath (und nicht nur, wie gewohnlich, in den guten Willen zur Leidenschaft!), so benimmt er sich dann in derselben, wie er eben muss, und denkt nicht weiter an sein Benehmen. Die Wahrheit aber ist, dass er sich dann sehr ungeschickt und hasslich und wie ohne Tact und Melodie benimmt, sodass die Zuschauer ihre Pein oder ihre Ruhrung dabei haben und nicht mehr: — es sei denn, dass er sich in das Erhabene und Entzuckte hinaufhebt, dessen manche Passionen fahig sind. Dann wird sogar der Deutsche schon! Die Ahnung davon, auf welcher Hohe erst die Schonheit ihren Zauber selbst uber Deutsche ausgiesst, treibt die deutschen Kunstler in die Hohe und Ueberhohe und in die Ausschweifungen der Leidenschaft: ein wirkliches tiefes Verlangen also, uber die Hasslichkeit und Ungeschicktheit hinauszukommen, mindestens hinauszublicken — hin nach einer besseren, leichteren, sudlicheren, sonnenhafteren Welt. Und so sind ihre Krampfe oftmals nur Anzeichen dafur, dass sie tanzen mochten: diese armen Baren, in denen versteckte Nymphen und Waldgotter ihr Wesen treiben — und mitunter noch hohere Gottheiten!

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Musik als Fursprecherin. — »Ich habe Durst nach einem Meister der Tonkunst, sagte ein Neuerer zu seinem Junger, dass er mir meine Gedanken ablerne und sie furderhin in seiner Sprache rede: so werde ich den Menschen besser zu Ohr und Herzen dringen. Mit Tonen kann man die Menschen zu jedem Irrthume und jeder Wahrheit verfuhren: wer vermochte einen Ton zu widerlegen?«—»Also mochtest du fur unwiderlegbar gelten?«sagte sein Junger. Der Neuerer erwiderte.»Ich mochte, dass der Keim zum Baume werde. Damit eine Lehre zum Baume werde, muss sie eine gute Zeit geglaubt werden: damit sie geglaubt werde, muss sie fur unwiderlegbar gelten. Dem Baume thun Sturme, Zweifel, Gewurm, Bosheit noth, damit er die Art und Kraft seines Keimes offenbar mache; mag er brechen, wenn er nicht stark genug ist! Aber ein Keim wird immer nur vernichtet, — nicht widerlegt!«— Als er das gesagt hatte, rief sein Junger mit Ungestum:»Aber ich glaube an deine Sache und halte sie fur so stark, dass ich Alles, Alles sagen werde, was ich noch gegen sie auf dem Herzen habe«. — Der Neuerer lachte bei sich und drohte ihm mit dem Finger.»Diese Art Jungerschaft, sagte er dann, ist die beste, aber sie ist gefahrlich und nicht jede Art Lehre vertragt sie».

107

Unsere letzte Dankbarkeit gegen die Kunst. — Hatten wir nicht die Kunste gut geheissen und diese Art von Cultus des Unwahren erfunden: so ware die Einsicht in die allgemeine Unwahrheit und Verlogenheit, die uns jetzt durch die Wissenschaft gegeben wird — die Einsicht in den Wahn und Irrthum als in eine Bedingung des erkennenden und empfindenden Daseins —, gar nicht auszuhalten. Die Redlichkeit wurde den Ekel und den Selbstmord im Gefolge haben. Nun aber hat unsere Redlichkeit eine Gegenmacht, die uns solchen Consequenzen ausweichen hilft: die Kunst, als den guten Willen zum Scheine. Wir verwehren es unserm Auge nicht immer, auszurunden, zu Ende zu dichten: und dann ist es nicht mehr die ewige Unvollkommenheit, die wir uber den Fluss des Werdens tragen — dann meinen wir, eine Gottin zu tragen und sind stolz und kindlich in dieser Dienstleistung. Als asthetisches Phanomen ist uns das Dasein immer noch ertraglich, und durch die Kunst ist uns Auge und Hand und vor Allem das gute Gewissen dazu gegeben, aus uns selber ein solches Phanomen machen zu konnen. Wir mussen zeitweilig von uns ausruhen, dadurch, dass wir auf uns hin und hinab sehen und, aus einer kunstlerischen Ferne her, uber uns lachen oder uber uns weinen; wir mussen den Helden und ebenso den Narren entdecken, der in unsrer Leidenschaft der Erkenntniss steckt, wir mussen unsrer Thorheit ab und zu froh werden, um unsrer Weisheit froh bleiben zu konnen! Und gerade weil wir im letzten Grunde schwere und ernsthafte Menschen und mehr Gewichte als Menschen sind, so thut uns Nichts so gut als die Schelmenkappe: wir brauchen sie vor uns selber — wir brauchen alle ubermuthige, schwebende, tanzende, spottende, kindische und selige Kunst, um jener Freiheit uber den Dingen nicht verlustig zu gehen, welche unser Ideal von uns fordert. Es ware ein Ruckfall fur uns, gerade mit unsrer reizbaren Redlichkeit ganz in die Moral zu gerathen und um der uberstrengen Anforderungen willen, die wir hierin an uns stellen, gar noch selber zu tugendhaften Ungeheuern und Vogelscheuchen zu werden. Wir sollen auch uber der Moral stehen konnen: und nicht nur stehen, mit der angstlichen Steifigkeit eines Solchen, der jeden Augenblick auszugleiten und zu fallen furchtet, sondern auch uber ihr schweben und spielen! Wie konnten wir dazu der Kunst, wie des Narren entbehren? — Und so lange ihr euch noch irgendwie vor euch selber schamt, gehort ihr noch nicht zu uns!

Drittes Buch

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Neue Kampfe. — Nachdem Buddha todt war, zeigte man noch Jahrhunderte lang seinen Schatten in einer Hohle, — einen ungeheuren schauerlichen Schatten. Gott ist todt: aber so wie die Art der Menschen ist, wird es vielleicht noch Jahrtausende lang Hohlen geben, in denen man seinen Schatten zeigt. — Und wir — wir mussen auch noch seinen Schatten besiegen!

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Huten wir uns. — Huten wir uns, zu denken, dass die Welt ein lebendiges Wesen sei. Wohin sollte sie sich ausdehnen? Wovon sollte sie sich nahren? Wie konnte sie wachsen und sich vermehren? Wir wissen ja ungefahr, was das Organische ist: und wir sollten das unsaglich Abgeleitete, Spate, Seltene, Zufallige, das wir nur auf der Kruste der Erde wahrnehmen, zum Wesentlichen, Allgemeinen, Ewigen umdeuten, wie es jene thun, die das All einen Organismus nennen? Davor ekelt mir. Huten wir uns schon davor, zu glauben, dass das All eine Maschine sei; es ist gewiss nicht auf Ein Ziel construirt, wir thun ihm mit dem Wort» Maschine «eine viel zu hohe Ehre an. Huten wir uns, etwas so Formvolles, wie die kyklischen Bewegungen unserer Nachbar-Sterne uberhaupt und uberall vorauszusetzen; schon ein Blick in die Milchstrasse lasst Zweifel auftauchen, ob es dort nicht viel rohere und widersprechendere Bewegungen giebt, ebenfalls Sterne mit ewigen geradlinigen Fallbahnen und dergleichen. Die astrale Ordnung, in der wir leben, ist eine Ausnahme; diese Ordnung und die ziemliche Dauer, welche durch sie bedingt ist, hat wieder die Ausnahme der Ausnahmen ermoglicht — die Bildung des Organischen. Der Gesammt-Charakter der Welt ist dagegen in alle Ewigkeit Chaos, nicht im Sinne der fehlenden Nothwendigkeit,

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