sondern der fehlenden Ordnung, Gliederung, Form, Schonheit, Weisheit, und wie alle unsere asthetischen Menschlichkeiten heissen. Von unserer Vernunft aus geurtheilt, sind die verungluckten Wurfe weitaus die Regel, die Ausnahmen sind nicht das geheime Ziel, und das ganze Spielwerk wiederholt ewig seine Weise, die nie eine Melodie heissen darf, — und zuletzt ist selbst das Wort» verungluckter Wurf «schon eine Vermenschlichung, die einen Tadel in sich schliesst. Aber wie durften wir das All tadeln oder loben! Huten wir uns, ihm Herzlosigkeit und Unvernunft oder deren Gegensatze nachzusagen: es ist weder vollkommen, noch schon, noch edel, und will Nichts von alledem werden, es strebt durchaus nicht darnach, den Menschen nachzuahmen! Es wird durchaus durch keines unserer asthetischen und moralischen Urtheile getroffen! Es hat auch keinen Selbsterhaltungstrieb und uberhaupt keine Triebe; es kennt auch keine Gesetze. Huten wir uns, zu sagen, dass es Gesetze in der Natur gebe. Es giebt nur Nothwendigkeiten: da ist Keiner, der befiehlt, Keiner, der gehorcht, Keiner, der ubertritt. Wenn ihr wisst, dass es keine Zwecke giebt, so wisst ihr auch, dass es keinen Zufall giebt: denn nur neben einer Welt von Zwecken hat das Wort» Zufall «einen Sinn. Huten wir uns, zu sagen, dass Tod dem Leben entgegengesetzt sei. Das Lebende ist nur eine Art des Todten, und eine sehr seltene Art. — Huten wir uns, zu denken, die Welt schaffe ewig Neues. Es giebt keine ewig dauerhaften Substanzen; die Materie ist ein eben solcher Irrthum, wie der Gott der Eleaten. Aber wann werden wir am Ende mit unserer Vorsicht und Obhut sein! Wann werden uns alle diese Schatten Gottes nicht mehr verdunkeln? Wann werden wir die Natur ganz entgottlicht haben! Wann werden wir anfangen durfen, uns Menschen mit der reinen, neu gefundenen, neu erlosten Natur zu vernaturlichen.

110

Ursprung der Erkenntniss. — Der Intellect hat ungeheure Zeitstrecken hindurch Nichts als Irrthumer erzeugt; einige davon ergaben sich als nutzlich und arterhaltend: wer auf sie stiess, oder sie vererbt bekam, kampfte seinen Kampf fur sich und seinen Nachwuchs mit grosserem Glucke. Solche irrthumliche Glaubenssatze, die immer weiter vererbt und endlich fast zum menschlichen Art- und Grundbestand wurden, sind zum Beispiel diese: dass es dauernde Dinge gebe, dass es gleiche Dinge gebe, dass es Dinge, Stoffe, Korper gebe, dass ein Ding Das sei, als was es erscheine, dass unser Wollen frei sei, dass was fur mich gut ist, auch an und fur sich gut sei. Sehr spat erst traten die Leugner und Anzweifler solcher Satze auf, — sehr spat erst trat die Wahrheit auf, als die unkraftigste Form der Erkenntniss. Es schien, dass man mit ihr nicht zu leben vermoge, unser Organismus war auf ihren Gegensatz eingerichtet; alle seine hoheren Functionen, die Wahrnehmungen der Sinne und jede Art von Empfindung uberhaupt, arbeiteten mit jenen uralt einverleibten Grundirrthumern. Mehr noch: jene Satze wurden selbst innerhalb der Erkenntniss zu den Normen, nach denen man» wahr «und» unwahr «bemass — bis hinein in die entlegensten Gegenden der reinen Logik. Also: die Kraft der Erkenntnisse liegt nicht in ihrem Grade von Wahrheit, sondern in ihrem Alter, ihrer Einverleibtheit, ihrem Charakter als Lebensbedingung. Wo Leben und Erkennen in Widerspruch zu kommen schienen, ist nie ernstlich gekampft worden; da galt Leugnung und Zweifel als Tollheit. Jene Ausnahme-Denker, wie die Eleaten, welche trotzdem die Gegensatze der naturlichen Irrthumer aufstellten und festhielten, glaubten daran, dass es moglich sei, dieses Gegentheil auch zu leben: sie erfanden den Weisen als den Menschen der Unveranderlichkeit, Unpersonlichkeit, Universalitat der Anschauung, als Eins und Alles zugleich, mit einem eigenen Vermogen fur jene umgekehrte Erkenntniss; sie waren des Glaubens, dass ihre Erkenntniss zugleich das Princip des Lebens sei. Um diess Alles aber behaupten zu konnen, mussten sie sich uber ihren eigenen Zustand tauschen: sie mussten sich Unpersonlichkeit und Dauer ohne Wechsel andichten, das Wesen des Erkennenden verkennen, die Gewalt der Triebe im Erkennen leugnen und uberhaupt die Vernunft als vollig freie, sich selbst entsprungene Activitat fassen; sie hielten sich die Augen dafur zu, dass auch sie im Widersprechen gegen das Gultige, oder im Verlangen nach Ruhe oder Alleinbesitz oder Herrschaft zu ihren Satzen gekommen waren. Die feinere Entwickelung der Redlichkeit und der Skepsis machte endlich auch diese Menschen unmoglich; auch ihr Leben und Urtheilen ergab sich als abhangig von den uralten Trieben und Grundirrthumern alles empfindenden Daseins. — Jene feinere Redlichkeit und Skepsis hatte uberall dort ihre Entstehung, wo zwei entgegengesetzte Satze auf das Leben anwendbar erschienen, weil sich beide mit den Grundirrthumern vertrugen, wo also uber den hoheren oder geringeren Grad des Nutzens fur das Leben gestritten werden konnte; ebenfalls dort, wo neue Satze sich dem Leben zwar nicht nutzlich, aber wenigstens auch nicht schadlich zeigten, als Aeusserungen eines intellectuellen Spieltriebes, und unschuldig und glucklich gleich allem Spiele. Allmahlich fullte sich das menschliche Gehirn mit solchen Urtheilen und Ueberzeugungen, so entstand in diesem Knauel Gahrung, Kampf und Machtgelust. Nutzlichkeit und Lust nicht nur, sondern jede Art von Trieben nahm Partei in dem Kampfe um die» Wahrheiten«; der intellectuelle Kampf wurde Beschaftigung, Reiz, Beruf, Pflicht, Wurde —: das Erkennen und das Streben nach dem Wahren ordnete sich endlich als Bedurfniss in die anderen Bedurfnisse ein. Von da an war nicht nur der Glaube und die Ueberzeugung, sondern auch die Prufung, die Leugnung, das Misstrauen, der Widerspruch eine Macht, alle» bosen «Instincte waren der Erkenntniss untergeordnet und in ihren Dienst gestellt und bekamen den Glanz des Erlaubten, Geehrten, Nutzlichen und zuletzt das Auge und die Unschuld des Guten. Die Erkenntniss wurde also zu einem Stuck Leben selber und als Leben zu einer immerfort wachsenden Macht: bis endlich die Erkenntnisse und jene uralten Grundirrthumer auf einander stiessen, beide als Leben, beide als Macht, beide in dem selben Menschen. Der Denker: das ist jetzt das Wesen, in dem der Trieb zur Wahrheit und jene lebenerhaltenden Irrthumer ihren ersten Kampf kampfen, nachdem auch der Trieb zur Wahrheit sich als eine lebenerhaltende Macht bewiesen hat. Im Verhaltniss zu der Wichtigkeit dieses Kampfes ist alles Andere gleichgultig: die letzte Frage um die Bedingung des Lebens ist hier gestellt, und der erste Versuch wird hier gemacht, mit dem Experiment auf diese Frage zu antworten. Inwieweit vertragt die Wahrheit die Einverleibung? — das ist die Frage, das ist das Experiment.

111

Herkunft des Logischen. — Woher ist die Logik im menschlichen Kopfe entstanden? Gewiss aus der Unlogik, deren Reich ursprunglich ungeheuer gewesen sein muss. Aber unzahlig viele Wesen, welche anders schlossen, als wir jetzt schliessen, giengen zu Grunde: es konnte immer noch wahrer gewesen sein! Wer zum Beispiel das» Gleiche «nicht oft genug aufzufinden wusste, in Betreff der Nahrung oder in Betreff der ihm feindlichen Thiere, wer also zu langsam subsumirte, zu vorsichtig in der Subsumption war, hatte nur geringere Wahrscheinlichkeit des Fortlebens als Der, welcher bei allem Aehnlichen sofort auf Gleichheit rieth. Der uberwiegende Hang aber, das Aehnliche als gleich zu behandeln, ein unlogischer Hang — denn es giebt an sich nichts Gleiches —, hat erst alle Grundlage der Logik geschaffen. Ebenso musste, damit der Begriff der Substanz entstehe, der unentbehrlich fur die Logik ist, ob ihm gleich im strengsten Sinne nichts Wirkliches entspricht, — lange Zeit das Wechselnde an den Dingen nicht gesehen, nicht empfunden worden sein; die nicht genau sehenden Wesen hatten einen Vorsprung vor denen, welche Alles» im Flusse «sahen. An und fur sich ist schon jeder hohe Grad von Vorsicht im Schliessen, jeder skeptische Hang eine grosse Gefahr fur das Leben. Es wurden keine lebenden Wesen erhalten sein, wenn nicht der entgegengesetzte Hang, lieber zu bejahen als das Urtheil auszusetzen, lieber zu irren und zu dichten als abzuwarten, lieber zuzustimmen als zu verneinen, lieber zu urtheilen als gerecht zu sein — ausserordentlich stark angezuchtet worden ware. — Der Verlauf logischer Gedanken und Schlusse in unserem jetzigen Gehirne entspricht einem Processe und Kampfe von Trieben, die an sich einzeln alle sehr unlogisch und ungerecht sind; wir erfahren gewohnlich nur das Resultat des Kampfes: so schnell und so versteckt spielt sich jetzt dieser uralte Mechanismus in uns ab.

112

Ursache und Wirkung. — »Erklarung «nennen wir's: aber» Beschreibung «ist es, was uns vor alteren Stufen der Erkenntniss und Wissenschaft auszeichnet. Wir beschreiben besser, — wir erklaren ebenso wenig wie alle Fruheren. Wir haben da ein vielfaches Nacheinander aufgedeckt, wo der naive Mensch und Forscher alterer Culturen nur Zweierlei sah,»Ursache «und» Wirkung«, wie die Rede lautete; wir haben das Bild des

Вы читаете Die frohliche Wissenschaft
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ОБРАНЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату