»Frohe Weihnachten, Kitty«, sagte Karen.
Kitty rollten die Tranen uber die Wangen. »Ich hatte mir nie traumen lassen, einmal , Stille Nacht' in hebraischer Sprache zu horen. Es ist das schonste Weihnachtsgeschenk, das ich jemals bekommen habe.«
Karen hatte Wache in einem der Graben au?erhalb von Gan Dafna. Sie ging zum Dorfausgang hinaus und die Stra?e entlang zu einer Stelle, wo man von den Verteidigungsanlagen aus einen Blick auf das Tal hatte.
»Halt!«
Sie blieb stehen.
»Wer da?«
»Karen Clement.«
»Parole?«
»Chag sameach.«
Karen loste den Wachtposten ab, sprang hinunter in den Graben, schob einen Patronenstreifen in die Kammer des Gewehrs, lud durch, sicherte, und zog sich ihre Faustlinge an.
Es war schon, auf Wache zu stehen, dachte Karen. Sie sah durch den Stacheldraht nach Abu Yesha. Es war schon, hier drau?en allein zu sein und vier Stunden lang nichts anderes zu tun zu haben, als in das Hule-Tal hinunterzusehen und seinen Gedanken nachzuhangen. Durch die stille Winterluft drangen leise die Stimmen der Kinder, die vor Kittys Bungalow sangen. Es war Weihnachten, ein ganz besonders schones Weihnachten.
Danach verstummte der Gesang, und ringsum war tiefe Stille.
Karen horte, wie sich in den Baumen hinter ihr etwas bewegte. Sie drehte sich leise um und spahte durch die Dunkelheit. Da bewegte sich doch etwas. Sie erstarrte und hielt angespannt Ausschau. Ja, da zwischen den Baumen bewegte sich ein dunkler Schatten — vielleicht ein hungriger Schakal, dachte sie.
Sie entsicherte ihr Gewehr, hob es an die Schulter und sah uber Kimme und Korn. Der dunkle Schatten kam naher.
»Halt!« rief sie laut.
Die undeutliche Gestalt blieb stehen.
»Parole?«
»Karen!« rief eine Stimme.
»Dov!«
Sie kletterte aus dem Graben heraus und lief auf ihn zu, und er lief ihr entgegen, und sie fielen sich in die Arme.
»Dov! Bist du es wirklich? Ich kann es kaum glauben.«
Sie sprangen beide in den Graben hinunter und Karen versuchte, sein Gesicht in der Dunkelheit zu erkennen.
»Dov, ich wei? gar nicht, was ich sagen soll —.«
»Ich bin vor einer Stunde gekommen«, sagte er. »Ich habe drau?en vor eurem Haus gewartet, bis du herauskamst und auf Wache gingst. Dann bin ich dir nachgegangen.«
Karen sah sich erschreckt um. »Du bist hier in Gefahr! Du mu?t dich vorsehen, da? die Englander dich nicht erwischen!«
»Nein, Karen, das ist jetzt schon in Ordnung. Die Englander konnen mir nichts mehr anhaben.«
Sie streckte die Hand nach ihm aus, und ihre Finger zitterten.
»Dir ist kalt, Dov. Du hast nicht mal einen Pullover an. Du mu?t doch frieren.«
»Nein, nein — ich friere nicht.«
Plotzlich kam der Mond hinter einer Wolke hervor, und sie konnten einander sehen.
»Ich habe mich in den Hohlen au?erhalb von Hamischmar versteckt gehalten.«
»Ich wei?.«
»Ich — ich dachte, du warst in Amerika.«
»Wir konnten nicht weg.«
»Du wunderst dich wahrscheinlich, was ich hier will. Karen, ich — ich mochte gern nach Gan Dafna zuruck. Als ich damals fortging, habe ich ein paar Uhren und Ringe mitgenommen, und man halt mich hier vielleicht fur einen Dieb.«
»Aber nein, Dov. Hauptsache, du lebst und bist in Sicherheit, alles andere ist ganz unwichtig.« »Wei?t du, ich — ich werde alles zuruckzahlen.«
»Das ist ganz unwichtig. Niemand ist dir bose.«
Dov senkte den Kopf. »Die ganze Zeit, als ich im Gefangnis war, und spater, als ich mich dann tagelang oben in den Berghohlen verborgen hielt, habe ich immer daruber nachdenken mussen. Dov, habe ich mir gesagt, kein Mensch ist wutend auf dich. Es ist einzig und allein Dov, der wutend ist — wutend auf sich selbst. Als du mich im Gefangnis besucht hattest, da sagte ich mir — ich sagte mir, da? ich nicht mehr sterben, da? ich am Leben bleiben wollte. Ich wollte nicht mehr sterben, und ich wollte auch niemanden mehr toten.«
»Oh, Dov —.«
»Karen, ich — ich habe nie ein anderes Madchen gehabt. Ich hab' das nur so gesagt, damit du nach Amerika fahrst.«
»Ich wei?.«
»Hast du das wirklich die ganze Zeit gewu?t?«
»Ich wollte es gern glauben, Dov, weil ich glauben wollte, da? du mich gern hast.«
»Karen — ich wollte nach Gan Dafna zuruckkommen, und ich wollte erreichen, da? du auf mich stolz sein kannst. Ich wollte es, obwohl ich dachte, du seist gar nicht mehr da.«
Karen sah zu Boden.
»Fur dich tue ich alles«, sagte er leise.
Sie hob den Arm und beruhrte seine Wange mit ihrer Hand.
»Dov, du bist so kalt. Bitte, geh zu unserem Bungalow. Du kannst mit Kitty uber alles reden. Sie wei? Bescheid uber uns. Und sobald meine Wache zu Ende ist, gehen wir zusammen zu Dr. Liebermann. Aber sei vorsichtig. Die Parole ist: Frohes Fest.«
»Karen — ich habe die ganze Zeit so viel an dich denken mussen. Ich will nie wieder etwas tun, was nicht richtig ist oder was dir wehtun konnte.«
»Das wei? ich.«
»Darf ich dir einen Ku? geben?«
»Ja.«
Ihre Lippen beruhrten sich fluchtig, suchend und scheu. »Ich liebe dich, Karen«, sagte Dov. Dann stieg er aus dem Graben und lief rasch davon, auf die Hauser von Gan Dafna zu.
»Internationales Recht«, sagte Barak ben Kanaan argerlich zu dem Delegierten der Vereinigten Staaten, »das ist das, was der Ubeltater mi?achtet, wahrend der Rechtschaffene ablehnt, es mit Gewalt durchzusetzen.«
Doch durch Reden, und waren die Worte selbst noch so gut gewahlt, lie? sich nicht mehr viel ausrichten. Sollten die Juden am 15. Mai ihre Unabhangigkeit ausrufen, dann hatten sie es allein mit sieben arabischen Armeen aufzunehmen. Kawukys irregulare Truppen und die Araber von Palastina unter der militarischen Fuhrung von Safwat und Kader steigerten ihre Aktivitat.
Das Jahr 1948 brach an — das Jahr der Entscheidung.
Im Verlauf der ersten Monate des neuen Jahres wurden die Araber immer dreister, und ihre Uberfalle nahmen in dem Ma?e zu, wie die Englander ihren riesigen militarischen Apparat immer weiter abbauten und eine Stellung nach der anderen raumten.
GALILAA
Irregulare belagerten den hoch in den Bergen an der libanesischen Grenze gelegenen Kibbuz Manara. Ein halbes Dutzend anderer isolierter judischer Siedlungen war abgeschnitten. Die Araber unternahmen funf heftige Angriffe auf Ejn Zejtim — die Quelle der Oliven —, aber jeder dieser Angriffe wurde zuruckgewiesen.
Sie uberschritten die Grenze nach Palastina und wandten sich gegen die nordlichsten Vorpostenstellungen der Juden, den Kibbuz Dan und Kfar Szold. Major Hawks, der britische Kommandant, griff jedoch sofort mit seinen Truppen ein und half den Juden, die Syrer wieder uber die Grenze zuruckzuwerfen.
Araber aus Ata, von syrischen Grenzbewohnern und Irregularen unterstutzt, griffen Lachawot Habaschan an. Ramat Naftali, nach einem der Stamme des alten Israel benannt, wurde uberfallen. In Safed nahm die arabische