Kittys Kehle schnurte sich zusammen. Sie entzog ihm ihre Hand, entfernte sich von dem Bett, lehnte sich mit dem Rucken gegen die Wand und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.

Ari war jetzt ganz ruhig und hielt den Blick auf sie gerichtet.

»Ich kann nicht«, sagte sie. »Ich bin kein Arzt.«

»Sie mussen.«

»Ich habe hier nichts von alldem, was man dazu braucht.«

»Sie mussen es tun.«

»Ich kann nicht — ich kann es nicht. Verstehen Sie denn nicht — Sie wurden derartige Schmerzen dabei haben — Sie konnten moglicherweise einen Kollaps bekommen — Ari — ich wage es einfach nicht.«

Sie lie? sich auf einen Stuhl sinken. Sie dachte daran, da? Ari bei dem Uberfall auf das Gefangnis die Fuhrung gehabt hatte, und wu?te, was er zu erwarten hatte, falls ihn die Englander fanden. Sie wu?te, da? sie seine einzige Hoffnung war; wenn sie jetzt nicht handelte, bedeutete es, da? sie ihn zum Tode verurteilte. Sie gab sich einen Ruck und stand auf. Auf der Kommode stand eine Flasche Cognak. Sie nahm sie und ging damit zu Ari. »Da, trinken Sie das. Und wenn diese Flasche leer ist, bekommen Sie noch eine. Betrinken Sie sich — lassen Sie sich so vollaufen, wie Sie nur konnen, denn ich werde Ihnen hollisch weh tun mussen.«

»Danke, Kitty.«

Sie ging rasch an die Tur, machte sie auf und rief: »Mussa!«

»Ja!«

»Wo konnen wir ein paar Medikamente bekommen?«

»Im Kibbuz Yagur.«

»Wie lange braucht ein Mann, um dorthin und wieder zuruckzukommen?«

»Hinzukommen ist kein Problem. Aber zuruck — er darf keine Stra?en benutzen, kann also nicht mit dem Wagen fahren. Zu Fu? dauert der Weg hier in diesen Bergen viele Stunden — vielleicht ist er nicht einmal bis zum spaten Abend zuruck.«

»Ich schreibe Ihnen eine Liste der Dinge auf, die ich brauchen werde. Schicken Sie so rasch wie moglich einen Mann zu diesem Kibbuz.«

Kitty uberlegte. Vielleicht wurde der Bote erst spat am Abend zuruckkehren, vielleicht sogar uberhaupt nicht. Die Krankenstation eines Kibbuz mochte vielleicht uber schmerzstillende Mittel verfugen, aber sicher war es nicht. Jedenfalls konnte sie nicht riskieren, noch langer zu warten. Sie schrieb auf, da? sie zwei Liter Plasma brauchte, Penicillin, Morphium, Verbandzeug, ein Thermometer und einige weitere Instrumente. Mussa schickte einen der Wachtposten mit der Liste nach Yagur.

»Karen, du wirst mir helfen mussen, aber es wird eine ziemlich harte Sache werden.«

»Das macht mir nichts.«

»Bist ein braves Madchen. Sagen Sie, Mussa, habt ihr hier bei euch irgend etwas an Verbandmaterial?«

»Ein bi?chen was, aber nicht viel.«

»Macht nichts. Zusammen mit dem, was ich mitgebracht habe, wird es eben reichen mussen. Haben Sie eine Taschenlampe — und — vielleicht ein paar Rasierklingen, oder ein kleines, sehr scharfes Messer?«

»Ja, das kann ich beschaffen.«

»Wunderbar. Ich mochte, da? die Rasierklingen und das Messer eine halbe Stunde lang ausgekocht werden.«

Mussa wandte sich an seine Leute und gab den Auftrag weiter.

»Und jetzt legt ein paar Decken auf den Fu?boden. Das Bett federt zu sehr. Er mu? auf einer festen Unterlage liegen. Und du, Karen, nimmst diese blutigen Laken ab, wenn wir ihn auf den Fu?boden legen, und beziehst das Bett frisch. Mussa, besorgen Sie ihr ein paar saubere Laken.«

»Sonst noch etwas?« fragte Mussa.

»Ja. Wir werden sechs oder acht Manner brauchen, die ihn aus dem Bett heben und festhalten.«

Alles wurde vorbereitet. Auf dem Fu?boden wurden Decken ausgebreitet. Ari trank einen Cognak nach dem anderen. Vier von den Drusen hoben ihn so vorsichtig wie moglich vom Bett und legten ihn auf den Fu?boden. Karen nahm rasch die blutigen Laken ab und bezog das Bett frisch. Die Rasierklingen und das Messer wurden hereingebracht. Kitty wusch sich grundlich die Hande, sauberte die Umgebung des Einschusses und pinselte die Stelle mit Jod ein. Sie wartete, bis Ari so viel Cognak getrunken hatte, da? er nur noch lallte. Dann legte sie ihm ein Kissen unter den Kopf und steckte ihm ein Taschentuch in den Mund, auf das er bei?en sollte. »Ich bin bereit«, sagte sie. »Haltet ihn fest — wir wollen anfangen.« Ein Mann hielt Aris Kopf, je zwei hielten seine beiden Arme, zwei hielten das heile und einer hielt das verwundete Bein. Die acht Drusen druckten Ari fest auf den Fu?boden. Karen stand dabei und hielt die Taschenlampe, den Cognak, und die sparlichen Hilfsmittel, die zur Verfugung standen, griffbereit. Kitty lie? sich auf die Knie nieder und beugte sich uber die Wunde. Karen richtete den Schein der Taschenlampe darauf.

Kitty nahm eine Rasierklinge in die Finger der rechten Hand und gab den Mannern einen Wink, sich bereit zu machen. Sie druckte die Klinge gegen den Schenkel, zielte, zog die Klinge mit einer raschen, kraftigen Bewegung tief durch das Fleisch und machte uber dem Einschu? einen Schnitt von funf Zentimeter Lange. Ari flog am ganzen Korper. Schleim stromte aus seiner Nase, und der Schmerz trieb ihm das Wasser aus den Augen. Die Manner hatten Muhe, ihn festzuhalten.

Karen sah, wie das Blut aus Kittys Lippen wich und wie sie die Augen verdrehte. Sie packte Kittys Haar, zog ihr Gesicht hoch und go? ihr einen Schluck Cognak in den Mund. Kitty wurgte einen Augenblick, dann fa?te sie sich und nahm einen zweiten Schluck. Ari fiel in eine wohltatige Ohnmacht.

Karen richtete erneut den Schein der Taschenlampe auf den Einschnitt. Kitty hielt mit der linken Hand die Rander des Einschnittes auseinander, fa?te mit Daumen und Mittelfinger der rechten Hand in die Offnung und suchte im Fleisch nach dem Gescho?. Ihr Fingernagel traf gegen etwas Hartes. Mit letzter Anstrengung fa?te sie das Gescho? und zog es heraus.

Sie sa? auf dem Fu?boden, hielt das Gescho? in die Hohe, sah es an und fing zu lachen an. Dann begann Kitty halb hysterisch zu schluchzen.

»Mussa«, sagte Karen, »legt ihn rasch wieder auf das Bett. Pa?t auf, da? nichts in die Wunde kommt.« Karen half Kitty aufzustehen und fuhrte sie zu einem Stuhl. Kitty sank in den Stuhl. Karen nahm ihr das Gescho?, das sie immer noch krampfhaft festhielt, aus der Hand und wischte ihr mit einem feuchten Tuch das Blut von den Handen. Dann ging sie zu Ari, streute Sulfonamid auf die Wunde und legte einen lockeren Verband daruber. Sie wusch ihn mit einem Schwamm ab. Kitty sa? noch immer zusammengesunken auf ihrem Stuhl und schluchzte.

Karen schickte alle Manner aus dem Raum, schenkte fur Kitty noch einen Cognak ein, und ging gleichfalls hinaus.

Kitty trank das Glas leer, dann stand sie auf und ging zu Ari. Sie fuhlte seinen Puls, zog seine Augenlider hoch und prufte seine Gesichtsfarbe. Ja, er wurde durchkommen.

Sie legte den Kopf auf seine Brust. »Ari — Ari — Ari —«, flusterte sie schluchzend.

XVIII.

Aris heftige Schmerzen lie?en nicht nach. Die angeforderten Medikamente kamen nicht. Kitty konnte ihn keinen Augenblick aus den Augen lassen. Mehrmals mu?te sie Mussa bitten, Manner hereinzuschicken, um Ari, der sich im Bett herumwarf, festzuhalten, damit er die offene Wunde nicht gefahrde.

Oben im Dorf ging das Tanzen, Singen und Feiern weiter. Die Braut, die sich den ganzen Tag uber verborgen gehalten hatte, wurde aus ihrem Versteck herausgebracht. Der Brautigam, in Hut und Zylinder, bestieg ein Pferd und ritt zu seiner Braut, durch eine mit Blumen bestreute Gasse, in der Drusen mit Gewehren Spalier bildeten.

Karen blieb die ganze Zeit in dem Vorraum. Mehrmals im Verlauf der langen Nacht kam sie herein, um Kitty fur kurze Zeit abzulosen. Am Morgen waren beide durch den Mangel an Schlaf und die anhaltende Spannung erschopft. Die Medikamente waren noch immer nicht angekommen.

»Es ist wohl das beste, Sie bringen die Kinder wieder nach Gan Dafna zuruck«, sagte Kitty zu Mussa. »Gibt es au?er Ihnen hier noch jemanden, der Englisch spricht?«

»Ja, ich werde ihm Bescheid sagen, da? er hier bei Ihnen bleibt.«

»Gut. Konnen Sie noch ein Bett hier aufstellen, eine Couch oder irgend etwas, worauf ich liegen kann? Ich werde einige Zeit in seiner unmittelbaren Nahe bleiben mussen.«

»Das werde ich veranlassen.«

Kitty ging nach nebenan, wo Karen auf einer Bank eingeschlafen war. Sie streichelte sanft ihre Wange. Karen richtete sich auf und rieb sich die Augen. »Alles in Ordnung?«

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