endlich die Stra?e zum Karmelberg hinauffuhr.
»Alle Dorfer der Drusen liegen sehr hoch«, sagte Mussa. »Wir sind eine kleine Minderheit und mussen uns verteidigen. Aber jetzt dauert es nur noch ein paar Minuten, dann sind wir in Daliyat.«
Kitty nahm sich zusammen, als sie den Ort erreichten und langsam durch die engen Stra?en fuhren.
Daliyat el Karmil schien wirklich auf dem Dach der Welt zu liegen. Die Hauser waren blendend wei? und die Stra?en musterhaft sauber, sehr im Gegensatz zu dem verdreckten und verkommenen Zustand der meisten Araberdorfer. Die Manner trugen fast alle Schnurrbarte und westliche Kleidung. Ihre Kopfbedeckung unterschied sich von der der anderen Araber. Der auffalligste Unterschied aber war ihre wurdevolle Haltung und ihre stolze Miene, die deutlich zu erkennen gab, da? diese Manner zu kampfen wu?ten. Die Frauen waren auffallend hubsch, die Kinder kraftig und munter.
Der Ort wimmelte von Hochzeitsgasten. Zu Hunderten waren sie aus allen anderen Drusendorfern des Karmelberges gekommen. Au?erdem waren Juden aus dem Kibbuz Yagur, sogar aus Haifa herbeigereist.
Der Wagen fuhr langsam an dem Gemeindehaus vorbei, wo die mannlichen Gaste Schlange standen, um dem Brautigam zu gratulieren und die Dorfaltesten zu begru?en. Auf einer Veranda neben dem Gemeindehaus stand eine funfundzwanzig Meter lange Tafel, beladen mit Obst, Reis und Lammerfleisch, mit Wein, Schnaps und gefullten Kurbissen. In einem unablassigen Strom bewegten sich die Frauen auf die Veranda zu und balancierten Schusseln mit Speisen fur die Festtafel auf ihren Kopfen.
Ein Stuck hinter dem Gemeindehaus hielt Mussa an. Einige Dorfbewohner kamen heran, um die Kinder zu begru?en. Die Kinder stiegen aus und marschierten mit ihren Schlafrollen zu ihrem Campingplatz, um ihre Zelte aufzuschlagen und dann zuruckzukehren, um an den Festlichkeiten teilzunehmen.
Mussa bog von der Hauptstra?e in eine schmale Nebenstra?e ab, die einen steilen Abhang hinunterfuhrte. Er schaltete den ersten Gang ein und bremste. Die drei stiegen rasch aus. Kitty nahm ihren kleinen Kasten fur Erste Hilfe und ging hinter Mussa her. Beim letzten Haus des Dorfes blieben sie stehen. Es wurde von einer kleinen Gruppe bewaffneter Drusen scharf bewacht.
Mussa machte die Tur auf. Kitty holte tief Luft und trat ein. Im Haus standen vor einer Zimmertur zwei weitere Wachtposten. Kitty drehte sich zu Karen um.
»Bleib hier drau?en. Ich rufe dich, wenn ich dich brauche. Mussa, kommen Sie bitte mit herein.«
In dem Schlafzimmer war es dunkel, und die Luft war kuhl. Kitty horte ein Stohnen. Sie ging rasch zum Fenster und stie? die Fensterladen auf.
Ari lag auf einem Doppelbett. Seine Hande hielten zwei der Messingstabe des Kopfendes umklammert, wahrend er sich vor Schmerzen wand. Kitty schlug die Bettdecke zuruck. Seine Hosen und das Bettuch waren dunkel von Blut.
»Helfen Sie mir, ihm die Hosen auszuziehen«, sagte Kitty. Mussa sah sie erstaunt an.
»Schon gut«, sagte sie. »Dann storen sie mich wenigstens nicht. Ich sage Ihnen Bescheid, wenn ich Sie brauche.«
Vorsichtig schnitt sie den Stoff der Hosenbeine auf. Aris Puls war verhaltnisma?ig kraftig und regelma?ig. Sie verglich die beiden Beine. Das verwundete Bein sah nicht auffallig geschwollen aus, und Ari schien auch keinen allzu heftigen Blutverlust gehabt zu haben. Kitty war erleichtert; sie wu?te jetzt, da? er sich nicht in unmittelbarer Lebensgefahr befand. Rasch und energisch ging sie an die Arbeit.
»Mussa — bringen Sie mir Seife und Wasser und ein paar saubere Handtucher. Ich mochte mir die Wunde etwas genauer ansehen.«
Sie wusch sich die Hande und sauberte behutsam die Umgebung der Wunde. Der Oberschenkel war verfarbt, und aus der geschwollenen Einschu?stelle sickerte Blut.
Aris Lider zuckten, und er schlug kurz die Augen auf. »Kitty?«
»Ja, ich bin da.«
»Gott sei Dank.«
»Was haben Sie bisher damit gemacht, Ari?«
»Ich habe gestern Sulfonamid drauf getan. Ich hatte mir einen Druckverband gemacht, aber es schien nicht sonderlich stark zu bluten.«
»Ich mochte die Wunde untersuchen. Aber es wird weh tun.«
»Bitte, tun Sie es.«
Er stohnte, als sie die Umgebung des Einschusses abtastete. Der kalte Schwei? brach ihm aus. Er umklammerte die Messingstabe und ruttelte daran. Kitty horte rasch mit ihrer Untersuchung auf. Ari zitterte minutenlang. Sie wischte ihm mit einem feuchen Tuch das Gesicht ab.
»Konnen Sie mit mir reden, Ari?«
»Es vergeht wieder«, sagte er. »Es kommt und geht, wie in Wellen. Ich stelle mich ganz schon an mit so einem lappischen Schu? ins Bein. Aber was ist da blo? los?«
»Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Geschosse benehmen sich manchmal sonderbar. Man kann nie wissen, welchen Weg sie nehmen. Puls und Atmung sind gut bei Ihnen. Ihr Bein ist nicht geschwollen, mit Ausnahme der unmittelbaren Umgebung des Einschusses.«
»Und was bedeutet das?«
»Ich wurde sagen, es bedeutet, da? Sie keine innere Blutung gehabt haben. Das Gescho? hat also keine gro?e Schlagader getroffen. Ich kann auch nichts von irgendeiner Infektion erkennen. Ich glaube, da? Sie gro?es Gluck hatten, wobei mir allerdings nicht gefallt, da? Sie solche Schmerzen haben.«
»Ich bin alle paar Stunden ohnmachtig geworden«, sagte er.
»Bei?en Sie die Zahne zusammen. Ich mochte die Stelle noch einmal abtasten.«
Ari bi? die Zahne zusammen, doch er konnte die Untersuchung nur einige Sekunden lang aushalten. Er schrie laut auf, kam mit einem Ruck im Bett hoch und fiel dann achzend zuruck.
»Dieses verdammte Ding bringt mich noch um!«
Er krallte die Hande in das Laken und drehte den Kopf zur Seite. Zehn Minuten lang wurde er von krampfartigen Schmerzen geschuttelt. Dann verebbte der Anfall, und er sank schlaff zuruck. »Kitty«, sagte er, »was kann das blo? sein? Herrgott noch mal, ich kann das nicht mehr lange aushallen.«
»Konnten Sie noch laufen, nachdem Sie getroffen waren?«
»Ja — was kann das blo? sein, Kitty? Warum tut denn das so verdammt weh?«
Sie schuttelte den Kopf. »Ich bin kein Arzt. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, was es ist. Moglicherweise irre ich mich auch vollig.«
»Sagen Sie mir, was es Ihrer Meinung nach ist«, sagte er achzend. »Also, ich vermute folgendes: Das Gescho? ist von der Au?enseite her in Ihren Oberschenkel eingedrungen und auf den Knochen aufgeschlagen. Es hat ihn nicht durchgeschlagen, denn dann hatten Sie nicht mehr laufen konnen. Und es ist auch nicht durchgeschlagen bis zur Innenseite des Schenkels, denn dann hatte es sehr wahrscheinlich eine Schlagader getroffen.«
»Sondern?«
»Ich vermute, da? der Knochen angebrochen oder gesplittert ist. Das ist einer der Grunde, weshalb Sie solche Schmerzen haben. Ich nehme weiter an, da? das Gescho? vom Knochen abgeprallt ist, zuruck nach au?en. Dabei ist es moglicherweise im Fleisch so steckengeblieben, da? es auf einen Nerv druckt.«
»Und was nun?«
»Es mu? heraus. Sonst bringt Sie der Schmerz entweder um, oder das Bein wird gelahmt. Eine Fahrt ins Tal hinunter konnen Sie nicht wagen. Dabei kann alles mogliche passieren — eine Blutung, oder wei? Gott was. Wir mussen einen Arzt herholen, und zwar schnell — sonst wird es Ihnen sehr schlecht gehen.«
Ari blickte zu Mussa hinuber. Kitty sah sich um, sah den Drusen an und richtete den Blick dann rasch wieder auf Ari.
»Uberall in Galilaa halten sich Leute verborgen, die bei dem Unternehmen gestern verwundet worden sind«, sagte Mussa. »Im Augenblick wird jeder judische Arzt in Palastina uberwacht. Wenn ich einen Arzt fur Ari hier heraufzubringen versuche, dann ist mit Sicherheit damit zu rechnen, da? er beschattet wird.«
Kitty stand auf und zundete sich eine Zigarette an. »Dann kann ich Ihnen nur den Rat geben, den Englandern mitzuteilen, wo Sie sind, und zu veranlassen, da? Sie sofort in arztliche Behandlung kommen.«
Ari gab Mussa einen Wink, und der Araber verlie? den Raum. »Kitty«, rief er.
Sie ging an sein Bett. Er streckte den Arm aus und nahm ihre Hand. »Die Englander hangen mich auf, wenn sie mich kriegen. Es liegt bei Ihnen.«