Paradoxerweise bestanden die britischen Besatzungstruppen zum Teil aus Einheiten palastinischer Juden. Die Palastina-Brigade der britischen Armee, deren Einheiten uberall im besetzten Italien verteilt waren, hatte beim britischen Oberkommando lange Zeit als Elitetruppe gegolten. Doch dann gingen Agenten von Aliyah Bet zur Palastina-Brigade, und es dauerte nicht lange, da waren die palastinischen Soldaten eifrig damit beschaftigt, Fluchtlingslager zu errichten, die Fluchtlinge auf illegale Einwanderungsschiffe zu schmuggeln und dergleichen mehr. Theoretisch unterstanden die Einheiten britischen Offizieren, praktisch aber unterstanden sie dem Kommando des Palmach und der Aliyah Bet. Schimschon Bar Dror war Sergeant in einer dieser Einheiten und seine britischen Armeepapiere dienten ihm zur Einreise nach Polen und zur Ruckkehr von dort, nachdem er die Fluchtlinge in Marsch gesetzt hatte. Es war Fruhling, als der Zug mit den Fluchtlingen aus Auschwitz, unter denen sich auch Dov befand, in der Nahe des Comersees auf einem sehr abgelegenen Nebengleis au?erhalb von Mailand anhielt. Man hatte den Fluchtlingen zwar vorsorglich mitgeteilt, da? sie von Leuten in Empfang genommen wurden, die englische Uniformen trugen, doch es hatte nicht viel gefehlt, da? trotzdem eine Panik ausgebrochen ware. Soldaten, Manner in Uniform, mit dem Judenstern am Armel? Das war fur die Uberlebenden aus Auschwitz nicht zu fassen. Der Judenstern war immer das Abzeichen des Ghettos gewesen. Mit Ausnahme der Aufstande in den Ghetti hatte seit annahernd zweitausend Jahren kein Jude mehr unter diesem Zeichen gekampft.

Die polnischen Juden stiegen zogernd und mi?trauisch aus. Die Soldaten, die sie in Empfang nahmen, waren freundlich, sprachen hebraisch, einige von ihnen sogar jiddisch. Doch sie schienen eine ganz andere Art von Juden zu sein.

Eine Woche nach der Ankunft in Mailand wurde eine Gruppe von hundert Leuten, darunter auch Dov, mitten in der Nacht aus dem Lager geholt und auf englische Lastwagen verladen, die von Angehorigen der Palastina-Brigade gefahren wurden. Die Wagenkolonne begab sich in rascher Fahrt zu einem geheimen Treffpunkt an der Kuste, wo weitere dreihundert Fluchtlinge aus anderen Lagern dazustie?en.

Aus dem nahegelegenen Hafen von Spezia kam ein kleines Fahrzeug heran, das vor der Kuste Anker warf. Die Fluchtlinge wurden in Schlauchbooten an Bord gebracht, das Schiff lichtete Anker, lie? die Drei-Meilen-Zone hinter sich und wurde alsbald von der englischen Flotte gesichtet, die bestandig auf der Lauer lag.

Doch mit diesem Schiff, der Zinnen von Zion, ging irgend etwas Ungewohnliches vor. Im Gegensatz zu allen anderen Fluchtlingsschiffen nahm dieses Schiff nicht Kurs auf Palastina, sondern auf den Golfe du Lion. Weder die Englander noch die Fluchtlinge an Bord der Zinnen von Zion hatten die leiseste Ahnung, da? dieses kleine Fahrzeug nur ein Radchen in einem gigantischen Plan war.

XXVII.

Bill Fry sa? an einem Tisch des Restaurants von Miller Brothers in Baltimore, Maryland, und stocherte in seinem Essen. Er hatte keinen rechten Appetit. Mein Gott, dachte er, ich mochte wirklich wissen, ob ich mit diesem Krautdampfer uber den Atlantik komme. Bill Fry galt als der fahigste Kapitan von Mossad Aliyah Bet. Durch seine Landung mit der Stern Davids bei Casarea, war die illegale Einwanderung in ein neues Stadium eingetreten. Die Englander hatten sich gezwungen gesehen, die Internierungslager auf Zypern zu errichten. Das war ein Wendepunkt geworden, denn Mossad Aliyah Bet hatte ein Fluchtlingsschiff nach dem andern nach Palastina fahren lassen, und die Englander hatten einen Transport Fluchtlinge nach dem andern nach Zypern gebracht. Jetzt war ein neues kritisches Stadium erreicht: die Internierungslager auf Zypern konnten die Massen der illegalen Einwanderer nicht mehr fassen. Mossad Aliyah Bet, stolz auf diesen Erfolg und wild entschlossen, die englische Politik der Einwanderungsbeschrankung zu boykottieren, hatte einen abenteuerlichen Plan gefa?t und Bill Fry dazu ausersehen, ihn durchzufuhren.

Das bisher gro?te Schiff der illegalen Flotte war die Stern Davids gewesen, die fast zweitausend Passagiere befordert hatte. Die anderen Schiffe hatten hochstens tausend Passagiere an Bord gehabt. Die Leute von Mossad Aliyah Bet meinten nun, da? es fur die Englander ein Schlag sein mu?te, wenn es gelange, die Blockade mit einem Schiff zu durchbrechen, das mehr als funftausend Fluchtlinge an Bord hatte.

Bill wurde beauftragt, hierfur ein geeignetes Schiff ausfindig zu machen und es zum Einwandererschiff umbauen zu lassen. Damit sollte er funftausend Fluchtlinge aus dem Sammellager La Ciotat in Sudfrankreich abholen und nach Palastina bringen. Man fand, es sei das beste, ein solches Schiff in den Vereinigten Staaten oder in Sudamerika zu kaufen, wo die Englander nicht alle Hafen so genau uberwachten, wie dies in Europa der Fall war.

Agenten von Mossad Aliyah Bet bereisten Sudamerika, wahrend Bill in den Hafen im Golf von Mexiko und an der Ostkuste auf die Suche ging. Es zeigte sich bald, da? fur das Geld, das zur Verfugung stand, kein brauchbares Schiff zu haben war. Deshalb hatte Bill ein gewagtes Spiel gespielt, und jetzt machte er sich Sorgen. Er hatte einen uralten, altmodischen Dampfer gekauft, der nie den Ozean zu sehen bekommen hatte, sondern immer nur durch die Chesapeake Bay zwischen Baltimore und Norfolk gefahren war. Der einzige Vorzug, den Bill an diesem Schiff, der General Stonewall Jackson, entdecken konnte, war der niedrige Preis, den man fur den Dampfer verlangt hatte.

Ein Ober in wei?er Jacke kam an den Tisch und fragte Bill: »Ist mit dem Essen irgend etwas nicht in Ordnung, mein Herr?«

»Hm? Nein, nein — das Essen ist prima«, brummte Bill und schob sich einen Loffel voll in den Mund.

War es ein Fehler gewesen, den alten Kasten zu kaufen? Im Augenblick befand er sich auf einer Werft in Newport News, Virginia, und wurde umgebaut, um 6850 Fluchtlinge aufnehmen zu konnen.

Bill seufzte. Er dachte an die andere Seite der Sache. Angenommen, es gelang ihm, siebentausend Fluchtlinge auf einen Schlag aus Europa wegzubringen! Das wurde die bisherige britische Politik praktisch auffliegen lassen!

Bill schob den Teller zuruck und verlangte die Rechnung. Er fischte sich den ausgegangenen Zigarrenstummel aus dem Aschenbecher, brannte ihn an und las zum soundsovielten Male das Telegramm aus Newport News: JACKSON FERTIGGESTELLT. In Newport News versammelte Bill am nachsten Tag seine Crew, die aus Palmach- und Aliyah-Bet-Leuten, amerikanischen Juden, sympathisierenden spanischen Loyalsten, Italienern und Franzosen bestand. Er besichtigte das Schiff und machte eine kurze Probefahrt durch die Bucht, dann stellte er den Hebel auf »Volle Kraft voraus« und steuerte auf den Atlantischen Ozean hinaus.

Schon nach drei Stunden hatte die Jackson Maschinenschaden und mu?te nach Newport News zuruck.

Im Verlauf der nachsten vierzehn Tage unternahm Bill drei weitere Versuche. Sobald sich der alte Kasten etwas weiter aus den ruhigen Gewassern entfernte, an die er gewohnt war, streikte er, und Bill mu?te in den Hafen zurucksteuern.

Schlie?lich gestand Bill den Leuten von Aliyah Bet, da? er einen Fehler gemacht habe. Mit der Jackson sei einfach nichts zu machen. Doch sie beschworen ihn, das Schiff nochmals grundlich uberholen zu lassen und nach einer weiteren Woche einen letzten Versuch zu unternehmen.

Bei diesem funften Versuch hielt die ganze Crew den Atem an, als der alte Kasten an Cap Henry vorbeidampfte, auf den hohen Ozean hinausfuhr — und nicht streikte, sondern weiterdampfte. Zweiundzwanzig Tage spater keuchte die Stonewall Jackson durch den Golfe du Lion und naherte sich dem Hafen von Toulon, der vierzig Meilen von Marseille und nur zwanzig Meilen von dem Fluchtlingssammellager La Ciotat entfernt war. In Frankreich war gerade ein Streik der Lastwagenfahrer im Gange, und die Leute der CID, die mit der Uberwachung des Lagers La Ciotat betraut waren, atmeten fur einen Augenblick erleichtert auf. Denn solange keine Lastwagen fuhren, war auch nicht mit Fluchtlingsbewegungen zu rechnen. Au?erdem war, seit vor mehreren Wochen die Zinnen von Zion in Port-de-Bouc gelandet war, keinerlei Meldung mehr gekommen, da? aus irgendeinem europaischen Hafen ein illegales Schiff unterwegs sei. So uberraschte man die Englander gerade zu dem Zeitpunkt, als sie sich ein Nickerchen gonnten.

Uber die Jackson war bei der CID keine Vorwarnung eingegangen, da sie in den Staaten gekauft und umgebaut worden war. Ferner war bisher kein Aliyah-Bet-Schiff so gro? gewesen, da? es den Atlantik hatte uberqueren konnen. Kurze Zeit vor dem Eintreffen der Jackson im Hafen von Toulon setzte sich Aliyah Bet mit der Leitung der franzosischen Transportarbeitergewerkschaft in Verbindung und erklarte den Leuten, worum es sich hier handelte. Die Gewerkschaft organisierte in aller Stille Fahrer und Lastwagen, und wahrend der Streik der Lastwagenfahrer noch uberall anhielt, wurden aus dem Lager La Ciotat 6500 Fluchtlinge nach Toulon gebracht. Unter ihnen war auch Dov Landau.

Die CID kam im letzten Augenblick dahinter und eilte nach Toulon. Angehorige des Hafenamtes wurden mit enormen Summen geschmiert, damit sie das Auslaufen der Jackson wenigstens so lange verzogerten, bis die CID Instruktionen aus London erhalten hatte. Mossad Aliyah Bet bestach gleichfalls Beamte des Hafenamtes, um zu erreichen, da? das Schiff auslaufen durfe, das jetzt nicht mehr Stonewall Jackson, sondern Gelobtes Land hie? und

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