eingepackt. Kitty sa? in ihrem Buro am Schreibtisch, um die letzten Karteikarten einzuordnen. Dann brauchte sie die Karteikastchen nur noch in den Aktenschrank zu stellen, den Aktenschrank abzuschlie?en und aus der Tur hinauszugehen — fur immer.
Sie nahm die oberste Karteikarte und las ihre Aufzeichnungen.
MINNA (Familienname unbekannt), 7 Jahre alt. Geboren im Konzentrationslager Auschwitz. Eltern unbekannt. Wir nehmen an, da? Minna aus Polen stammt. Sie kam Anfang des Jahres mit Aliyah Bet illegal nach Palastina. Als sie in Gan Dafna ankam, war sie physisch sehr schwach und krank und zeigte starke psychische Storungen ...
ROBERT DUBUAY, 16 Jahre alt. Franzosischer Herkunft. Robert wurde im Konzentrationslager Bergen-Belsen von englischen Soldaten gefunden. Er war damals dreizehn Jahre alt und wog funfundfunfzig Pfund. Der Junge war Augenzeuge des Todes seiner Mutter, seines Vaters und eines seiner Bruder. Seine Schwester, die spater Selbstmord beging, war von den Deutschen zur Prostitution gezwungen worden. Robert zeigt Anzeichen von Feindlichkeit und ... SAMUEL KASNOWITZ, 12 Jahre alt. Estnischer Herkunft. Von den Angehorigen der Familie ist niemand am Leben geblieben. Samuel lebte versteckt im Keller einer christlichen Familie, bis er gezwungen war, in den Wald zu fluchten, wo er zwei Jahre lang allein gelebt hat ...
ROBERTO PUCCELLI, 12 Jahre alt. Italienischer Herkunft. Keine uberlebenden Familienangehorigen bekannt. Wurde im Lager Auschwitz befreit. Sein rechter Arm ist als Folge von Schlagen lebenslanglich verkruppelt ...
MARCIA KLASKIN, 13 Jahre alt. Rumanischer Herkunft. Uber Familienangehorige ist nichts bekannt. Marcia wurde in Dachau gefunden ...
HANS BELMAN, 10 Jahre alt. Hollandischer Herkunft. Uber Familienangehorige nichts bekannt. Gefunden in Auschwitz ...
So ging es weiter und weiter.
»Keine uberlebenden Angehorigen.«
»Auch dieses Kind traumt den Traum, der sich fast bei allen Kindern zeigt, die in Auschwitz waren. Sie traumt von ubelriechendem Rauch. Dieser Traum ist symbolisch fur den Geruch des Rauches aus den Ofen, in denen die Leichen verbrannt wurden.« »Bettnassen.«
»Mi?trauen und Feindlichkeit.«
»Angsttraume.«
»Aggressivitat.«
Kitty Fremont stellte die Karteikasten in den Aktenschrank und schlo? ihn ab. Sie sah sich einen Augenblick in ihrem Buro um, dann machte sie rasch das Licht aus und ging hinaus.
Als sie in ihre Wohnung kam, rief sie nach Karen. Sie bekam keine Antwort, aber auf dem Kuchentisch lag ein Zettel.
Liebe Kitty,
die Gruppe mochte zum Abschied gern ein Lagerfeuer machen. Es wird aber nicht allzu spat werden. Karen.
Kitty steckte sich eine Zigarette an und ging unruhig im Raum hin und her. Sie zog die Vorhange vor, um die Lichter unten im Tal nicht zu sehen. Sie ertappte sich dabei, wie sie den Stoff der Vorhange in der Hand hielt, die ihre Kinder fur sie genaht hatten. Zehn dieser Kinder hatten Gan Dafna bereits verlassen, um zum Palmach zu gehen.
Es war druckend hei? im Zimmer. Sie ging hinaus zur Gartentur. Die Luft war wurzig vom Duft bluhender Rosen. Kitty ging den Weg zwischen den Reihen der kleinen Hauschen entlang, die alle unter Baumen und hinter Hecken auf kleinen Rasenflachen lagen. Sie kam an das Ende des Weges und wollte schon wieder zuruckgehen, als sie von dem Lichtschein angezogen wurde, der aus dem Fenster von Dr. Liebermann fiel.
Der arme alte Mann, dachte Kitty. Sein Sohn und seine Tochter waren von der Universitat abgegangen und jetzt bei der Negev-Brigade des Palmach, weit fort. Sie ging zur Tur und klopfte. Die Haushalterin offnete und fuhrte sie in Dr. Liebermanns Arbeitszimrner. Der alte Mann war gerade dabei, eine hebraische Inschrift auf einer Keramik zu entziffern. Aus dem Radio erklang leise eine Melodie von Schumann. Dr. Liebermann hob den Kopf, und legte das Vergro?erungsglas aus der Hand.
»Schalom«, sagte Kitty.
Er lachelte. Sie hatte ihn bisher noch nie in hebraischer Sprache begru?t. »Schalom, Kitty«, sagte er. »Es ist ein so schoner Gru?, um von guten Freunden Abschied zu nehmen.«
»Schalom ist ein wunderschoner Gru?, und es ist auch eine nette Art, sich bei guten Freunden anzumelden.«
»Aber Kitty — meine Liebe —.«
»Ja, Dr. Liebermann. Ich bleibe in Gan Dafna.«
VIERTES BUCH
WACHE AUF, MEINE EHRE
Sei mir gnadig, Gott, sei mir gnadig! denn auf dich traut meine Seele, und unter dem Schatten deiner Flugel habe ich Zuflucht, bis da? das Ungluck vorubergehe. Ich liege mit meiner Seele unter den Lowen, die Menschenkinder sind Flammen, ihre Zahne sind Spie?e und Pfeile und ihre Zungen scharfe Schwerter. Sie stellen meinem Gange Netze und drucken meine Seele nieder; sie graben vor mir eine Grube und fallen selbst hinein.
Mein Herz ist bereit, Gott, mein Herz ist bereit, da? ich singe und lobe. Wach auf, meine Ehre, wache auf, Psalter und Harfe, mit der Fruhe will ich aufwachen.
57. PSALM DAVIDS
I.
Im Herbst des Jahres 1947 wurde die sechstausend Jahre alte Sache des judischen Volkes vor die UNO gebracht.
Chaim Weizmann, Sprecher der Zionistischen Weltorganisation, und Barak ben Kanaan, Vertreter des Jischuw, begaben sich als Fuhrer einer zwolfkopfigen Delegation zu der entscheidenden Auseinandersetzung nach Flushing Meadow, New York. Die Mitglieder dieser Delegation, gewitzt durch lange Jahre vergeblicher Bemuhung und feindlicher Ablehnung, gaben sich keinerlei Illusionen hin.
In der mitten in Manhattan gelegenen Wohnung Dr. Weizmanns wurde ein behelfsma?iges Hauptquartier eingerichtet. Die Delegierten hatten die Aufgabe, Stimmen zu gewinnen. Weizmann ubernahm es als seine personliche Aufgabe, die Juden in aller Welt zu alarmieren und sie aufzufordern, bei den Regierungen ihrer Lander vorstellig zu werden.
Die Arbeit Barak ben Kanaans vollzog sich mehr in der Stille und hinter den Kulissen. Seine Aufgabe war es, sich uber das stundlich wechselnde Krafteverhaltnis auf dem laufenden zu halten, die Situation zu analysieren, um schwache Stellen ausfindig zu machen und die Mitglieder der Delegation vorzuschicken, um irgendwelchen plotzlichen Veranderungen zu begegnen.
Nach dem einleitenden parlamentarischen Geplankel, das die Sache nur unnotig verzogerte, wurde die Frage der Teilung Palastinas auf die Tagesordnung gesetzt.
Die Araber begaben sich siegessicher nach Lake Success. Sie hatten es erreicht, da? der Moslemstaat Afghanistan und das mittelalterlich feudale Konigreich Yemen Mitglieder der UNO wurden, wodurch der arabisch- mohammedanische Block in der Generalversammlung uber elf Stimmen verfugte.
Au?erdem nutzten die Araber auf jede mogliche Weise den Kalten Krieg aus, der zwischen den beiden Gro?en, den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, loderte, indem sie geschickt den einen gegen den anderen ausspielten. Es war von Anfang an klar, da? die Teilung Palastinas nur erreicht werden konnte, wenn beide Gro?machte ihren Segen dazu erteilten. Ru?land und die Vereinigten Staaten waren bisher noch in keiner Frage einer Meinung gewesen, und es schien wenig wahrscheinlich, da? sie es in diesem Falle sein wurden.
Fur die Annahme des Beschlusses der Teilung Palastinas durch die Vollversammlung war eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Die Juden mu?ten zunachst einmal zweiundzwanzig Stimmen erhalten, um nur die elf Stimmen des arabisch-mohammedanischen Blocks zu uberstimmen und sie damit unschadlich zu machen. War das erreicht, so mu?ten sie fur jede einzelne Stimme, die die Araber fur sich buchen konnten, zwei weitere Stimmen gewinnen.
Die internationale Presse befurwortete im allgemeinen die Teilung. Au?erdem waren Jan Smuts von der