sie.
Im Lauf der Nacht unternahm der Palmach einen Uberfall auf das Lager und sprengte ein gro?es Loch in den Stacheldrahtzaun, durch das weitere zweihundert Fluchtlinge entkamen. Karen und Bill Fry gehorten nicht dazu.
Als der genaue Bericht uber den Zwischenfall mit der Stern Davids Whitehall erreichte, wurde den Englandern klar, da? sie ihre Einwanderungspolitik andern mu?ten. Bisher hatten die Blockadebrecher jedesmal nur einige hundert Leute nach Palastina gebracht. Dieses Schiff aber hatte annahernd zweitausend Fluchtlinge an Bord gehabt, und der gro?ere Teil davon war bei der Landung in Casarea und dem darauffolgenden Uberfall auf das Lager bei Atlit entkommen. Die Englander sahen sich der Tatsache gegenuber, da? die franzosische Regierung die Juden ganz offen unterstutzte, und da? von den Juden in Palastina jeder siebente illegal eingewandert war.
Daraus ergab sich fur die Englander eine schwierige Situation. Von einer endgultigen Losung des Palastina- Problems waren sie nach wie vor weit entfernt, und so kam man zu dem Entschlu?, die Juden nicht mehr bei Atlit zu internieren, sondern aus Palastina wegzubringen. Der Druck der illegalen Einwanderung und besonders der Erfolg der Stern Davids hatte zu Folge, da? Internierungslager auf Zypern errichtet wurden.
Karen Hansen-Clement wurde mit einem britischen Gefangenenschiff auf die Insel Zypern gebracht und im Lager Caraolos interniert. Doch noch wahrend die Karpathos alias Stern Davids vor der Kuste von Casarea lag, festgeklemmt zwischen den Felsen, und die Brandung allmahlich Kleinholz aus ihr machte, war Mossad Aliyah Bet mit beschleunigtem Tempo weiter am Werk und organisierte neue Schiffe, die immer gro?ere Fluchtlingsgruppen nach Palastina bringen sollten.
Sechs Monate lang blieb Karen im wirbelnden Staub von Caraolos und arbeitete bei den Kindern. Die lange Zeit, in der sie von einem Lager zum anderen gewandert war, hatte nicht vermocht, sie hart zu machen oder zu verbittern. Sie lebte in der Hoffnung auf den Augenblick, da sie Palastina von neuem sehen wurde — Israel.
Bis Karen die Geschichte ihres Lebens zu Ende erzahlt hatte, waren viele Stunden vergangen. In diesen Stunden war zwischen Karen und Kitty Fremont ein innerer Kontakt entstanden. Beide entdeckten die Einsamkeit des anderen und sein Verlangen nach menschlicher Nahe.
»Hast du noch irgend etwas von deinem Vater gehort?« fragte Kitty. »Nein, seit La Ciotat nicht mehr — und das ist schon sehr lange her.«
Kitty sah auf die Uhr. »Du lieber Gott — es ist nach Mitternacht.« »Ich habe gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen ist«, sagte Karen.
»Ich auch nicht. Gute Nacht, Karen.«
»Gute Nacht, Kitty. Sehen wir uns wieder?«
»Ich wei? nicht — vielleicht.«
Kitty ging hinaus und wandte sich dem Ausgang zu. Die endlosen Zeltreihen lagen still da. Vom Wachtturm fiel der Kegel des Scheinwerfers daruber hin. Der Staub wirbelte hoch, wahrend sie die Zeltstra?e entlangging. Kitty nahm ihre Jacke fester zusammen. Ari ben Kanaan kam heran und blieb vor ihr stehen. Er gab ihr eine Zigarette, beide verlie?en schweigend das Kinderlager und gingen uber die Brucke. Kitty blieb einen Augenblick stehen und sah zuruck, dann ging sie weiter, durch die Sektion der Alten zum Hauptausgang.
»Ich bin bereit, fur Sie zu arbeiten«, sagte Kitty, »unter einer Bedingung. Dieses Madchen geht nicht mit auf das Schiff, sondern bleibt hier bei mir im Lager.«
»Einverstanden.«
Kitty wandte sich um und ging mit raschen Schritten zur Wache.
XVIII.
Der Plan, den David romantischerweise »Unternehmen Gideon« benannt hatte, lief an. Dov Landau stellte bundelweise gefalschte Ladescheine und englische Militarpapiere her, die Kitty Fremont aus dem Lager herausbrachte und Ari ben Kanaan ubergab.
Die Ladescheine ermoglichten es Ben Kanaan, die erste Phase seines Planes abzuwickeln. Bei seinen Erkundungsfahrten durch Zypern hatte er nicht weit von Caraolos an der Stra?e nach Famagusta ein gro?es britisches Nachschublager entdeckt. Es war von einem hohen Gitter umgeben und enthielt gro?e Mengen von Lastwagen und anderen Transportmitteln und rund ein Dutzend riesiger Magazine. Wahrend des Krieges hatte dieses Lager als Nachschubbasis fur die Alliierten im Nahen Osten gedient, und auch jetzt noch ging ein Teil der hier lagernden Bestande auf dem Seeweg an britische Streitkrafte, die in dieser Ecke der Welt stationiert waren. Andere Lagerbestande waren als nicht mehr benotigt freigegeben und von Privathand aufgekauft worden. Daher fand ein bestandiger, wenn auch nicht allzu umfangreicher Warenverkehr von diesem Depot zum Hafen von Famagusta statt.
Mandrias Schiffahrtsgesellschaft war die Maklerfirma fur die britische Armee in Zypern. In dieser Eigenschaft verfugte Mandria uber eine Liste, auf der Art und Menge aller im Depot lagernden Bestande aufgefuhrt waren. Au?erdem verfugte er uber eine ausreichende Menge von Ladescheinen.
Dienstag morgen Punkt acht Uhr fuhren Ari ben Kanaan und dreizehn Palmach-Angehorige, alle in englischer Uniform und mit englischen Dienstausweisen, in einem englischen Lastwagen vor dem Depot vor und hielten beim Haupteingang an. Das »Arbeitskommando« bestand aus Seew Gilboa, Joab Yarkoni und David ben Ami.
Ari, dessen Papiere ihn als »Captain Caleb Moore« auswiesen, prasentierte dem Depotchef eine Anforderungsliste. Aris
»Arbeitskommando« hatte den Auftrag, alle auf der Liste verzeichneten Gegenstande zusammenzuholen und zum Hafen von Famagusta zu bringen, wo sie auf der SS Achab verladen werden sollten.
Die Papiere waren so hervorragend gefalscht, da? es dem Depotchef uberhaupt nicht einfiel, an den Caleb der Bibel zu denken, der als Spion fur Moses gearbeitet hatte, oder da? die Achab, ein imaginares Schiff, den Namen des Mannes trug, der in Jericho die Bundeslade gestohlen hatte.
Als erster Posten waren zwolf Lastwagen und zwei Jeeps aufgefuhrt. Sie wurden vom Parkplatz herangerollt und »Captain Caleb Moore« ubergeben. Danach setzte sich das »Arbeitskommando« in Bewegung, ging von Magazin zu Magazin und belud die zwolf neuen Lastwagen mit allem, was man auf der Aphrodite/Exodus brauchen wurde, um mit dreihundert Kindern nach Palastina zu fahren.
Joab Yarkoni, der fur die Ausrustung des Schiffes verantwortlich war, hatte eine Liste zusammengestellt, auf der unter anderem ein Funkgerat neuester Bauart verzeichnet war, au?erdem alle moglichen Konserven, Medikamente, Blinklampen, leichte Waffen, Wasserkannen, Decken, Frischluftanlagen, eine Lautsprecheranlage, und hundert andere Posten. Joab war wutend, weil Ari darauf bestanden hatte, da? er sich seinen machtigen schwarzen Schnurrbart abnehme. Auch Seew hatte seinen Schnurrbart opfern mussen, weil Ari befurchtete, die Schnurrbarte konnten sie zu leicht als Leute aus Palastina verraten.
David lud au?er den Sachen, die fur die Exodus bestimmt waren, noch einige Tonnen anderer Dinge auf, die in Caraolos dringend benotigt wurden.
Seew Gilboa ware beinahe geplatzt, als er das britische Waffenarsenal sah. All die Jahre, seit er beim Palmach war, hatte es ihnen immer an Waffen gefehlt, und der Anblick dieser Massen wunderschoner Maschinengewehre, Granatwerfer und Karabiner zerri? ihm schier das Herz.
Das »Arbeitskommando« arbeitete mit der Prazision eines Uhrwerks. Ari wu?te aus Mandrias Liste genau, wo die einzelnen Dinge lagerten. Als sie am Nachmittag alles beisammen hatten, lud Joab Yarkoni zum Schlu? noch einige Kisten mit Whisky, Brandy und Gin und ein paar Flaschen Wein auf — fur medizinische Zwecke.
Zwolf funkelnagelneue Lastwagen verlie?en das Depot, vollgepackt bis an den Rand, angeblich in Richtung Famagusta, wo die Waren und die Lastwagen auf die SS Achab verladen werden sollten. Ari bedankte sich bei dem Depotchef fur die ausgezeichnete Zusammenarbeit, und das »Arbeitskommando« fuhr sechs Stunden nach seiner Ankunft wieder ab.
Die Palmach-Manner waren begeistert, mit welcher Leichtigkeit sie ihren ersten Sieg errungen hatten, doch Ari lie? ihnen keine Zeit, um sich auszuruhen oder stolz zu sein. Dies war nur der Anfang.
Der nachste Schritt des Unternehmens Gideon bestand darin, eine Stelle ausfindig zu machen, wo sie mit den Lastwagen und allem anderen, was sie gestohlen hatten, bleiben konnten. Ari hatte auch hierfur einen Vorschlag bereit. Er hatte am Stadtrand von Famagusta ein britisches Camp entdeckt, das nicht mehr benutzt wurde. Offensichtlich war fruher einmal eine kleinere Einheit dort stationiert gewesen. Die Abzaunung, zwei Dienstbaracken und die Nebengebaude standen noch. Auch die elektrische Zuleitung war intakt geblieben.
In den folgenden drei Nachten kamen alle Palmach-Angehorigen von Caraolos zu diesem Camp. Sie waren fieberhaft damit beschaftigt, Zelte aufzustellen, das Lager in Ordnung zu bringen und dem Ganzen den Anstrich zu geben, das Camp sei wieder in Betrieb genommen.