werde ich Einer von Denen sein, welche die Dinge schon machen. Amor fati: das sei von nun an meine Liebe! Ich will keinen Krieg gegen das Hassliche fuhren. Ich will nicht anklagen, ich will nicht einmal die Anklager anklagen. Wegsehen sei meine einzige Verneinung! Und, Alles in Allem und Grossen: ich will irgendwann einmal nur noch ein Ja-sagender sein!

277

Personliche Providenz. — Es giebt einen gewissen hohen Punct des Lebens: haben wir den erreicht, so sind wir mit all unserer Freiheit, und so sehr wir dem schonen Chaos des Daseins alle fursorgende Vernunft und Gute abgestritten haben, noch einmal in der grossten Gefahr der geistigen Unfreiheit und haben unsere schwerste Probe abzulegen. Jetzt namlich stellt sich erst der Gedanke an eine personliche Providenz mit der eindringlichsten Gewalt vor uns hin und hat den besten Fursprecher, den Augenschein, fur sich, jetzt wo wir mit Handen greifen, dass uns alle, alle Dinge, die uns treffen, fortwahrend zum Besten gereichen. Das Leben jedes Tages und jeder Stunde scheint Nichts mehr zu wollen, als immer nur diesen Satz neu beweisen; sei es was es sei, boses wie gutes Wetter, der Verlust eines Freundes, eine Krankheit, eine Verleumdung, das Ausbleiben eines Briefes, die Verstauchung eines Fusses, ein Blick in einen Verkaufsladen, ein Gegenargument, das Aufschlagen eines Buches, ein Traum, ein Betrug: es erweist sich sofort oder sehr bald nachher als ein Ding, das» nicht fehlen durfte«, — es ist voll tiefen Sinnes und Nutzens gerade fur uns! Giebt es eine gefahrlichere Verfuhrung, den Gottern Epikur's, jenen sorglosen Unbekannten, den Glauben zu kundigen und an irgend eine sorgenvolle und kleinliche Gottheit zu glauben, welche selbst jedes Harchen auf unserem Kopfe personlich kennt und keinen Ekel in der erbarmlichsten Dienstleistung findet? Nun — ich meine trotzalledem! wir wollen die Gotter in Ruhe lassen und die dienstfertigen Genien ebenfalls und uns mit der Annahme begnugen, dass unsere eigene practische und theoretische Geschicklichkeit im Auslegen und Zurechtlegen der Ereignisse jetzt auf ihren Hohepunct gelangt sei. Wir wollen auch nicht zu hoch von dieser Fingerfertigkeit unserer Weisheit denken, wenn uns mitunter die wunderbare Harmonie allzusehr uberrascht, welche beim Spiel auf unserem Instrumente entsteht: eine Harmonie, welche zu gut klingt, als dass wir es wagten, sie uns selber zuzurechnen. In der That, hier und da spielt Einer mit uns — der liebe Zufall: er fuhrt uns gelegentlich die Hand, und die allerweiseste Providenz konnte keine schonere Musik erdenken, als dann dieser unserer thorichten Hand gelingt.

278

Der Gedanke an den Tod. — Es macht mir ein melancholisches Gluck, mitten in diesem Gewirr der Gasschen, der Bedurfnisse, der Stimmen zu leben: wieviel Geniessen, Ungeduld, Begehren, wieviel durstiges Leben und Trunkenheit des Lebens kommt da jeden Augenblick an den Tag! Und doch wird es fur alle diese Larmenden, Lebenden, Lebensdurstigen bald so stille sein! Wie steht hinter jedem sein Schatten, sein dunkler Weggefahrte! Es ist immer wie im letzten Augenblicke vor der Abfahrt eines Auswandererschiffes: man hat einander mehr zu sagen als je, die Stunde drangt, der Ozean und sein odes Schweigen wartet ungeduldig hinter alle dem Larme — so begierig, so sicher seiner Beute. Und Alle, Alle meinen, das Bisher sei Nichts oder Wenig, die nahe Zukunft sei Alles: und daher diese Hast, diess Geschrei, dieses Sich-Uebertauben und Sich-Uebervortheilen! Jeder will der Erste in dieser Zukunft sein, — und doch ist Tod und Todtenstille das einzig Sichere und das Allen Gemeinsame dieser Zukunft! Wie seltsam, dass diese einzige Sicherheit und Gemeinsamkeit fast gar Nichts uber die Menschen vermag und dass sie am Weitesten davon entfernt sind, sich als die Bruderschaft des Todes zu fuhlen! Es macht mich glucklich, zu sehen, dass die Menschen den Gedanken an den Tod durchaus nicht denken wollen! Ich mochte gern Etwas dazu thun, ihnen den Gedanken an das Leben noch hundertmal denkenswerther zumachen.

279

Sternen-Freundschaft. — Wir waren Freunde und sind uns fremd geworden. Aber das ist recht so und wir wollen's uns nicht verhehlen und verdunkeln, — als ob wir uns dessen zu schamen hatten. Wir sind zwei Schiffe, deren jedes sein Ziel und seine Bahn hat; wir konnen uns wohl kreuzen und ein Fest miteinander feiern, wie wir es gethan haben, — und dann lagen die braven Schiffe so ruhig in Einem Hafen und in Einer Sonne, dass es scheinen mochte, sie seien schon am Ziele und hatten Ein Ziel gehabt. Aber dann trieb uns die allmachtige Gewalt unserer Aufgabe wieder auseinander, in verschiedene Meere und Sonnenstriche und vielleicht sehen wir uns nie wieder, — vielleicht auch sehen wir uns wohl, aber erkennen uns nicht wieder: die verschiedenen Meere und Sonnen haben uns verandert! Dass wir uns fremd werden mussen, ist das Gesetz uber uns: eben dadurch sollen wir uns auch ehrwurdiger werden! Eben dadurch soll der Gedanke an unsere ehemalige Freundschaft heiliger werden! Es giebt wahrscheinlich eine ungeheure unsichtbare Curve und Sternenbahn, in der unsere so verschiedenen Strassen und Ziele als kleine Wegstrecken einbegriffen sein mogen, — erheben wir uns zu diesem Gedanken! Aber unser Leben ist zu kurz und unsere Sehkraft zu gering, als dass wir mehr als Freunde im Sinne jener erhabenen Moglichkeit sein konnten. — Und so wollen wir an unsere Sternen-Freundschaft glauben, selbst wenn wir einander Erden-Feinde sein mussten.

280

Architektur der Erkennenden. — Es bedarf einmal und wahrscheinlich bald einmal der Einsicht, was vor Allem unseren grossen Stadten fehlt: stille und weite, weitgedehnte Orte zum Nachdenken, Orte mit hochraumigen langen Hallengangen fur schlechtes oder allzu sonniges Wetter, wohin kein Gerausch der Wagen und der Ausrufer dringt und wo ein feinerer Anstand selbst dem Priester das laute Beten untersagen wurde: Bauwerke und Anlagen, welche als Ganzes die Erhabenheit des Sich-Besinnens und Bei-Seitegehens ausdrucken. Die Zeit ist vorbei, wo die Kirche das Monopol des Nachdenkens besass, wo die vita contemplativa immer zuerst vita religiosa sein musste: und Alles, was die Kirche gebaut hat, druckt diesen Gedanken aus. Ich wusste nicht, wie wir uns mit ihren Bauwerken, selbst wenn sie ihrer kirchlichen Bestimmung entkleidet wurden, genugen lassen konnten; diese Bauwerke reden eine viel zu pathetische und befangene Sprache, als Hauser Gottes und Prunkstatten eines uberweltlichen Verkehrs, als dass wir Gottlosen hier unsere Gedanken denken konnten. Wir wollen uns in Stein und Pflanze ubersetzt haben, wir wollen in uns spazieren gehen, wenn wir in diesen Hallen und Garten wandeln.

281

Das Ende zu finden wissen. — Die Meister des ersten Ranges geben sich dadurch zu erkennen, dass sie im Grossen wie im Kleinen auf eine vollkommene Weise das Ende zu finden wissen, sei es das Ende einer Melodie oder eines Gedankens, sei es der funfte Act einer Tragodie oder Staats-Action. Die ersten der zweiten Stufe werden immer gegen das Ende hin unruhig, und fallen nicht in so stolzem ruhigem Gleichmaasse in's Meer ab, wie zum Beispiel das Gebirge bei Porto fino — dort, wo die Bucht von Genua ihre Melodie zu Ende singt.

Вы читаете Die frohliche Wissenschaft
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ОБРАНЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату