»Nein — er hat sehr gro?e Schmerzen. Ich mochte, da? du heute vormittag wieder mit den Kindern zuruckfahrst.«
»Aber, Kitty —.«
»Keine Widerrede. Sage Dr. Liebermann, ich mu?te hierbleiben, bis er au?er Gefahr ist.«
»Aber wir sollten doch ubermorgen abreisen.«
Kitty schuttelte den Kopf. »Sag dem Reiseburo Bescheid, da? wir nicht fliegen. Wir konnen spater neue Flugkarten bestellen. Ich mu? so lange hierbleiben, bis jemand herkommen kann, der die Pflege ubernimmt. Ich wei? nicht, wie lange das dauern wird.«
Karen umarmte Kitty und wollte gehen.
»Hor mal, Karen — fahr nach Safed, ja, und sage Bruce Sutherland, wo ich bin. Frage ihn, ob er nach Haifa kommen kann, um sich dort mit mir zu treffen. Sage ihm, er mochte mich in dem gro?ten Hotel von Haifa erwarten. Ich wei? nicht, wie das gro?te Hotel hei?t, aber ich werde es finden. Gib ihm ein paar Sachen fur mich mit, damit ich mich umziehen kann.«
Gegen Mittag begannen die Festgaste allmahlich Daliyat el Karmil zu verlassen. Die Drusen begaben sich in ihre Dorfer, und die Juden machten sich zu ihrem Kibbuz und nach Haifa auf. Mussa lud die Kinder auf seinen Wagen und fuhr mit ihnen nach Gan Dafna.
Kitty war mit Ari in dieser fremden Gegend allein. In diesem ersten ruhigen Augenblick wurde ihr auf einmal bewu?t, was eigentlich geschehen war. Sie stand vor seinem Bett und sah ihn an. »Allmachtiger«, flusterte sie. »Was habe ich getan?« All die Monate, in denen sie sich gegen ihn gewehrt hatte, der ganze Widerstand, den sie umsichtig aufgebaut hatte — das alles war in dem Augenblick zusammengesturzt, als sie ohne jede Uberlegung zu ihm geeilt war. Sie hatte plotzlich Angst vor der Macht, die Ari uber sie besa?.
Spat am Abend kam der Mann mit den Medikamenten vom Kibbuz Yagur zuruck. Er war quer durch die Berge gegangen und hatte sich wiederholt langere Zeit verbergen mussen. Uberall waren britische Patrouillen unterwegs, die nach Verwundeten des Uberfalls auf das Gefangnis in Akko suchten.
Kitty verabreichte Ari rasch einen Liter Plasma und gro?e Mengen Penicillin als Schutz gegen die Infektion, die sie infolge der Umstande, unter denen die Operation stattgefunden hatte, als unausbleiblich befurchtete. Sie erneuerte den Verband und gab Ari eine Morphiumspritze, um den morderischen Schmerz zu lindern.
Die nachsten beiden Tage und Nachte hielt Kitty den Patienten standig unter Morphium, um den Schmerz zu neutralisieren. Sie sah, wie sich sein Zustand von Minute zu Minute besserte. Der Einschnitt begann zu heilen. Irgendeine ernstliche Komplikation schien nicht einzutreten. Wenn Ari fur kurze Augenblicke bei Bewu?tsein war, nahm er etwas Nahrung zu sich; er war aber zu apathisch, um wirklich wahrzunehmen, was um ihn herum vorging. Die Einwohner des Drusendorfes waren voller Bewunderung fur Kittys Tuchtigkeit und Ausdauer. Besonders die Frauen waren von der Art angetan, wie sie die Manner herumkommandierte.
Als Kitty die Gewi?heit hatte, da? keine Gefahr mehr bestand und die Heilung nur noch eine Frage der Zeit war, wurde sie unruhig und voller Sorge.
Sie legte sich erneut die Frage vor, ob sie ein Recht dazu hatte, von den Kindern in Gan Dafna fortzugehen. Diese Kinder brauchten sie. Wo war die Grenze zwischen beruflicher Pflicht und menschlicher Verpflichtung? Und was war mit Karen? Kam sie nur deshalb nach Amerika mit, weil sie furchtete, Kitty sonst zu verlieren?
Am meisten machte Kitty jedoch eine Sache zu schaffen, die sie logisch nicht mehr zu erklaren vermochte. Schon einmal war sie gegen ihren Willen in die Angelegenheiten dieser ihr so fremden Menschen verwickelt worden: auf Zypern war sie entschlossen gewesen, nicht fur sie zu arbeiten — und dann hatte sie Karen gesehen. Was jetzt geschehen war, schien eine Wiederholung: am Vorabend ihrer Abreise aus Palastina hatte sie irgend etwas zuruckgehalten und zu Ari getrieben. War das Zufall oder war es Schicksal, hohere Fugung? So sehr sich ihr gesunder Menschenverstand gegen diese phantastische Vorstellung auflehnte — es blieb beunruhigend und erschreckend.
Aris Zustand machte unter Kittys Pflege rasche Fortschritte. Er war ein erstaunlicher Mann, mu?te Kitty denken. Gegen Ende des vierten Tages hatte sie die Dosierung des Morphiums wesentlich heruntergesetzt. Sie hatte auch aufgehort, ihm Penicillin zu geben, weil sie sicher war, da? die Wunde sich nicht entzunden und langsam verheilen wurde.
Als Ari am Morgen des funften Tages erwachte, hatte er machtigen Hunger, gro?e Lust, sich zu rasieren und zu waschen, und war uberhaupt guter Dinge. Doch wahrend Ari in erneuerter Vitalitat die Augen aufschlug, klappte Kitty das Visier herunter. Sie nahm ihm gegenuber eine eiskalte, unpersonliche Haltung an. Sie erteilte ihm Befehle wie ein Hauptfeldwebel und entwickelte den Plan fur die nachsten Wochen, als ob er ein Fremder ware.
»Ich hoffe, da? ich Sie bis zum Ende dieser Woche vollig aller Narkotika entwohnt haben werde. Ich mochte, da? Sie anfangen, Gymnastik zu treiben und das Bein moglichst viel zu bewegen. Sie mussen dabei allerdings sehr vorsichtig sein, damit die Stelle des Einschnitts nicht zu sehr beansprucht wird. Der Schnitt ist nicht vernaht.«
»Wie lange wird es dauern, bis ich wieder gehen kann?«
»Daruber kann ich ohne Rontgenaufnahme nichts sagen. Soviel aber wei? ich mit Sicherheit, da? Sie wenigstens einen Monat lang nirgendwo hingehen werden.«
Ari stie? einen leisen Pfiff aus, wahrend sie das Laken unter ihm glattzog.
»Ich gehe jetzt ein wenig spazieren«, sagte sie. »In einer halben Stunde bin ich wieder da.«
»Einen Augenblick, Kitty. — Ich — hm — sehen Sie, Sie sind sehr nett zu mir gewesen. Sie haben mich wie ein Engel bewacht. Aber seit heute fruh scheinen Sie bose zu sein. Ist irgend etwas los? Habe ich irgend etwas getan?«
»Ich bin mude und uberanstrengt. Ich habe funf Nachte lang nicht geschlafen. Es tut mir leid, da? ich nicht in der Lage bin, Sie zu erheitern, indem ich Ihnen etwas vorsinge oder vortanze.«
»Nein, das ist es nicht. Da steckt noch irgend etwas anderes dahinter. Es tut Ihnen leid, da? Sie hergekommen sind, nicht wahr?« »Ja«, sagte sie leise.
»Hassen Sie mich eigentlich?«
»Ob ich Sie hasse, Ari? Habe ich nicht deutlich genug erkennen lassen, was ich fur Sie empfinde? Bitte, ich bin mude —.«
»Was ist es denn? Wollen Sie es mir nicht sagen?«
»Ich bin bose mit mir, weil ich Sie liebe. Wollen Sie sonst noch irgend etwas wissen?«
»Sie konnen manchmal schrecklich kompliziert sein, Kitty Fremont.«
Kitty sah ihm eine Weile fest in die Augen. »Im Grunde ist es sehr einfach mit mir, Ari. Ich mu? das Gefuhl haben, da? mich der Mann, den ich liebe, wirklich braucht.«
»Habe ich Ihnen nicht deutlich genug zu erkennen gegeben, da? ich Sie brauchte.«
Kitty lachte kurz und bitter. »Ja, Ari, Sie brauchten mich. Sie haben mich auf Zypern gebraucht, damit ich gefalschte Papiere aus dem Lager schmuggelte, und jetzt brauchten Sie mich wieder, damit ich ein Gescho? aus Ihnen heraushole. Wirklich beachtlich das Kopfchen, das Sie haben. Selbst als Sie halbtot waren und sich vor Schmerzen wanden, waren Sie in der Lage, an alles zu denken. Sie dachten daran, da? man den Wagen mit Kindern volladen sollte, um keinen Argwohn zu erregen. Nein, Ari, Sie haben nicht mich gebraucht. Sie brauchten jemanden, der geeignet war, die britischen Stra?ensperren zu passieren.«
»Ich mache Ihnen keinen Vorwurf«, fuhr sie fort. »Wenn hier irgend jemand Schuld hat, dann bin ich das in erster Linie selbst. Aber wir haben schlie?lich alle unser Kreuz zu tragen, und ich vermute, mein Kreuz sind Sie.«
»Mussen Sie mich deshalb behandeln, als ware ich ein Unmensch?« »Ja — denn das sind Sie. Sie sind viel zu besessen von dem zweiten Auszug der Kinder Israels, als da? Sie ein menschliches Wesen sein konnten. Sie wissen nicht, was es hei?t, jemanden zu lieben. Sie verstehen nur, gegen andere zu kampfen. Nun, ich nehme den Kampf auf gegen Sie, Ben Kanaan, und ich werde Sie schlagen und dann vergessen.«
Ari blieb stumm, als sie an sein Bett kam und vor ihm stehen blieb. Der Zorn trieb ihr die Tranen in die Augen. »Eines Tages werden Sie wirklich jemanden brauchen, und das wird sehr schlimm fur Sie werden, weil Sie es nicht fertigbringen, jemanden ehrlich um Hilfe zu bitten.«
»Wollten Sie nicht einen Spaziergang machen?« sagte er.
»Ja, ich begebe mich auf einen Spaziergang, und zwar auf einen ziemlich langen. Die brave Schwester Fremont hat ihre Schuldigkeit getan. In ein paar Tagen wird irgend jemand vom Palmach hier heraufkommen und sich um Sie kummern. Bis dahin werden Sie schon nicht sterben.«
Sie wandte sich heftig ab und ging zur Tur.
»Kitty — wie mu? ein Mann eigentlich sein, um der gro?artigen Vorstellung zu entsprechen, die Sie vom