wenn ich hier bei dir bleibe«, antwortete Kitty.
»Unsinn«, sagte Sutherland. »Karen und ich kommen wunderbar allein zurecht. Im Gegenteil, es wird direkt eine Wohltat sein, Sie fur ein paar Tage los zu sein, ganz abgesehen davon, da? Ari aussieht, als konnte er ein bi?chen Ruhe gut gebrauchen.«
Kitty lachte. »Mir scheint, Ari, die beiden stecken unter einer Decke. Und jetzt bleibt Ihnen gar nichts anderes mehr ubrig, als mich mitzunehmen.«
»Was mir sehr recht ist«, sagte er.
X.
Zeitig am anderen Morgen fuhr Ari mit Kitty zum See Genezareth. Sie kamen in das Ginossartal, das sich an seinem nordlichen Ufer entlangzog. Auf der anderen Seite des Sees erhoben sich uber dieser tief unter dem Meeresspiegel gelegenen Stelle die braunen, verwitterten Hohen der syrischen Berge, und die Luft stand schwul uber der Erde.
Am Ufer des Sees hielt Ari an und fuhrte Kitty zu den Ruinen der Synagoge von Kapernaum. Hier hatte Jesus gelehrt und Menschen geheilt. Langst vergessene Worte fielen Kitty wieder ein. »Als nun Jesus an dem galilaischen Meer ging, sah er zwei Bruder, Simon, der da hei?t Petrus, und Andreas, seinen Bruder, die warfen ihre Netze ins Meer; denn sie waren Fischer. Und er sprach zu ihnen: Folget mir nach; ich will euch zu Menschenfischern machen.«
Es war, als sei Jesus noch immer gegenwartig. Am Rande des Wassers warfen Fischer ihre Netze aus. Nicht weit davon graste eine kleine Herde schwarzer Ziegen, die von einem in Lumpen gehullten Hirten bewacht wurde, der sich auf seinen Stock stutzte. Hier schien die Zeit stillzustehen.
Dann fuhrte Ari sie zu der ein kurzes Stuck von Kapernaum entfernten Kirche, die die Stelle bezeichnete, wo das Wunder der Speisung der Viertausend stattgefunden hatte. Der Boden der Kirche war mit einem byzantinischen Mosaik geschmuckt, auf dem Kormorane dargestellt waren, Reiher, Enten und andere Vogel, die noch heute den See bevolkerten.
Danach gingen sie auf den Berg der Seligpreisungen weiter zu einer kleinen Kapelle, die auf der Hohe stand, wo Jesus die Bergpredigt gehalten hatte.
»Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolget werden; denn das Himmelreich ist ihrer. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmahen und verfolgen und reden allerlei Ubles wider euch, so sie daran lugen. Seid frohlich und getrost, es wird euch im Himmel wohl belohnet werden. Denn also haben sie verfolget die Propheten, die vor euch gewesen sind.«
Das waren Seine Worte, gesprochen an dieser Stelle. Sie fuhren durch das verschlafene Araberdorf Migdal, den Geburtsort der Maria Magdalena. Sie verlie?en die Ebene von Hattin und fuhren durch ein Land, das mit einem roten Teppich wildwachsender Blumen bedeckt war.
»Wie rot diese Blumen sind«, sagte Kitty. »Halten Sie bitte einen Augenblick an, Ari.«
Er fuhr an den Rand der Stra?e, und Kitty stieg aus. Sie pfluckte eine der Blumen und sah sie sich genauer an. »So etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen«, sagte sie leise und mit unsicherer Stimme.
»In dieser Gegend lebten die alten Makkabaer in Hohlen. Diese Blumen gibt es auf der ganzen Welt nur an dieser Stelle hier. Man nennt sie: Makkabaerblut.«
Kitty betrachtete die Blute, die sie in der Hand hielt. Sie sah aus, als sei sie mit Blutstropfen bedeckt. Kitty lie? sie rasch zu Boden fallen und wischte die Hand an ihrem Rock ab.
Dieses Land uberwaltigte sie! Nicht einmal die wilden Blumen erlaubten es einem, es einen Augenblick lang zu vergessen. Es kroch in einen hinein, auf der Erde und aus der Luft, und es war qualend und wie ein Fluch.
Kitty Fremont hatte Angst. Ihr wurde klar, da? sie unverzuglich aus Palastina abreisen mu?te; denn je mehr sie sich gegen dies Land zur Wehr setzte, desto mehr verfiel sie ihm.
Sie erreichten Tiberias vom Norden her, fuhren durch den modernen judischen Vorort Kiryat Schmuel — Samuelsdorf —, kamen wieder an einem gro?en Teggart-Fort vorbei und fuhren von dem hoher gelegenen Vorort in die Altstadt hinunter, die auf gleicher Hohe wie der See lag. Die Hauser waren gro?tenteils aus schwarzem Basalt, und auf den umliegenden Hohen wimmelte es von den Grabstatten alter beruhmter Hebraer.
Sie fuhren durch die Stadt und zu dem am See gelegenen Hotel Galilaa. Es war inzwischen Mittag und sehr hei? geworden. Zum Mittagessen gab es Fisch. Kitty a? nur wenig und sprach kaum ein Wort. Sie wunschte, sie ware nicht mitgekommen.
»Die heiligste aller heiligen Statten habe ich Ihnen noch gar nicht gezeigt«, sagte Ari.
»Und welche ist das?«
»Der Kibbuz Schoschana — dort bin ich namlich geboren.«
Kitty lachelte. Ari hatte offenbar bemerkt, in welcher Verwirrung sie sich befand, und versuchte, sie aufzuheitern. »Wo liegt denn dieser heilige Ort?« fragte sie.
»Einige Meilen von hier, an der Stelle, wo der Jordan in den See mundet. Wie man mir erzahlt hat, ware ich ubrigens beinahe in der turkischen Polizeiwache von Tiberias zur Welt gekommen. Im Winter wimmelt es hier in Tiberias von Touristen. Jetzt ist die Saison schon voruber. Dafur haben wir jedenfalls den See ganz fur uns allein. Was halten Sie davon, schwimmen zu gehen?«
»Das scheint mir eine sehr gute Idee«, sagte Kitty.
Neben dem Hotel erstreckte sich ein langer Pier aus Basalt rund vierzig Meter weit in den See. Ari war nach dem Essen als erster dort. Kitty ertappte sich dabei, wie sie seinen Korper betrachtete, als sie vom Hotel zum Pier ging. Er war schlank und trotzdem muskulos. Ari winkte ihr zu.
»Hallo«, rief sie. »Sind Sie schon im Wasser gewesen?«
»Nein, ich habe auf Sie gewartet.«
»Wie tief ist es denn am Ende des Piers?«
»Ungefahr drei Meter. Schaffen Sie es, bis zu dem Flo? dort drau?en zu schwimmen?«
»Na, wir konnen ja mal sehen, wer von uns beiden eher dort ist.« Kitty lie? ihren Bademantel fallen und setzte ihre Badekappe auf. Ari musterte sie unverhohlen. Ihr Korper hatte nicht die eckige Stammigkeit eines Sabremadchens, sondern weiche Rundungen, wie sie dem Bild der Amerikanerin entsprachen. Ihre Blicke trafen sich, und beide sahen ein bi?chen verlegen aus.
Sie rannte an ihm vorbei und sprang ins Wasser. Ari sprang hinterher. Uberrascht stellte er fest, da? es ihm nur mit knapper Not gelang, sie einzuholen und wenigstens einen kleinen Vorsprung zu gewinnen. Kitty kraulte in einem eleganten und flussigen Stil, der ihn notigte, seine ganze Kraft einzusetzen. Atemlos und lachend kletterten sie auf das Flo?.
»Sie haben ein ganz schones Tempo vorgelegt«, sagte er.
»Ich hatte vergessen, zu erwahnen —.«
»Ich wei?, ich wei? — Sie waren auf dem College Mitglied der Schwimmriege der Studentinnen.«
Sie lag auf dem Rucken und atmete tief und befreit. Das kuhle Wasser hatte sie erfrischt und schien die Beklommenheit von ihr genommen zu haben.
Es war schon spat am Nachmittag, als sie zum Hotel zuruckkehrten. Sie tranken auf der Veranda einen Cocktail und zogen sich dann auf ihre Zimmer zuruck, um vor dem Abendessen noch ein wenig auszuruhen.
Ari, der in den letzten Wochen wenig Ruhe gehabt hatte, war sofort eingeschlafen, als er sich hinlegte. Im Zimmer nebenan ging Kitty unruhig auf und ab. Sie hatte die Erregung des Vormittags weitgehend uberwunden, doch noch immer war sie ein wenig von der mystischen Gewalt benommen, die dieses Land besa?. Sie sehnte sich danach, zu einem normalen, vernunftigen Leben zuruckzukehren, das nach einem bestimmten Plan ablief. Sie redete sich ein, da? das eine Medizin sei, die auch Karen notiger brauchte als irgend etwas anderes, und sie entschlo? sich, diese Frage bei nachster Gelegenheit mit Karen zu besprechen.
Gegen Abend war es angenehm kuhl geworden; eine erfrischende Brise drang zum Fenster herein. Kitty begann, sich zum Abendessen umzuziehen. Sie offnete ihren Kleiderschrank und musterte die drei Kleider, die darin hingen. Etwas zogernd nahm sie schlie?lich eines davon vom Bugel. Es war das Kleid, das sich Jordana bat Kanaan an dem Tag, an dem sie miteinander Streit bekommen hatten, aus ihrem Kleiderschrank genommen hatte. Sie dachte, wie Ari sie heute auf dem Pier angesehen hatte. Es war ihr nicht unangenehm gewesen. Das tragerlose, eng anliegende Kleid betonte ihre Formen.
Alle Manner im Hotel machten gro?e Augen, als Kitty herunterkam; Ari stand wie angewurzelt da, als er sie durch die Halle herankommen sah. Als sie bei ihm angelangt war, wurde ihm plotzlich klar, da? er sie anstarrte. Er fa?te sich aber sofort und sagte: »Ich habe eine Uberraschung fur Sie. Im Kibbuz Ejn Gev, druben am anderen Ufer, findet heute abend ein Konzert statt. Sobald wir gegessen haben, fahren wir hinuber.«