fast nur Tadel und scharfe Verweise laut werden, — denn das Gutmachen gilt als die Regel, das Verfehlte als die Ausnahme; die Regel aber hat hier wie uberall einen schweigsamen Mund. Mit dieser» Strenge der Wissenschaft «steht es nun wie mit der Form und Hoflichkeit der allerbesten Gesellschaft: — sie erschreckt den Uneingeweihten. Wer aber an sie gewohnt ist, mag gar nicht anderswo leben, als in dieser hellen, durchsichtigen, kraftigen, stark elektrischen Luft, in dieser mannlichen Luft. Ueberall sonst ist es ihm nicht reinlich und luftig genug: er argwohnt, dass dort seine beste Kunst Niemandem recht von Nutzen und ihm selber nicht zur Freude sein werde, dass unter Missverstandnissen ihm sein halbes Leben durch die Finger schlupfe, dass fortwahrend viel Vorsicht, viel Verbergen und Ansichhalten noth thue, — lauter grosse und unnutze Einbussen an Kraft! In diesem strengen und klaren Elemente aber hat er seine Kraft ganz: hier kann er fliegen! Wozu sollte er wieder hinab in jene truben Gewasser, wo man schwimmen und waten muss und seine Flugel missfarbig macht! — Nein! Da ist es zu schwer fur uns, zu leben: was konnen wir dafur, dass wir fur die Luft, die reine Luft geboren sind, wir Nebenbuhler des Lichtstrahls, und dass wir am liebsten auf Aetherstaubchen, gleich ihm, reiten wurden und nicht von der Sonne weg, sondern zu der Sonne hin! Das aber konnen wir nicht: — so wollen wir denn thun, was wir einzig konnen: der Erde Licht bringen,»das Licht der Erde «sein! Und dazu haben wir unsere Flugel und unsere Schnelligkeit und Strenge, um dessenthalben sind wir mannlich und selbst schrecklich, gleich dem Feuer. Mogen Die uns furchten, welche sich nicht an uns zu warmen und zu erhellen verstehen!

294

Gegen die Verleumder der Natur. — Das sind mir unangenehme Menschen, bei denen jeder naturliche Hang sofort zur Krankheit wird, zu etwas Entstellendem oder gar Schmahlichem, — diese haben uns zu der Meinung verfuhrt, die Hange und Triebe des Menschen seien bose; sie sind die Ursache unserer grossen Ungerechtigkeit gegen unsere Natur, gegen alle Natur! Es giebt genug Menschen, die sich ihren Trieben mit Anmuth und Sorglosigkeit uberlassen durfen: aber sie thun es nicht, aus Angst vor jenem eingebildeten» bosen Wesen «der Natur! Daher ist es gekommen, dass so wenig Vornehmheit unter den Menschen zu finden ist: deren Kennzeichen es immer sein wird, vor sich keine Furcht zu haben, von sich nichts Schmahliches zu erwarten, ohne Bedenken zu fliegen, wohin es uns treibt — uns freigeborene Vogel! Wohin wir auch nur kommen, immer wird es frei und sonnenlicht um uns sein.

295

Kurze Gewohnheiten. — Ich liebe die kurzen Gewohnheiten und halte sie fur das unschatzbare Mittel, viele Sachen und Zustande kennen zu lernen und hinab bis auf den Grund ihrer Sussen und Bitterkeiten; meine Natur ist ganz fur kurze Gewohnheiten eingerichtet, selbst in den Bedurfnissen ihrer leiblichen Gesundheit und uberhaupt soweit ich nur sehen kann: vom Niedrigen bis zum Hochsten. Immer glaube ich, diess werde mich nun dauernd befriedigen — auch die kurze Gewohnheit hat jenen Glauben der Leidenschaft, den Glauben an die Ewigkeit — und ich sei zu beneiden, es gefunden und erkannt zu haben: — und nun nahrt es mich am Mittage und am Abende und verbreitet eine tiefe Genugsamkeit um sich und in mich hinein, sodass mich nach Anderem nicht verlangt, ohne dass ich zu vergleichen oder zu verachten oder zu hassen hatte. Und eines Tages hat es seine Zeit gehabt: die gute Sache scheidet von mir, nicht als Etwas, das mir nun Ekel einflosst — sondern friedlich und an mir gesattigt, wie ich an ihm, und wie als ob wir einander dankbar sein mussten und uns so die Hande zum Abschied reichten. Und schon wartet das Neue an der Thure und ebenso mein Glaube — der unverwustliche Thor und Weise! — diess Neue werde das Rechte, das letzte Rechte sein. So geht es mir mit Speisen, Gedanken, Menschen, Stadten, Gedichten, Musiken, Lehren, Tagesordnungen, Lebensweisen. — Dagegen hasse ich die dauernden Gewohnheiten und meine, dass ein Tyrann in meine Nahe kommt und dass meine Lebensluft sich verdickt, wo die Ereignisse sich so gestalten, dass dauernde Gewohnheiten daraus mit Nothwendigkeit zu wachsen scheinen: zum Beispiel durch ein Amt, durch ein bestandiges Zusammensein mit den selben Menschen, durch einen festen Wohnsitz, durch eine einmalige Art Gesundheit. Ja, ich bin allem meinem Elend und Kranksein, und was nur immer unvollkommen an mir ist, — im untersten Grunde meiner Seele erkenntlich gesinnt, weil dergleichen mir hundert Hinterthuren lasst, durch die ich den dauernden Gewohnheiten entrinnen kann. — Das Unertraglichste freilich, das eigentlich Furchterliche, ware mir ein Leben ganz ohne Gewohnheiten, ein Leben, das fortwahrend die Improvisation verlangt: — diess ware meine Verbannung und mein Sibirien.

296

Der feste Ruf. — Der feste Ruf war ehedem eine Sache der aussersten Nutzlichkeit; und wo nur immer die Gesellschaft noch vom Heerden-Instinct beherrscht wird, ist es auch jetzt noch fur jeden Einzelnen am zweckmassigsten, seinen Charakter und seine Beschaftigung als unveranderlich zu geben, — selbst wenn sie es im Grunde nicht sind.»Man kann sich auf ihn verlassen, er bleibt sich gleich«: — das ist in allen gefahrlichen Lagen der Gesellschaft das Lob, welches am meisten zu bedeuten hat. Die Gesellschaft fuhlt mit Genugthuung, ein zuverlassiges, jederzeit bereites Werkzeug in der Tugend Dieses, in dem Ehrgeize jenes, in dem Nachdenken und der Leidenschaft des Dritten zu haben, — sie ehrt diese Werkzeug-Natur, diess Sich-Treubleiben, diese Unwandelbarkeit in Ansichten, Bestrebungen, und selbst in Untugenden, mit ihren hochsten Ehren. Eine solche Schatzung, welche uberall zugleich mit der Sittlichkeit der Sitte bluht und gebluht hat, erzieht» Charaktere «und bringt alles Wechseln, Umlernen, Sich-Verwandeln in Verruf. Diess ist nun jedenfalls, mag sonst der Vortheil dieser Denkweise noch so gross sein, fur die Erkenntniss die allerschadlichste Art des allgemeinen Urtheils: denn gerade der gute Wille des Erkennenden, unverzagt sich jederzeit gegen seine bisherige Meinung zu erklaren und uberhaupt in Bezug auf Alles, was in uns fest werden will, misstrauisch zu sein, — ist hier verurtheilt und in Verruf gebracht. Die Gesinnung des Erkennenden als im Widerspruch mit dem» festen Rufe «gilt als unehrenhaft, wahrend die Versteinerung der Ansichten alle Ehre fur sich hat: — unter dem Banne solcher Geltung mussen wir heute noch leben! Wie schwer lebt es sich, wenn man das Urtheil vieler Jahrtausende gegen sich und um sich fuhlt! Es ist wahrscheinlich, dass viele Jahrtausende die Erkenntniss mit dem schlechten Gewissen behaftet war, und dass viel Selbstverachtung und geheimes Elend in der Geschichte der grossten Geister gewesen sein muss.

297

Widersprechen konnen. — Jeder weiss jetzt, dass Widerspruch-Vertragen-konnen ein hohes Zeichen von Cultur ist. Einige wissen sogar, dass der hohere Mensch den Widerspruch gegen sich wunscht und hervorruft, um einen Fingerzeig uber seine ihm bisher unbekannte Ungerechtigkeit zu bekommen. Aber das Widersprechen-Konnen, das erlangte gute Gewissen bei der Feindseligkeit gegen das Gewohnte, Ueberlieferte, Geheiligte, — das ist mehr als jenes Beides und das eigentlich Grosse, Neue, Erstaunliche unserer Cultur, der Schritt aller Schritte des befreiten Geistes: wer weiss das? —

298

Seufzer. — Ich erhaschte diese Einsicht unterwegs und nahm rasch die nachsten schlechten Worte, sie festzumachen, damit sie mir nicht wieder davonfliege. Und nun ist sie mir an diesen durren Worten gestorben und hangt und schlottert in ihnen — und ich weiss kaum mehr, wenn ich sie ansehe, wie ich ein solches Gluck haben konnte, als ich diesen Vogel fieng.

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