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Was man den Kunstlern ablernen soll. — Welche Mittel haben wir, uns die Dinge schon, anziehend, begehrenswerth zu machen, wenn sie es nicht sind? — und ich meine, sie sind es an sich niemals! Hier haben wir von den Aerzten Etwas zu lernen, wenn sie zum Beispiel das Bittere verdunnen oder Wein und Zucker in den Mischkrug thun; aber noch mehr von den Kunstlern, welche eigentlich fortwahrend darauf aus sind, solche Erfindungen und Kunststucke zu machen. Sich von den Dingen entfernen, bis man Vieles von ihnen nicht mehr sieht und Vieles hinzusehen muss, um sie noch zu sehen — oder die Dinge um die Ecke und wie in einem Ausschnitte sehen — oder sie so stellen, dass sie sich theilweise verstellen und nur perspectivische Durchblicke gestatten — oder sie durch gefarbtes Glas oder im Lichte der Abendrothe anschauen — oder ihnen eine Oberflache und Haut geben, welche keine volle Transparenz hat: das Alles sollen wir den Kunstlern ablernen und im Uebrigen weiser sein, als sie. Denn bei ihnen hort gewohnlich diese ihre feine Kraft auf, wo die Kunst aufhort und das Leben beginnt; wir aber wollen die Dichter unseres Lebens sein, und im Kleinsten und Alltaglichsten zuerst.

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Vorspiele der Wissenschaft. — Glaubt ihr denn, dass die Wissenschaften entstanden und gross geworden waren, wenn ihnen nicht die Zauberer, Alchymisten, Astrologen und Hexen vorangelaufen waren als Die, welche mit ihren Verheissungen und Vorspiegelungen erst Durst, Hunger und Wohlgeschmack an verborgenen und verbotenen Machten schaffen mussten? Ja, dass unendlich mehr hat verheissen werden mussen, als je erfullt werden kann, damit uberhaupt Etwas im Reiche der Erkenntniss sich erfulle? — Vielleicht erscheint in gleicher Weise, wie uns sich hier Vorspiele und Vorubungen der Wissenschaft darstellen, die durchaus nicht als solche geubt und empfunden wurden, auch irgend einem fernen Zeitalter die gesammte Religion als Uebung und Vorspiel: vielleicht konnte sie das seltsame Mittel dazu gewesen sein, dass einmal einzelne Menschen die ganze Selbstgenugsamkeit eines Gottes und alle seine Kraft der Selbsterlosung geniessen konnen: ja! — darf man fragen — wurde denn der Mensch uberhaupt ohne jene religiose Schule und Vorgeschichte es gelernt haben, nach sich Hunger und Durst zu spuren und aus sich Sattheit und Fulle zu nehmen? Musste Prometheus erst wahnen, das Licht gestohlen zu haben und dafur bussen, — um endlich zu entdecken, dass er das Licht geschaffen habe, indem er nach dem Lichte begehrte, und dass nicht nur der Mensch, sondern auch der Gott das Werk seiner Hande und Thon in seinen Handen gewesen sei? Alles nur Bilder des Bildners? — ebenso wie der Wahn, der Diebstahl, der Kaukasus, der Geier und die ganze tragische Prometheia aller Erkennenden?

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Wahn der Contemplativen. — Die hohen Menschen unterscheiden sich von den niederen dadurch, dass sie unsaglich mehr sehen und horen und denkend sehen und horen — und eben diess unterscheidet den Menschen vom Thiere und die oberen Thiere von den unteren. Die Welt wird fur Den immer voller, welcher in die Hohe der Menschlichkeit hinauf wachst; es werden immer mehr Angelhaken des Interesses nach ihm ausgeworfen; die Menge seiner Reize ist bestandig im Wachsen und ebenso die Menge seiner Arten von Lust und Unlust, — der hohere Mensch wird immer zugleich glucklicher und unglucklicher. Dabei aber bleibt ein Wahn sein bestandiger Begleiter: er meint, als Zuschauer und Zuhorer vor das grosse Schau- und Tonspiel gestellt zu sein, welches das Leben ist: er nennt seine Natur eine contemplative und ubersieht dabei, dass er selber auch der eigentliche Dichter und Fortdichter des Lebens ist, — dass er sich freilich vom Schauspieler dieses Drama's, dem sogenannten handelnden Menschen, sehr unterscheidet, aber noch mehr von einem blossen Betrachter und Festgaste vor der Buhne. Ihm, als dem Dichter, ist gewiss vis contemplativa und der Ruckblick auf sein Werk zu eigen, aber zugleich und vorerst die vis creativa, welche dem handelnden Menschen fehlt, was auch der Augenschein und der Allerweltsglaube sagen mag. Wir, die Denkend-Empfindenden, sind es, die wirklich und immerfort Etwas machen, das noch nicht da ist: die ganze ewig wachsende Welt von Schatzungen, Farben, Gewichten, Perspectiven, Stufenleitern, Bejahungen und Verneinungen. Diese von uns erfundene Dichtung wird fortwahrend von den sogenannten practischen Menschen (unsern Schauspielern wie gesagt) eingelernt, eingeubt, in Fleisch und Wirklichkeit, ja Alltaglichkeit ubersetzt. Was nur Werth hat in der jetzigen Welt, das hat ihn nicht an sich, seiner Natur nach, — die Natur ist immer werthlos: — sondern dem hat man einen Werth einmal gegeben, geschenkt, und wir waren diese Gebenden und Schenkenden! Wir erst haben die Welt, die den Menschen Etwas angeht, geschaffen! — Gerade dieses Wissen aber fehlt uns, und wenn wir es einen Augenblick einmal erhaschen, so haben wir es im nachsten wieder vergessen: wir verkennen unsere beste Kraft und schatzen uns, die Contemplativen, um einen Grad zu gering, — wir sind weder so stolz, noch so glucklich, als wir sein konnten.

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Gefahr des Glucklichsten. — Feine Sinne und einen feinen Geschmack haben; an das Ausgesuchte und Allerbeste des Geistes wie an die rechte und nachste Kost gewohnt sein; einer starken, kuhnen, verwegenen Seele geniessen; mit ruhigem Auge und festem Schritt durch das Leben gehen, immer zum Aeussersten bereit, wie zu einem Feste und voll des Verlangens nach unentdeckten Welten und Meeren, Menschen und Gottern; auf jede heitere Musik hinhorchen, als ob dort wohl tapfere Manner, Soldaten, Seefahrer sich eine kurze Rast und Lust machen, und im tiefsten Genusse des Augenblicks uberwaltigt werden von Thranen und von der ganzen purpurnen Schwermuth des Glucklichen: wer mochte nicht, dass das Alles gerade sein Besitz, sein Zustand ware! Es war das Gluck Homer's! Der Zustand Dessen, der den Griechen ihre Gotter, — nein, sich selber seine Gotter erfunden hat! Aber man verberge es sich nicht: mit diesem Glucke Homer's in der Seele ist man auch das leidensfahigste Geschopf unter der Sonne! Und nur um diesen Preis kauft man die kostbarste Muschel, welche die Wellen des Daseins bisher an's Ufer gespult haben! Man wird als ihr Besitzer immer feiner im Schmerz und zuletzt zu fein: ein kleiner Missmuth und Ekel genugte am Ende, um Homer das Leben zu verleiden. Er hatte ein thorichtes Rathselchen, das ihm junge Fischer aufgaben, nicht zu rathen vermocht! ja, die kleinen Rathsel sind die Gefahr der Glucklichsten! —

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Zwei Gluckliche. — Wahrlich, dieser Mensch, trotz seiner Jugend, versteht sich auf die Improvisation des Lebens und setzt auch den feinsten Beobachter in Erstaunen: — es scheint namlich, dass er keinen Fehlgriff thut, ob er schon fortwahrend das gewagteste Spiel spielt. Man wird an jene improvisirenden Meister der Tonkunst erinnert, denen auch der Zuhorer eine gottliche Unfehlbarkeit der Hand zuschreiben mochte, trotzdem, dass sie sich hier und da vergreifen, wie jeder Sterbliche sich vergreift. Aber sie sind geubt und erfinderisch, und im Augenblicke immer bereit, den zufalligsten Ton, wohin ein Wurf des Fingers, eine Laune sie treibt, sofort in das thematische Gefuge einzuordnen und dem Zufalle einen schonen Sinn und eine Seele einzuhauchen. — Hier ist ein ganz anderer Mensch: dem missrath im Grunde Alles, was er will und plant. Das, woran er gelegentlich sein Herz gehangt hat, brachte ihn schon einige Male an den Abgrund und in die nachste Nahe des Unterganges; und wenn er dem noch entwischte, so doch gewiss nicht nur» mit einem blauen Auge«. Glaubt ihr, dass er daruber unglucklich ist? Er hat langst bei sich beschlossen, eigene Wunsche und Plane nicht so wichtig zu nehmen.»Gelingt mir Diess nicht, so redet er sich zu, dann gelingt mir vielleicht jenes; und im Ganzen

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