Der Gang. — Es giebt Manieren des Geistes, an denen auch grosse Geister verrathen, dass sie vom Pobel oder Halbpobel herkommen: — der Gang und Schritt ihrer Gedanken ist es namentlich, der den Verrather macht; sie konnen nicht gehen. So konnte auch Napoleon zu seinem tiefen Verdrusse nicht furstenmassig und» legitim «gehen, bei Gelegenheiten, wo man es eigentlich verstehen muss, wie bei grossen Kronungs-Processionen und Aehnlichem: auch da war er immer nur der Anfuhrer einer Colonne — stolz und hastig zugleich und sich dessen sehr bewusst. — Man hat Etwas zum Lachen, diese Schriftsteller zu sehen, welche die faltigen Gewander der Periode um sich rauschen machen: sie wollen so ihre Fusse verdecken.
Vorbereitende Menschen. — Ich begrusse alle Anzeichen dafur, dass ein mannlicheres, ein kriegerisches Zeitalter anhebt, das vor allem die Tapferkeit wieder zu Ehren bringen wird! Denn es soll einem noch hoheren Zeitalter den Weg bahnen und die Kraft einsammeln, welche jenes einmal nothig haben wird, — jenes Zeitalter, das den Heroismus in die Erkenntniss tragt und Kriege fuhrt um der Gedanken und ihrer Folgen willen. Dazu bedarf es fur jetzt vieler vorbereitender tapferer Menschen, welche doch nicht aus dem Nichts entspringen konnen — und ebensowenig aus dem Sand und Schleim der jetzigen Civilisation und Grossstadt-Bildung: Menschen, welche es verstehen, schweigend, einsam, entschlossen, in unsichtbarer Thatigkeit zufrieden und bestandig zu sein: Menschen, die mit innerlichem Hange an allen Dingen nach dem suchen, was an ihnen zu uberwinden ist: Menschen, denen Heiterkeit, Geduld, Schlichtheit und Verachtung der grossen Eitelkeiten ebenso zu eigen ist, als Grossmuth im Siege und Nachsicht gegen die kleinen Eitelkeiten aller Besiegten: Menschen mit einem scharfen und freien Urtheile uber alle Sieger und uber den Antheil des Zufalls an jedem Siege und Ruhme: Menschen mit eigenen Festen, eigenen Werktagen, eigenen Trauerzeiten, gewohnt und sicher im Befehlen und gleich bereit, wo es gilt, zu gehorchen, im Einen wie im Anderen gleich stolz, gleich ihrer eigenen Sache dienend: gefahrdetere Menschen, fruchtbarere Menschen, glucklichere Menschen! Denn, glaubt es mir! — das Geheimniss, um die grosste Fruchtbarkeit und den grossten Genuss vom Dasein einzuernten, heisst: gefahrlich leben! Baut eure Stadte an den Vesuv! Schickt eure Schiffe in unerforschte Meere! Lebt im Kriege mit Euresgleichen und mit euch selber! Seid Rauber und Eroberer, so lange ihr nicht Herrscher und Besitzer sein konnt, ihr Erkennenden! Die Zeit geht bald vorbei, wo es euch genug sein durfte, gleich scheuen Hirschen in Waldern versteckt zu leben! Endlich wird die Erkenntniss die Hand nach dem ausstrecken, was ihr gebuhrt: — sie wird herrschen und besitzen wollen, und ihr mit ihr!
Der Glaube an sich. — Wenige Menschen uberhaupt haben den Glauben an sich: — und von diesen Wenigen bekommen ihn die Einen mit, als eine nutzliche Blindheit oder theilweise Verfinsterung ihres Geistes — (was wurden sie erblicken, wenn sie sich selber auf den Grund sehen konnten!), die Anderen mussen ihn sich erst erwerben: Alles, was sie Gutes, Tuchtiges, Grosses thun, ist zunachst ein Argument gegen den Skeptiker, der in ihnen haust: es gilt, diesen zu uberzeugen oder zu uberreden, und dazu bedarf es beinahe des Genie's. Es sind die grossen Selbst-Ungenugsamen.
Excelsior. — »Du wirst niemals mehr beten, niemals mehr anbeten, niemals mehr im endlosen Vertrauen ausruhen — du versagst es dir, vor einer letzten Weisheit, letzten Gute, letzten Macht stehen zu bleiben und deine Gedanken abzuschirren — du hast keinen fortwahrenden Wachter und Freund fur deine sieben Einsamkeiten — du lebst ohne den Ausblick auf ein Gebirge, das Schnee auf dem Haupte und Gluthen in seinem Herzen tragt — es giebt fur dich keinen Vergelter, keinen Verbesserer letzter Hand mehr — es giebt keine Vernunft in dem mehr, was geschieht, keine Liebe in dem, was dir geschehen wird — deinem Herzen steht keine Ruhestatt mehr offen, wo es nur zu finden und nicht mehr zu suchen hat, du wehrst dich gegen irgend einen letzten Frieden, du willst die ewige Wiederkunft von Krieg und Frieden: — Mensch der Entsagung, in Alledem willst du entsagen? Wer wird dir die Kraft dazu geben? Noch hatte Niemand diese Kraft!«— Es giebt einen See, der es sich eines Tages versagte, abzufliessen, und einen Damm dort aufwarf, wo er bisher abfloss: seitdem steigt dieser See immer hoher. Vielleicht wird gerade jene Entsagung uns auch die Kraft verleihen, mit der die Entsagung selber ertragen werden kann; vielleicht wird der Mensch von da an immer hoher steigen, wo er nicht mehr in einen Gott ausfliesst.
Zwischenrede. — Hier sind Hoffnungen; was werdet ihr aber von ihnen sehen und horen, wenn ihr nicht in euren eigenen Seelen Glanz und Gluth und Morgenrothen erlebt habt? Ich kann nur erinnern — mehr kann ich nicht! Steine bewegen, Thiere zu Menschen machen — wollt ihr das von mir? Ach, wenn ihr noch Steine und Thiere seid, so sucht euch erst euren Orpheus!
Lust an der Blindheit. — »Meine Gedanken, sagte der Wanderer zu seinem Schatten, sollen mir anzeigen, wo ich stehe: aber sie sollen mir nicht verrathen, wohin ich gehe. Ich liebe die Unwissenheit um die Zukunft und will nicht an der Ungeduld und dem Vorwegkosten verheissener Dinge zu Grunde gehen.»
Hohe Stimmungen. — Mir scheint es, dass die meisten Menschen an hohe Stimmungen uberhaupt nicht glauben, es sei denn fur Augenblicke, hochstens Viertelstunden, — jene Wenigen ausgenommen, welche eine langere Dauer des hohen Gefuhls aus Erfahrung kennen. Aber gar der Mensch Eines hohen Gefuhls, die Verkorperung einer einzigen grossen Stimmung sein — das ist bisher nur ein Traum und eine entzuckende Moglichkeit gewesen: die Geschichte giebt uns noch kein sicheres Beispiel davon. Trotzdem konnte sie einmal auch solche Menschen gebaren — dann, wenn eine Menge gunstige Vorbedingungen geschaffen und festgestellt worden sind, die jetzt auch der glucklichste Zufall nicht zusammenzuwurfeln vermag. Vielleicht ware diesen zukunftigen Seelen eben Das der gewohnliche Zustand, was bisher als die mit Schauder empfundene Ausnahme hier und da einmal in unseren Seelen eintrat: eine fortwahrende Bewegung zwischen hoch und tief und das Gefuhl von hoch und tief, ein bestandiges Wie-auf-Treppensteigen und zugleich Wie-auf-Wolken-ruhen.