einer plotzlichen Welle erfa?t und gegen die Felsen geworfen, doch nichts vermochte sie aufzuhalten. Die beiden Menschenstrome, der vom Land und der von drau?en, trafen aufeinander. Kraftige Arme ergriffen die Fluchtlinge und schleppten sie an Land.

»Rasch, rasch!« rief man den Fluchtlingen zu. »Zieht euer Zeug aus, schnell, und zieht diese Sachen hier an!«

»Samtliche Ausweispapiere wegwerfen!«

»Alle, die umgezogen sind, mitkommen — los, los — macht zu!« »Leise! Keinen Larm machen!«

»Kein Licht machen!«

Die Fluchtlinge rissen sich ihre nassen Sachen vom Leibe und zogen die blaue Fischerkleidung an.

»Nicht zusammenbleiben — verteilt euch!«

Karen stand an der Reling und reichte die Kinder eins nach dem anderen den Palmach-Helfern hinunter, die sie an Land brachten und dann so rasch wie moglich wieder zum Schiff zuruck wateten. Es waren kraftige, standfeste Manner dazu notig, die Kinder durch die Brandung zu tragen.

»Beeilt euch — schneller, schneller!«

Einzelne Fluchtlinge fielen ergriffen auf die Knie, um den heiligen Boden zu kussen.

»Dazu werdet ihr spater noch Zeit genug haben, nicht jetzt!« »Weiter, Leute, macht weiter!«

Bill Fry stand auf der Brucke und brullte Befehle durch ein Sprachrohr. Innerhalb einer Stunde waren fast alle von Bord, bis auf einige Dutzend Kinder und die Gruppenleiter.

Drei?ig Kilometer weiter nordlich inszenierte ein Palmach-Kommando einen Uberfall auf britische Nachschublager bei Haifa, um die Aufmerksamkeit der britischen Truppen von dem Landungsmanover bei Casarea abzulenken.

An Land waren die Fischer und der Palmach fieberhaft tatig. Die Fluchtlinge wurden teils in die Siedlung gebracht, teils auf Lastwagen verladen, die eilig mit ihnen davonfuhren.

Als das letzte Kind uber die Reling gehoben wurde, kam Bill Fry die Treppe zum Deck herunter und befahl den Gruppenleitern, von Bord zu gehen.

Karen fuhlte, wie das eiskalte Wasser uber ihrem Kopf zusammenschlug. Sie ruderte und paddelte mit den Fu?en, orientierte sich, und schwamm auf die Kuste zu, bis sie Grund unter den Fu?en hatte. Vom Land her horte sie erschreckte Ausrufe auf Hebraisch und Deutsch. Sie kam an einen gro?en Felsblock und kroch auf allen vieren daruber. Eine Woge spulte sie herunter ins Meer. Sie hatte jedoch Boden unter den Fu?en und arbeitete sich Schritt fur Schritt gegen die zuruckflutende Brandung ans Land. Ein zweitesmal wurde sie umgerissen und kroch auf allen vieren naher an die Kuste heran.

Plotzlich heulten Sirenen! Schusse krachten! An Land sturmte alles auseinander!

Karen erhob sich aus dem Wasser, das ihr jetzt nur noch bis an die Knie ging, und schnappte nach Luft. Unmittelbar vor ihr standen ein halbes Dutzend englische Soldaten in Khaki Uniformen und mit Gummiknuppeln in den Handen.

»Nein!« schrie sie. »Nein, nein, nein!«

Sie warf sich in die Postenkette, schreiend, kratzend und wutend mit den Fu?en um sich sto?end. Ein Arm ergriff sie von hinten und druckte sie in die Brandung. Ihre Zahne gruben sich in die Hand des Soldaten, der vor Schmerz aufschrie und sie loslie?. Karen griff von neuem an und schlug wie rasend um sich. Einer der Soldaten hob seinen Gummiknuppel und lie? ihn auf ihren Kopf heruntersausen. Karen brach stohnend zusammen und fiel bewu?tlos ins Wasser.

Sie machte die Augen auf. In ihrem Kopf spurte sie einen heftigen, klopfenden Schmerz. Doch sie lachelte, als sie den Blick hob und vor sich das stoppelbartige Gesicht und die milden Augen von Bill Fry sah.

»Die Kinder!« rief sie im nachsten Augenblick und kam mit einem Ruck hoch von der Koje, auf der sie lag. Bill hielt sie an den Schultern fest.

»Reg dich nicht auf«, sagte er. »Die meisten Kinder haben es geschafft. Und ein paar, die man geschnappt hat, sind hier.«

Karen schlo? seufzend die Augen und lie? sich wieder auf die Koje sinken. »Wo sind wir denn?«

»In Atlit — einem englischen Internierungslager. Es hat wunder= bar geklappt. Uber die Halfte der Leute sind durch die Lappen gegangen. Die Englander hatten eine solche Wut, da? sie jeden, den sie zu fassen kriegten, kurzerhand mitgeschleppt haben. Meine Crew, Fischer, Fluchtlinge, alles wild durcheinander. Wie fuhlst du dich denn?«

»Ganz scheu?lich. Was ist eigentlich passiert?« »Du hast im Alleingang versucht, die britische Armee in die Flucht zu schlagen.«

Karen schob die Decke beiseite, kam mit dem Oberkorper hoch und befuhlte die Schwellung an ihrem Kopf. Ihre Sachen waren noch feucht. Sie stand auf und ging, ein bi?chen unsicher, an den Zelteingang. Sie sah Hunderte von Zelten und eine hohe Wand aus Stacheldraht. Drau?en vor dem Stacheldraht standen englische Wachtposten.

»Ich verstehe gar nicht, was mit mir los war«, sagte Karen. »Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie jemanden geschlagen. Ich sah diese Soldaten, die dastanden — und mich nicht vorbeilassen wollten. Wie es kam, wei? ich auch nicht, aber auf einmal war es fur mich ungeheuer wichtig — ich mu?te meinen Fu? auf die Erde Palastinas setzen. Ich meinte, ich mu?te sterben, wenn es mir nicht gelang. Ich begreife selbst nicht, wie das uber mich kam.« Sie setzte sich neben ihn auf die Koje. »Mochtest du etwas essen, Kleine?«

»Ich habe keinen Hunger. Was werden sie jetzt mit uns machen?«

Bill zog die Schultern hoch. »In ein paar Stunden wird es hell sein. Dann werden sie uns einzeln vernehmen und einen Haufen bloder Fragen an uns richten, aber du wei?t ja genau, was du zu antworten hast.«

»Ja — ich bleibe dabei, da? dies hier meine Heimat ist, ganz gleich, was man mich fragt.«

»Trotzdem wird man dich zwei oder drei Monate dabehalten, aber dann werden sie dich laufen lassen. Jedenfalls bist du in Palastina.«

»Und was wird mit Ihnen?«

»Mit mir? Man wird mich aus Palastina hinauswerfen, genau wie letztes Mal. Ich werde ein neues Mossad Schiff bekommen — und erneut versuchen, die Blockade zu durchbrechen.«

Ihr Schadel begann zu brummen. Karen streckte sich auf der Koje aus, doch sie machte kein Auge zu. Lange studierte sie Bills Gesicht, das vor Mudigkeit grau war.

»Sagen Sie, Bill — weshalb sind Sie eigentlich hier?«

»Was meinst du denn damit?«

»Sie sind Amerikaner. Mit den Juden in Amerika ist es doch etwas anderes.«

»Alle denken immer, sie mu?ten irgendwas Gro?artiges aus mir machen.« Er wuhlte in seinen Taschen und brachte ein paar Zigarren zum Vorschein. Sie waren na? und unbrauchbar. »Die Leute von Aliyah Bet kamen eines Tages zu mir. Sie sagten, sie brauchten Seeleute. Und ich bin Seemann — bin mein ganzes Leben lang einer gewesen. Habe mich heraufgearbeitet, vom Schiffsjungen bis zum Ersten Offizier. Das ist alles. Ich werde fur meine Arbeit bezahlt.« »Bill!«

»Hm?«

»Ich glaube Ihnen nicht ganz.«

Bill Fry schien selbst nicht sonderlich uberzeugt von dem, was er gesagt hatte. Er stand auf. »Das ist schwer zu erklaren, Karen. Ich liebe Amerika. Ich wurde fur funfzig Palastina nicht das eintauschen, was ich dort druben habe.«

Karen stutzte den Kopf in die Hand. Bill ging im Zelt auf und ab und versuchte, nachzudenken. »Sicher, wir sind Amerikaner, aber wir sind eine besondere Art von Amerikanern. Wir sind ein bi?chen anders. Vielleicht liegt das an uns selbst — vielleicht aber auch an den andern; ich bin nicht schlau genug, um herauszubekommen, wie es eigentlich ist. Mein ganzes Leben lang habe ich zu horen bekommen, da? man mich fur einen Feigling halt, weil ich Jude bin. Ich will dir mal was sagen, Kleine: jedesmal, wenn die Palmach-Leute ein britisches Depot in die Luft sprengen oder irgendwelche Araber zum Teufel jagen, dann verschaffen sie mir damit Respekt. Sie stempeln jeden, der mir erzahlen will, die Juden seien feige, zum Lugner. Die Jungens hier kampfen meinen Kampf, den Kampf um Anerkennung und Respekt — verstehst du das?«

»Ich glaube, ja.«

»Also, der Teufel soll mich holen, wenn ich es selber verstehe.«

Er setzte sich zu Karen und besah sich die Schwellung an ihrem Kopf. »Es sieht nicht allzu schlimm aus. Ich habe diesen verdammten Tommys gesagt, sie sollten dich ins Lazarett bringen.« »Das heilt schon wieder«, sagte

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