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Auf die Schiffe! — Erwagt man, wie auf jeden Einzelnen eine philosophische Gesammt-Rechtfertigung seiner Art, zu leben und zu denken, wirkt — namlich gleich einer warmenden, segnenden, befruchtenden, eigens ihm leuchtenden Sonne, wie sie unabhangig von Lob und Tadel, selbstgenugsam, reich, freigebig an Gluck und Wohlwollen macht, wie sie unaufhorlich das Bose zum Guten umschafft, alle Krafte zum Bluhen und Reifwerden bringt und das kleine und grosse Unkraut des Grams und der Verdriesslichkeit gar nicht aufkommen lasst: — so ruft man zuletzt verlangend aus: oh dass doch viele solche neue Sonnen noch geschaffen wurden! Auch der Bose, auch der Ungluckliche, auch der Ausnahme-Mensch soll seine Philosophie, sein gutes Recht, seinen Sonnenschein haben! Nicht Mitleiden mit ihnen thut noth! — diesen Einfall des Hochmuths mussen wir verlernen, so lange auch bisher die Menschheit gerade an ihm gelernt und geubt hat — keine Beichtiger, Seelenbeschworer und Sundenvergeber haben wir fur sie aufzustellen! Sondern eine neue Gerechtigkeit thut noth! Und eine neue Losung! Und neue Philosophen! Auch die moralische Erde ist rund! Auch die moralische Erde hat ihre Antipoden! Auch die Antipoden haben ihr Recht des Daseins! Es giebt noch eine andere Welt zu entdecken — und mehr als eine! Auf die Schiffe, ihr Philosophen!

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Eins ist Noth. — Seinem Charakter» Stil geben«— eine grosse und seltene Kunst! Sie ubt Der, welcher Alles ubersieht, was seine Natur an Kraften und Schwachen bietet, und es dann einem kunstlerischen Plane einfugt, bis ein jedes als Kunst und Vernunft erscheint und auch die Schwache noch das Auge entzuckt. Hier ist eine grosse Masse zweiter Natur hinzugetragen worden, dort ein Stuck erster Natur abgetragen: — beidemal mit langer Uebung und taglicher Arbeit daran. Hier ist das Hassliche, welches sich nicht abtragen liess, versteckt, dort ist es in's Erhabene umgedeutet. Vieles Vage, der Formung Widerstrebende ist fur Fernsichten aufgespart und ausgenutzt worden: — es soll in das Weite und Unermessliche hinaus winken. Zuletzt, wenn das Werk vollendet ist, offenbart sich, wie es der Zwang des selben Geschmacks war, der im Grossen und Kleinen herrschte und bildete: ob der Geschmack ein guter oder ein schlechter war, bedeutet weniger, als man denkt, — genug, dass es Ein Geschmack ist! — Es werden die starken, herrschsuditigen Naturen sein, welche in einem solchen Zwange, in einer solchen Gebundenheit und Vollendung unter dem eigenen Gesetz ihre feinste Freude geniessen; die Leidenschaft ihres gewaltigen Wollens erleichtert sich beim Anblick aller stilisirten Natur, aller besiegten und dienenden Natur; auch wenn sie Palaste zu bauen und Garten anzulegen haben, widerstrebt es ihnen, die Natur frei zu geben. — Umgekehrt sind es die schwachen, ihrer selber nicht machtigen Charaktere, welche die Gebundenheit des Stils hassen: sie fuhlen, dass, wenn ihnen dieser bitterbose Zwang auferlegt wurde, sie unter ihm gemein werden mussten: — sie werden Sclaven, sobald sie dienen, sie hassen das Dienen. Solche Geister — es konnen Geister ersten Rangs sein — sind immer darauf aus, sich selber und ihre Umgebungen als freie Natur — wild, willkurlich, phantastisch, unordentlich, uberraschend — zu gestalten oder auszudeuten.- und sie thun wohl daran, weil sie nur so sich selber wohlthun! Denn Eins ist Noth: dass der Mensch seine Zufriedenheit mit sich erreiche — sei es nun durch diese oder jene Dichtung und Kunst: nur dann erst ist der Mensch uberhaupt ertraglich anzusehen! Wer mit sich unzufrieden ist, ist fortwahrend bereit, sich dafur zu rachen: wir Anderen werden seine Opfer sein, und sei es auch nur darin, dass wir immer seinen hasslichen Anblick zu ertragen haben. Denn der Anblick des Hasslichen macht schlecht und duster.

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Genua. — Ich habe mir diese Stadt, ihre Landhauser und Lustgarten und den weiten Umkreis ihrer bewohnten Hohen und Hange eine gute Weile angesehen; endlich muss ich sagen: ich sehe Gesichter aus vergangenen Geschlechtern, — diese Gegend ist mit den Abbildern kuhner und selbstherrlicher Menschen ubersaet. Sie haben gelebt und haben fortleben wollen — das sagen sie mir mit ihren Hausern, gebaut und geschmuckt fur Jahrhunderte und nicht fur die fluchtige Stunde: sie waren dem Leben gut, so bose sie oft gegen sich gewesen sein mogen. Ich sehe immer den Bauenden, wie er mit seinen Blicken auf allem fern und nah um ihn her Gebauten ruht und ebenso auf Stadt, Meer und Gebirgslinien, wie er mit diesem Blick Gewalt und Eroberung ausubt. Alles diess will er seinem Plane einfugen und zuletzt zu seinem Eigenthum machen, dadurch dass es ein Stuck desselben wird. Diese ganze Gegend ist mit dieser prachtvollen unersattlichen Selbstsucht der Besitz- und Beutelust uberwachsen; und wie diese Menschen in der Ferne keine Grenze anerkannten und in ihrem Durste nach Neuem eine neue Welt neben die alte hinstellten, so emporte sich auch in der Heimat immer noch jeder gegen jeden und erfand eine Weise, seine Ueberlegenheit auszudrucken und zwischen sich und seinen Nachbar seine personliche Unendlichkeit dazwischen zu legen. Jeder eroberte sich seine Heimat noch einmal fur sich, indem er sie mit seinen architektonischen Gedanken uberwaltigte und gleichsam zur Augenweide seines Hauses umschuf. Im Norden imponirt das Gesetz und die allgemeine Lust an Gesetzlichkeit und Gehorsam, wenn man die Bauweise der Stadte ansieht: man errath dabei jenes innerliche Sich-Gleichsetzen, Sich-Einordnen, welches die Seele aller Bauenden beherrscht haben muss. Hier aber findest du, um jede Ecke biegend, einen Menschen fur sich, der das Meer, das Abenteuer und den Orient kennt, einen Menschen, welcher dem Gesetze und dem Nachbar wie einer Art von Langerweile abhold ist und der alles schon Begrundete, Alte mit neidischen Blicken misst: er mochte, mit einer wundervollen Verschmitztheit der Phantasie, diess Alles mindestens im Gedanken noch einmal neu grunden, seine Hand darauf-, seinen Sinn hineinlegen — sei es auch nur fur den Augenblick eines sonnigen Nachmittags, wo seine unersattliche und melancholische Seele einmal Sattheit fuhlt, und seinem Auge nur Eigenes und nichts Fremdes mehr sich zeigen darf.

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An die Moral-Prediger. — Ich will keine Moral machen, aber Denen, welche es thun, gebe ich diesen Rath: wollt ihr die besten Dinge und Zustande zuletzt um alle Ehre und Werth bringen, so fahrt fort, sie in den Mund zu nehmen, wie bisher! Stellt sie an die Spitze eurer Moral und redet von fruh bis Abend von dem Gluck der Tugend, von der Ruhe der Seele, von der Gerechtigkeit und der immanenten Vergeltung: so wie ihr es treibt, bekommen alle diese guten Dinge dadurch endlich eine Popularitat und ein Geschrei der Gasse fur sich: aber dann wird auch alles Gold daran abgegriffen sein und mehr noch: alles Gold darin wird sich in Blei verwandelt haben. Wahrlich, ihr versteht euch auf die umgekehrte Kunst der Alchymie, auf die Entwerthung des Werthvollsten! Greift einmal zum Versuche nach einem andern Recepte, um nicht wie bisher das Gegentheil von dem, was ihr sucht, zu erreichen: leugnet jene guten Dinge, entzieht ihnen den Pobel-Beifall und den leichten Umlauf, macht sie wieder zu verborgenen Schamhaftigkeiten einsamer Seelen, sagt, Moral sei etwas Verbotenes! Vielleicht gewinnt ihr so die Art von Menschen fur diese Dinge, auf welche einzig Etwas ankommt, ich meine die Heroischen. Aber dann muss Etwas zum Furchten daran sein und nicht, wie bisher, zum Ekeln! Mochte man nicht heute in Hinsicht der Moral sagen, wie Meister Eckardt:»ich bitte Gott, dass er mich quitt mache Gottes!»

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Unsere Luft. — Wir wissen es wohl: wer nur wie im Spazierengehen einmal einen Blick nach der Wissenschaft hin thut, nach Art der Frauen und leider auch vieler Kunstler: fur den hat die Strenge ihres Dienstes, diese Unerbittlichkeit im Kleinen wie im Grossen, diese Schnelligkeit im Wagen, Urtheilen, Verurtheilen etwas Schwindel- und Furchteinflossendes. Namentlich erschreckt ihn, wie hier das Schwerste gefordert, das Beste gethan wird, ohne dass dafur Lob und Auszeichnungen da sind, vielmehr, wie unter Soldaten,

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