amerikanischen Besatzungsmitglieder holten die angstlichen Fluchtlinge mit kraftigen Armen an Bord, und Palmach-Manner brachten sie rasch an die fur die einzelnen Gruppen vorgesehenen Platze. Die Fluchtlinge hatten nichts bei sich als einen Rucksack, eine Feldflasche voll Wasser, und den brennenden Wunsch, Europa hinter sich zu lassen.

Karens Schutzlinge, die Kleinsten, wurden als erste an Bord gebracht und bekamen eine Ecke im Laderaum zugewiesen, in der Nahe der Leiter, die zum Deck hinauffuhrte. Karen beeilte sich, die Kleinen zur Ruhe zu bringen. Glucklicherweise waren die meisten durch die Aufregung so mitgenommen, da? sie sofort einschliefen. Ein paar weinten, doch Karen war sofort zur Stelle, um sie zu trosten und zu beruhigen.

Es verging eine Stunde, dann eine zweite und eine dritte, und der Laderaum wurde allmahlich zu eng. Mehr und mehr Fluchtlinge kamen, bis der Laderaum so vollgepackt war, da? man sich kaum noch ruhren konnte.

Dann wurde das Deck mit Fluchtlingen belegt, und als auch hier alles voll war, ergo? sich der Strom bis auf die Brucke.

Bill Fry, der amerikanische Kapitan des Schiffes, kam die Leiter herunter und warf einen Blick auf die zusammengepferchte Masse in dem Laderaum. Er stie? einen leisen Pfiff aus. Er war ein stammiger, untersetzter Mann mit einem Stoppelbart und einem kalten Zigarrenstummel zwischen den Zahnen.

»Junge, Junge, so was mu?te die Bostoner Feuerpolizei mal sehen«, brummte er. »Die wurde einen Heidenspektakel machen.«

Er verstummte und lauschte. Aus der Dunkelheit war eine sehr su?e Stimme zu horen, die ein Wiegenlied sang. Er stieg die letzten Stufen der Leiter hinunter, trat uber die Menschen hinweg, die unten im Raum lagen, und lie? den Schein seiner Taschenlampe auf Karen fallen, die einen kleinen Jungen in ihren Armen hielt und ihn in Schlaf sang. Einen Augenblick lang meinte er, eine Madonna vor sich zu sehen, und blinzelte verblufft. Karen hob den Kopf und gab ihm einen Wink, den Schein der Taschenlampe von ihrem Gesicht zu nehmen.

»He, Kleine«, sagte Bill mit seiner polternden Stimme, »sprichst du Englisch?«

»Ja.« »Wer hat denn die Aufsicht hier bei den Kindern?«

»Die Aufsicht habe ich, und ich mochte Sie bitten, ein bi?chen leiser zu sprechen. Ich habe Muhe genug gehabt, die Kinder zur Ruhe zu bringen.«

»Ich rede so laut, wie's mir pa?t. Ich bin der Kapt'n. Du bist ja kaum alter als die meisten von deinen Kindern.«

»Wenn Sie Ihre Sache als Kapitan so gut machen wie ich meine hier bei den Kindern«, antwortete Karen argerlich, »dann sind wir morgen fruh in Palastina.«

Bill Fry kraulte sich sein bartiges Kinn und lachelte. Er sah wahrhaftig nicht aus wie einer der wurdigen danischen Schiffskapitane, mu?te Karen denken, und seine Grobheit war mit Sicherheit nur gespielt.

»Du gefallst mir. Kleine. Wenn du irgendwas brauchst, dann komm auf die Brucke und sag mir Bescheid. Und sei ein bi?chen respektvoller.«

»Besten Dank, Herr Kapitan.«

»Nicht notig. Nenn mich einfach Bill. Wir sind alle vom gleichen Stamm.«

Karen sah ihm nach, wie er die Leiter wieder hinaufstieg. Am Himmel konnte sie das erste schwache Morgenlicht erkennen. Die Karpathos war bis auf den letzten Zentimeter vollgepackt mit Menschen — sechzehnhundert Fluchtlinge. Knarrend und achzend kam der halbverrostete Anker herauf und schlug gegen den holzernen Rumpf. Die funfundvierzig Jahre alten Maschinen kamen langsam auf Touren. Eine Nebelwand hullte das Schiff ein, als hielte Gott selbst seine schutzende Hand daruber, und der alte Kasten entfernte sich knatternd von der franzosischen Kuste, mit der Hochstgeschwindigkeit von sieben Knoten. Nach kurzer Zeit hatte das Schiff die Drei-Meilen-Grenze hinter sich gelassen — Mossad Aliyah Bet hatte die erste Runde gewonnen! Am Mast wurde eine blauwei?e judische Flagge gehi?t, und an Stelle des Namens Karpathos erschien der neue Name des Schiffes: Stern Davids.

Das Schiff schlingerte jammerlich. In den uberfullten Laderaumen, in denen es keinerlei Ventilation gab, wurden alle Passagiere bla?. Gemeinsam mit den anderen Palmach-Angehorigen war Karen eifrig beschaftigt, ihre Schutzlinge mit Obst zu futtern und ihnen kalte Umschlage zu machen, um ein starkeres Ausbreiten der Seekrankheit zu verhuten. Wo die Zitronen nicht halfen, war sie rasch mit dem Waschlappen zur Hand. Doch das wirksamste Mittel zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung war, gemeinsam Lieder zu singen, Spiele zu erfinden und viele lustige Geschichten zu erzahlen.

Sie behielt die Kinder gut in der Hand. Gegen Mittag wurde die Hitze schlimmer und die Luft immer stickiger, und in dem engen, dunklen Laderaum, der mit schwitzenden und sich ubergebenden Menschen uberfullt war, entwickelte sich bald unertraglicher Gestank. Es dauerte nicht lange, bis die ersten ohnmachtig wurden. Nur die Bewu?tlosen wurden nach oben an Deck gebracht. Fur die anderen war einfach kein Platz.

Drei Arzte und vier Schwestern, alles Fluchtlinge aus La Ciotat, waren fieberhaft tatig. »Gebt den Leuten zu essen, damit sie was im Magen haben«, verordneten sie. Karen redete den Kleinen gut zu und schob ihnen den Loffel in den Mund. Gegen Abend verteilte sie Beruhigungsmittel und wusch den Kindern Hande und Gesicht mit einem Lappen. Sie mu?te sparsam mit dem Wasser umgehen, denn es war sehr knapp.

Endlich ging die Sonne unter, und in den Laderaum kam ein Hauch frischer Luft. Karen hatte gearbeitet, bis sie nicht mehr konnte, und ihr Kopf war schwer und benommen. Sie fiel in einen Halbschlaf, aus dem sie jedesmal erwachte, sobald eines ihrer Kinder zu weinen begann. Sie horte jedes Knarren und Achzen des alten Schiffes, das muhsam seinen Weg nach Palastina machte. Erst gegen Morgen fiel sie in einen tiefen Schlaf voll seltsamer und verworrener Traume.

Ein plotzliches drohnendes Gerausch lie? sie erschreckt hochfahren. Es war heller Tag. Alle zeigten hinauf zum Himmel, wo ein riesiger viermotoriger Bomber erschienen war.

»Ein Englander! Ein Lancester-Bomber!«

»Alles an den Platzen bleiben«, drohnte es aus dem Lautsprecher. »Kein Grund zur Aufregung, es besteht keine Gefahr.«

Gegen Mittag erschien am Horizont ein englischer Kreuzer, HMS Defiance, und naherte sich drohend dem Stern Davids, wahrend seine Morselampen eifrig blinkten. Ein kleiner, geschmeidiger Zerstorer, HMS Blakely, stie? zu der Defiance, und die beiden Kriegsschiffe zogen neben dem alten Trampdampfer einher, der langsam und knatternd seine Reise fortsetzte.

»Unser koniglicher Geleitschutz ist eingetroffen«, verkundete Bill Fry uber die Lautsprecheranlage.

Nach allen Spielregeln war der Streit mit Worten nunmehr vorbei. Wieder einmal war es Mossad Aliyah Bet gelungen, mit einem Schiff Europa zu verlassen und das offene Meer zu erreichen. Die Englander hatten das Fahrzeug gesichtet und folgten ihm. In dem Augenblick, da das Schiff mit den illegalen Einwanderern in die Drei- Meilen-Zone vor Palastina hineinfuhr, wurden die Englander an Bord kommen und das Einwandererschiff nach Haifa abschleppen. Die Fluchtlinge an Bord der Stern Davids riefen wutend zu den englischen Schiffen hinuber und verwunschten Bevin. Sie entrollten ein gro?es Transparent mit der Inschrift: HITLER HAT UNS UMGEBRACHT, UND DIE ENGLANDER WOLLEN UNS NICHT LEBEN LASSEN! Die Defiance und die Blakely reagierten nicht darauf, dampften aber auch nicht weiter, wie mancher, der noch an Wunder glaubte, vielleicht im stillen bei sich gehofft hatte. Die Kinder waren im Augenblick zwar ruhig, doch Karen machte sich Sorgen. Viele der Kleinen wurden durch den Mangel an frischer Luft ernstlich krank. Sie ging nach oben an Deck, arbeitete sich muhsam durch das Gewirr von Armen, Beinen und Rucksacken und stieg hinauf zur Brucke. Im Ruderhaus sa? Bill Fry, der eine Tasse Kaffee trank und dabei die Menschen beobachtete, die in drangvoller Enge das Deck bevolkerten. Bei ihm stand der Palmach-Chef, der irgendwelche Wunsche hatte. »Herrgott noch mal!« brummte Bill. »Dieses ewige Gerede. Befehle sind nicht dazu da, um daruber zu diskutieren. Sie sind dazu da, um befolgt zu werden. Wie zum Teufel wollt ihr Burschen eigentlich irgendwas erreichen, wenn ihr uber jede Sache so lange redet? Hier an Bord bin ich der Kapitan!«

Der Palmach-Chef, der Bills Ausbruch kaum zur Kenntnis nahm, fuhrte ungeruhrt zu Ende, was er auf dem Herzen hatte, und ging. Bill brummte in seinen Bart und steckte sich einen Zigarrenstummel an. Dann fiel sein Blick auf Karen, die ziemlich bla? in der Tur stand.

»Hallo, Kleine«, sagte er lachelnd. »Kaffee?«

»Sehr gern.«

»Du siehst schlecht aus.«

»Ich komme bei den Kindern nicht allzuviel zum Schlafen.«

»Hm — wie kommst du denn mit ihnen zurecht?«

»Deshalb wollte ich mit Ihnen sprechen. Es geht ihnen zum Teil gar nicht gut, und da unten in dem Laderaum

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