weiss ich nicht, ob ich nicht meinem Misslingen mehr zu Danke verpflichtet bin, als irgend welchem Gelingen. Bin ich dazu gemacht, eigensinnig zu sein und die Horner des Stieres zu tragen? Das, was mir Werth und Ergebniss des Lebens ausmacht, liegt wo anders; mein Stolz und ebenso mein Elend liegt wo anders. Ich weiss mehr vom Leben, weil ich so oft daran war, es zu verlieren: und eben darum habe ich mehr vom Leben, als ihr Alle!»
Indem wir thun, lassen wir. — Im Grunde sind mir alle jene Moralen zuwider, welche sagen:»Thue diess nicht! Entsage! Ueberwinde dich!«— ich bin dagegen jenen Moralen gut, welche mich antreiben, Etwas zu thun und wieder zu thun und von fruh bis Abend, und Nachts davon zu traumen, und an gar Nichts zu denken als: diess gut zu thun, so gut als es eben mir allein moglich ist! Wer so lebt, von dem fallt fortwahrend Eins um das Andere ab, was nicht zu einem solchen Leben gehort: ohne Hass und Widerwillen sieht er heute Diess und morgen Jenes von sich Abschied nehmen, den vergilbten Blattern gleich, welche jedes bewegtere Luftchen dem Baume entfuhrt: oder er sieht gar nicht, dass es Abschied nimmt, so streng blickt sein Auge nach seinem Ziele und uberhaupt vorwarts, nicht seitwarts, ruckwarts, abwarts.»Unser Thun soll bestimmen, was wir lassen: indem wir thun, lassen wir«— so gefallt es mir, so lautet mein placitum. Aber ich will nicht mit offenen Augen meine Verarmung anstreben, ich mag alle negativen Tugenden nicht, — Tugenden, deren Wesen das Verneinen und Sichversagen selber ist.
Selbstbeherrschung. — Jene Morallehrer, welche zuerst und zuoberst dem Menschen anbefehlen, sich in seine Gewalt zu bekommen, bringen damit eine eigenthumliche Krankheit uber ihn: namlich eine bestandige Reizbarkeit bei allen naturlichen Regungen und Neigungen und gleichsam eine Art Juckens. Was auch furderhin ihn stossen, ziehen, anlocken, antreiben mag, von innen oder von aussen her — immer scheint es diesem Reizbaren, als ob jetzt seine Selbstbeherrschung in Gefahr gerathe: er darf sich keinem Instincte, keinem freien Flugelschlage mehr anvertrauen, sondern steht bestandig mit abwehrender Gebarde da, bewaffnet gegen sich selber, scharfen und misstrauischen Auges, der ewige Wachter seiner Burg, zu der er sich gemacht hat. Ja, er kann gross damit sein! Aber wie unausstehlich ist er nun fur Andere geworden, wie schwer fur sich selber, wie verarmt und abgeschnitten von den schonsten Zufalligkeiten der Seele! Ja auch von aller weiteren Belehrung! Denn man muss sich auf Zeiten verlieren konnen, wenn man den Dingen, die wir nicht selber sind, Etwas ablernen will.
Stoiker und Epikureer. — Der Epikureer sucht sich die Lage, die Personen und selbst die Ereignisse aus, welche zu seiner ausserst reizbaren intellectuellen Beschaffenheit passen, er verzichtet auf das Uebrige — das heisst das Allermeiste —, weil es eine zu starke und schwere Kost fur ihn sein wurde. Der Stoiker dagegen ubt sich, Steine und Gewurm, Glassplitter und Skorpionen zu verschlucken und ohne Ekel zu sein; sein Magen soll endlich gleichgultig gegen Alles werden, was der Zufall des Daseins in ihn schuttet: — er erinnert an jene arabische Secte der Assaua, die man in Algier kennen lernt; und gleich diesen Unempfindlichen hat auch er gerne ein eingeladenes Publicum bei der Schaustellung seiner Unempfindlichkeit, dessen gerade der Epikureer gerne entrath: — der hat ja seinen» Garten!«Fur Menschen, mit denen das Schicksal improvisirt, fur solche, die in gewaltsamen Zeiten und abhangig von plotzlichen und veranderlichen Menschen leben, mag der Stoicismus sehr rathsam sein. Wer aber einigermaassen absieht, dass das Schicksal ihm einen langen Faden zu spinnen erlaubt, thut wohl, sich epikureisch einzurichten; alle Menschen der geistigen Arbeit haben es bisher gethan! Ihnen ware es namlich der Verlust der Verluste, die feine Reizbarkeit einzubussen und die stoische harte Haut mit Igelstacheln dagegen geschenkt zu bekommen.
Zu Gunsten der Kritik. — Jetzt erscheint dir Etwas als Irrthum, das du ehedem als eine Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit geliebt hast: du stosst es von dir ab und wahnst, dass deine Vernunft darin einen Sieg erfochten habe. Aber vielleicht war jener Irrthum damals, als du noch ein Anderer warst — du bist immer ein Anderer —, dir ebenso nothwendig wie alle deine jetzigen» Wahrheiten«, gleichsam als eine Haut, die dir Vieles verhehlte und verhullte, was du noch nicht sehen durftest. Dein neues Leben hat jene Meinung fur dich getodtet, nicht deine Vernunft: du brauchst sie nicht mehr, und nun bricht sie in sich selbst zusammen, und die Unvernunft kriecht wie ein Gewurm aus ihr an's Licht. Wenn wir Kritik uben, so ist es nichts Willkurliches und Unpersonliches, — es ist, wenigstens sehr oft, ein Beweis davon, dass lebendige treibende Krafte in uns da sind, welche eine Rinde abstossen. Wir verneinen und mussen verneinen, weil Etwas in uns leben und sich bejahen will, Etwas, das wir vielleicht noch nicht kennen, noch nicht sehen! — Diess zu Gunsten der Kritik.
Die Geschichte jedes Tages. — Was macht bei dir die Geschichte jedes Tages? Siehe deine Gewohnheiten an, aus denen sie besteht: sind sie das Erzeugniss zahlloser kleiner Feigheiten und Faulheiten oder das deiner Tapferkeit und erfinderischen Vernunft? So verschieden beide Falle sind, es ware moglich, dass die Menschen dir das gleiche Lob spendeten und dass du ihnen auch wirklich so wie so den gleichen Nutzen brachtest. Aber Lob und Nutzen und Respectabilitat mogen genug fur Den sein, der nur ein gutes Gewissen haben will, — nicht aber fur dich Nierenprufer, der du ein Wissen um das Gewissen hast!
Aus der siebenten Einsamkeit. — Eines Tages warf der Wanderer eine Thur hinter sich zu, blieb stehen und weinte. Dann sagte er:»Dieser Hang und Drang zum Wahren, Wirklichen, Un-Scheinbaren, Gewissen! Wie bin ich ihm bose! Warum folgt mir gerade dieser dustere und leidenschaftliche Treiber! Ich mochte ausruhen, aber er lasst es nicht zu. Wie Vieles verfuhrt mich nicht, zu verweilen! Es giebt uberall Garten Armidens fur mich: und daher immer neue Losreissungen und neue Bitternisse des Herzens! Ich muss den Fuss weiter heben, diesen muden, verwundeten Fuss: und weil ich muss, so habe ich oft fur das Schonste, das mich nicht halten konnte, einen grimmigen Ruckblick, — weil es mich nicht halten konnte!»
Wille und Welle. — Wie gierig kommt diese Welle heran, als ob es Etwas zu erreichen galte! Wie kriecht sie mit furchterregender Hast in die innersten Winkel des felsigen Gekluftes hinein! Es scheint, sie will Jemandem zuvorkommen; es scheint, dass dort Etwas versteckt ist, das Werth, hohen Werth