brauchte ein ausgedehntes Gelande. Schlie?lich gab es au?er den Juden, deren man sich entledigen wollte, auch noch Russen, Franzosen, verschiedene Kategorien von Kriegsgefangenen, Partisanen, politische Gegner in den besetzten Landern, strengglaubige Katholiken, Zigeuner, Freimaurer, Marxisten, Bolschewiken, gemeine Verbrecher, und nicht zuletzt Deutsche, die sich fur den Frieden einsetzten, fur Liberalismus, Gewerkschaften, oder solche, die ganz schlicht Defatisten waren. Es gab Personen, die verdachtig waren, feindliche Agenten zu sein, Prostituierte, Homosexuelle und manche anderen »unerwunschten Elemente«. Sie alle sollten ausgerottet werden, um Europa fur die »arische Rasse« zu saubern. Ein solches Lager, wie es Eichmann vor Augen hatte, wurde alle diese Leute aufnehmen konnen. Eichmann teilte Ho? mit, da? man ihm in Anerkennung seiner langjahrigen treuen Dienste die Leitung dieses neu zu errichtenden Lagers ubergeben wolle. Er ging an die Karte und zeigte mit dem Finger auf eine kleine polnische Stadt in der Nahe der tschechischen Grenze. Eine Stadt namens Auschwitz. Der Zug, der mit Dov Landau nach Auschwitz unterwegs war, hielt bei dem Eisenbahnknotenpunkt Krakau auf einem Rangiergleis. Eine ganze Reihe weiterer Wagen wurde angehangt. Viehwagen mit Juden aus Frankreich und Griechenland, Kohlenwagen mit Juden aus Jugoslawien und Holland, geschlossene Guterwagen mit Juden aus der Tschechoslowakei, und offene Guterwagen mit Juden aus Italien, alle zur Aussiedlung bestimmt. Es war bitter kalt. Dov, der auf einem offenen Guterwagen stand, besa? keinerlei Schutz gegen den eisigen Wind und den treibenden Schnee als sein zerfetztes Hemd und das bi?chen Korperwarme der eng zusammengepferchten Menschen.

Als die Nazis Ho? dazu auswahlten, Kommandant des Lagers Auschwitz zu werden, der gro?ten Todesfabrik und Vernichtungszentrale, schatzten sie den Mann, dem sie diese Aufgabe ubertrugen, richtig ein. Ho? konnte auf eine lange Erfahrung im System der Konzentrationslager zuruckblicken, bis zum Jahre 1934, kurz nachdem Hitler an die Macht gekommen war. Zuletzt war er stellvertretender Kommandant des Lagers Sachsenhausen gewesen. Ho? war ein Pedant, systematisch; Befehle fuhrte er aus, ohne sie jemals als bedenklich zu empfinden, und auch die harteste Arbeit hatte ihn nie gestort.

Im Gebiet von Auschwitz wurden auf einem Gelande von zwanzigtausend Morgen alle Gehofte abgerissen und das Ganze mit einem hohen Stacheldrahtzaun abgegrenzt. Ein Stab ausgesuchter Konstrukteure, Techniker, Transportfachleute und Elitetruppen der SS machten sich ans Werk, um das riesige Projekt zu verwirklichen. Drei Kilometer vom Hauptlager Auschwitz entfernt, wurde ein gesondertes Lager errichtet, Birkenau, das zur Aufnahme der Gaskammern bestimmt war. Birkenau war ein abgelegener Ort mit eigenem Gleisanschlu?. Man hatte diese Stelle gewahlt, weil sie vom westlichen, ostlichen und sudlichen Europa aus mit der Eisenbahn gut zu erreichen war. Auschwitz war eine kleine Stadt ohne jede Bedeutung. Bei der Errichtung dieser Konzentrationslager hatten die Nazis allerdings wesentliche Einwande ihrer eigenen Wehrmacht zu uberwinden.

Die deutsche Wehrmacht brauchte alle Eisenbahnen und alles rollende Material fur den Krieg an der Ostfront. Das Oberkommando sah es als Unsinn an, wertvollen Frachtraum dafur zu mi?brauchen, um Juden durch ganz Europa zu transportieren. Doch die Nazis blieben hartnackig bei ihrer Meinung, da? die Endlosung der Judenfrage ebenso wichtig war wie die Kriegfuhrung. Die Gegensatze prallten so hart aufeinander, da? Hitler personlich entscheiden mu?te. Und Hitler entschied zugunsten von SS, SD, Gestapo und der ubrigen Nazi-Gro?en gegen seine Generalitat.

Ho? ubernahm die Leitung des neuen Lagers bei Auschwitz und fuhr nach Treblinka, um die dortigen Ausrottungsmethoden zu studieren. Er stellte fest, da? der Leiter des Lagers Treblinka, SS Brigadefuhrer Wirth, ein dilettantischer Anfanger war. Die Vergasungen in Treblinka wurden mit Kohlenmonoxyd durchgefuhrt, dessen Wirkungsgrad unzureichend war; die technische Anlage versagte haufig und verbrauchte au?erdem wertvolles Benzin. Wirth arbeitete au?erdem nicht systematisch und ohne die geringste Tarnung, so da? es immer wieder zu Meutereien der Juden kam. Und schlie?lich fand Ho? es kummerlich, da? in Treblinka nur dreihundert Leute auf einmal vergast werden konnten. Als die Gaskammern von Birkenau bei Auschwitz in Betrieb genommen wurden, fuhrte Ho? mit den ersten Ankommlingen umfangreiche Versuchsreihen durch. Er und sein technischwissenschaftlicher Stab kamen zu dem Schlu?, da? Zyklon B, ein Blausauregas, das brauchbarste Material fur ihre Zwecke war.

Die Gaskammern von Birkenau waren so konstruiert, da? jeweils dreitausend Leute hineingingen, und bei voller Ausnutzung der Kapazitat konnten hier, je nach den Wetterverhaltnissen, bis zu zehntausend Menschen pro Tag vergast werden.

Der Zug, in dem sich Dov Landau befand, bestand inzwischen aus fast funfzig Wagen. Er hielt bei Chrzanow, der letzten Station vor Auschwitz. Von den Insassen war bereits jeder funfte tot. Hunderte waren an den Seiten der Guterwagen festgefroren und konnten sich nicht bewegen, ohne sich die Haut von den Armen oder Beinen herunterzurei?en. Viele Frauen warfen ihre Kinder aus den Wagen heraus und flehten die neugierig zusehenden Bauern an, sie mochten sie zu sich nehmen und verbergen. Die Toten wurden aus den Wagen geholt und in sechs neuen Wagen gestapelt, die am Ende des Zuges angehangt wurden. Dov befand sich in sehr schlechter korperlicher Verfassung, doch er war wach und auf der Hut. Er wu?te genau, was ihm bevorstand, und er war sich klar daruber, da? es jetzt mehr als je zuvor darauf ankam, schlau zu sein und richtig zu reagieren. Der Zug rollte weiter. Es war noch eine Stunde bis Auschwitz.

Ho? war eifrig bemuht, die Arbeit in Birkenau zu perfektionieren. Zunachst entwickelte er ein System der Tarnung und Tauschung, damit die Opfer bis zum letzten Augenblick nichts ahnten und ruhig blieben. Die Gebaude, die die Gaskammern enthielten, wurden mit schonen Anlagen umgeben, mit Blumenbeeten, Zierstrauchern und Rasenflachen. Uberall standen Tafeln, auf denen in vielen Sprachen geschrieben stand: SANITATSBLOCK. Die Tauschung bestand im wesentlichen darin, da? man den Opfern sagte, sie kamen zu einer arztlichen Untersuchung und sollten entlaust und geduscht werden, bevor man sie neu einkleiden und in eins der Arbeitslager in oder bei Auschwitz bringen wurde.

Rings um die Gaskammern waren saubere Umkleideraume mit numerierten Haken zum Aufhangen der Kleidung. Allen wurde eingescharft, sich seine Nummer zu merken. Die Haare wurden fur die »Entlausung« geschnitten, und die Opfer wurden aufgefordert, vor Betreten des »Duschraums« die Brillen abzulegen. Dann bekam jeder ein Stuck Seife mit einer Nummer. Jeweils dreitausend Menschen wurden nackt durch lange Korridore gefuhrt. Rechts und links waren gro?e Turen. Die Turen offneten sich, und dahinter wurden riesige »Duschraume« sichtbar.

Von den Opfern waren die meisten viel zu betaubt, um wirklich zu begreifen, was mit ihnen geschah. Sie begaben sich widerstandslos in die Duschraume. Manche aber untersuchten die Seife, die man ihnen gegeben hatte, und stellten fest, da? es ein Stuck Stein war. Anderen fiel auf, da? die Brausen an der Decke Attrappen waren und die Duschraume keinen Wasserabflu? hatten.

Oft entstand im letzten Augenblick eine Panik, doch an Stelle der Sanitater erschienen jetzt SS-Leute, die jeden, der zogerte, mit Knuppeln und Knuten in die »Duschraume« hineintrieben.

Die eisernen Turen wurden hermetisch geschlossen, aus einer Offnung an der Decke stromte Blausauregas, und in zehn oder funfzehn Minuten, je nach der Menge des Gases, war alles vorbei.

Dann kamen die Sonderkommandos. Sie bestanden aus Insassen des Lagers Auschwitz und hatten die Aufgabe, die Leichen aus den Gaskammern herauszuholen und zu den Verbrennungsofen zu bringen. Vor der Verbrennung wurden Ringe und Goldzahne entfernt. Sie wurden eingeschmolzen. Das Gold wurde nach Berlin geschickt.

Um Familienbilder oder Liebesbriefe, die man in den abgelegten Kleidern fand, kummerte sich keiner. Die SS- Leute durchsuchten lieber das Futter, in dem haufig Schmuck versteckt war. Oft fand man auch einen Saugling, den die Mutter in den Kleidern versteckt hatte; er wanderte dann mit zur nachsten »Dusche«.

Zu seinen SS-Mannern war Ho? wie ein Vater. Bei jedem Transport, der nach Birkenau kam, hatten sie zwar hart zu schuften. Dafur aber gab es dann Sonderrationen, und vor allem Schnaps. Sein System funktionierte reibungslos; nichts vermochte ihn zu irritieren. Er war nicht einmal aus der Fassung gebracht, als Eichmann eine Viertelmillion Juden aus Ungarn praktisch ohne jede Vorbereitung bei ihm ablud.

Das gro?te Problem in Birkenau war die Beseitigung der Leichen. Anfangs wurden sie direkt von den Gaskammern in offene Massengraber gebracht und mit Kalk uberschuttet. Doch der Gestank wurde bald unertraglich. Die SS-Leute zwangen die judischen Sonderkommandos, alle Leichen wieder herauszuholen. Sie wurden verbrannt und die Knochen anschlie?end zerkleinert. Doch auch das Verbrennen im Freien ergab einen zu ublen Gestank. Daher ging man zum Bau geschlossener Verbrennungsofen uber.

Ho? forderte von seinen Wissenschaftlern und Technikern eine noch gro?ere Vergasungskapazitat und weitere Senkung der Kosten. Seine Ingenieure entwarfen daraufhin ausgedehnte Erweiterungsplane, die sorgfaltig kalkuliert waren. Einer dieser Plane sah die Konstruktion einer hydraulisch nach oben und unten bewegbaren Gaskammer vor, ahnlich einem Fahrstuhl, die ihren Inhalt im nachsten Stockwerk abladen sollte, das als

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