»Und ich hei?e Karen. Vielleicht kannst du das nachstemal, wenn wir uns sehen, Tag, Karen, zu mir sagen. Das war' doch schon was —, wenn du auch ein finsteres Gesicht dabei machst.«

Sehr langsam wandte er sich wieder zu ihr herum, doch sie war nicht mehr da. Er ging zum Ausgang des Zeltes und sah ihr nach, wie sie zu dem Wasserwagen ging, der eben vorbeigekommen war. Er fand sie sehr schon.

Es war das erstemal seit vielen Monaten, da? von au?en irgend etwas an Dov Landau herangekommen war. Diese Karen war so ganz und gar anders als alle anderen, die mit ihm zu reden versuchten. Sie war kurz angebunden und schnippisch und ein bi?chen scheu, gleichzeitig strahlte etwas von ihr aus, etwas Zartliches. Sie hielt keine gro?en Reden, betete nicht irgend etwas her, was sie nicht meinte. Sie war genau wie er in Caraolos eingesperrt, doch sie beklagte sich nicht daruber und schien auch nicht verbittert zu sein wie all die anderen. Sie hatte eine wunderschone Stimme, die aber auch sehr energisch sein konnte.

»Da hast du deinen Eimer wieder«, sagte Karen, »und vielen Dank auch. — Auf Wiedersehen, Dov.«

Dov brummte vor sich hin.

»Ach, richtig, du bist ja der, der nicht redet, sondern brummt. In meinem Kindergarten habe ich einen kleinen Jungen, der ist genauso. Allerdings behauptet er, er ware ein Lowe.«

»Auf Wiedersehen!« brullte Dov, so laut er konnte.

Die Tage verstrichen in der Gleichformigkeit des Lagers, und doch war irgend etwas anders geworden. Dov war nach wie vor stumm, murrisch und in sich gekehrt, aber immer haufiger kam es vor, da? er nicht an den Tod dachte und an seinen Ha?. Er horte die Stimmen der Kinder vom Spielplatz, und er horte, wie Karen mit den Kindern sprach. Das erschien Dov ganz sonderbar. In der ganzen Zeit in Caraolos hatte er noch nie die Stimmen der spielenden Kinder gehort. Er horte sie erst, seit er Karen kennengelernt hatte.

Eines Nachts stand Dov am Stacheldraht und sah zu, wie der Kegel des Scheinwerfers uber die Reihen der Zelte glitt. Er stand oft nachts am Stacheldraht und sah den Scheinwerfern zu. Er hatte noch immer Angst vor dem Einschlafen. Auf dem Spielplatz hatte die Palmach-Gruppe ein Feuer gemacht, sa? darum herum und sang und tanzte. Dov hatte diese Lieder fruher auch einmal gesungen, bei den Zusammenkunften der Bauleute. Doch er mochte sie jetzt nicht mehr horen. Damals waren Mundek und Ruth und Rebekka dabeigewesen. »Hallo, Dov!«

Er fuhr herum und sah Karen in der Dunkelheit vor sich stehen. »Hast du keine Lust, zum Feuer mitzukommen?« fragte Karen. Sie kam naher an ihn heran, doch er wandte ihr den Rucken zu.

»Du magst mich doch, nicht wahr? Mit mir kannst du doch reden. Warum willst du nicht mitmachen, wenn wir zusammenkommen?«

Er schuttelte den Kopf.

»Dov —«, sagte sie mit leiser Stimme.

Er fuhr herum und sah sie wutend an. »Armer Dov!« rief er. »Der arme Irre! Du bist genau wie alle anderen! Du redest blo? sanfter!« Dov griff nach ihr, legte die Hande um ihren Hals und druckte ihr die Kehle zu. »La? mich in Ruhe — horst du — la? mich in Ruhe!« Karen sah ihm fest in die Augen. »Nimm deine Hande von meinem Hals, augenblicklich.«

Er lie? die Arme sinken. »Ich wollte dir nichts tun«, sagte er. »Ich wollte dich nur erschrecken.«

»Erschreckt hast du mich nicht«, sagte sie und ging.

Eine Woche lang sah ihn Karen weder an, noch sprach sie mit ihm. Dov plagte die Unruhe. Es war ihm unmoglich, wie fruher stundenlang dazuliegen und vor sich hinzustarren. Den ganzen Tag ging er ruhelos im Zelt auf und ab. Fruher war er mit seinen Gedanken allein gewesen. Jetzt konnte er uberhaupt nicht mehr denken!

Eines Abends war Karen mit ihren Kindern auf dem Spielplatz. Ein kleiner Junge fiel beim Spielen hin und fing an zu weinen. Sie kniete sich zu ihm nieder, legte die Arme um ihn und trostete ihn. Irgend etwas veranla?te sie, den Blick zu heben. Vor ihr stand Dov. »Tag, Karen«, sagte er kurz und ging rasch wieder davon.

Die anderen hatten Karen zwar davor gewarnt, sich mit Dov einzulassen. Doch Karen wu?te es besser. Sie wu?te, da? er verzweifelt war, da? er einen Menschen brauchte, und da? dieses kurze »Tag, Karen« seine Form dafur war, sie um Verzeihung zu bitten.

Ein paar Tage spater fand sie abends auf ihrem Bett eine Zeichnung: sie stellte ein kniendes Madchen dar, das einen kleinen Jungen im Arm hielt. Dahinter war Stacheldraht. Sie ging hinuber zu Dovs Zelt, aber Dov drehte ihr den Rucken zu, als er sie kommen sah.

»Du bist ein sehr guter Zeichner«, sagte Karen.

»Mu? ich ja wohl«, sagte er bissig. »Hab' ja viel Ubung gehabt. Meine Spezialitat sind George Washington und Abraham Lincoln.« Er sa? unbehaglich auf seiner Koje und bi? sich auf die Lippe. Karen setzte sich neben ihn. Ihm war sonderbar zumute, denn er hatte, seine Schwestern ausgenommen, noch nie so nahe neben einem Madchen gesessen. Sie beruhrte mit dem Finger die blaue Nummer, die auf seinem linken Unterarm eintatowiert war, und fragte: »Auschwitz?«

»Warum gibst du dich eigentlich mit mir ab?«

»Bist du noch nie auf den Gedanken gekommen, ich konnte dich vielleicht gern haben?«

»Mich gern haben?«

»Du siehst sehr nett aus, wenn du nicht gerade eine finstere Miene machst — was allerdings, das mu? ich zugeben, meistens der Fall ist, und du hast eine sehr nette Stimme, wenn du mal nicht brummst oder knurrst.«

Seine Lippen zitterten. »Ich — ich mag dich auch gern. Du bist nicht so wie all die andern. Du verstehst mich. Mundek, mein Bruder, der verstand mich auch.«

»Wie alt bist du?«

»Siebzehn«, sagte Dov. Dann sprang er plotzlich auf, fuhr herum und fauchte: »Wie ich sie hasse, diese gottverdammten Englander. Sie sind nicht besser als die Deutschen.«

»Dov!«

Der heftige Ausbruch war so schnell vorbei, wie er gekommen war. Und doch, es war ein Anfang. Er hatte seinem Herzen Luft gemacht. Es war seit einem Jahr das erstemal, da? er mehr als ein oder zwei Worte hintereinander gesprochen hatte.

Dov war gern mit Karen zusammen. Er freute sich, wenn sie zu ihm kam, weil sie zuhoren konnte und weil sie ihn verstand. Er konnte ihr manchmal eine Weile ganz ruhig irgend etwas erzahlen. Dann auf einmal brachen die Erbitterung und der Ha? aus ihm heraus. Hinterher zog er sich wieder in sich selbst zuruck und versank in dusteres Schweigen.

Karen fa?te allmahlich Zutrauen zu ihm und erzahlte ihm, wie es ware, wenn sie ihren Vater in Palastina wiedersahe. In der ganzen Zeit, seit Karen von den Hansens weggegangen war, hatte sie immer soviel Arbeit mit den Kleinen gehabt, da? sie nie die Zeit gefunden hatte, sich mit einem Menschen wirklich anzufreunden. Dov schien stolz zu sein, da? sie gern mit ihm uber all diese Dinge redete, und sie — ja, das war sonderbar, aber sie fand es auch sehr schon, sie ihm erzahlen zu konnen.

Eines Tages geschah etwas sehr Bedeutsames: Dov Landau lachelte, zum erstenmal, nach langer, langer Zeit.

XXIX.

Es waren nur noch vierundzwanzig Stunden bis zu der letzten, der entscheidenden Phase des Unternehmens Gideon. Ari ben Kanaan versammelte seine Leute im Haus von Mandria.

David ben Ami ubergab Ari die Listen und die Papiere fur die Verlegung, die Dov Landau soeben fertiggestellt hatte. Ari prufte sie und meinte, der Junge sei ein wahrer Kunstler. Niemand konnte die Echtheit dieser Dokumente bezweifeln. David erstattete Meldung uber den Umbau und die Ausrustung der Exodus, wobei man an alles gedacht hatte, angefangen von allgemeinen Sicherheitsma?nahmen bis zu koscherem Konservenfleisch fur die strengglaubigen Kinder. Joab Yarkoni, der Marokkaner, meldete, da? alle Lastwagen fahrbereit seien und innerhalb von zwanzig Minuten vom Lager der 23. Transportkompanie aus in Caraolos sein konnten. Er gab ferner die genauen Zeiten fur die Fahrt von Caraolos nach Kyrenia auf den einzelnen Strecken an.

Seew Gilboa sagte, da? die dreihundertundzwei Kinder innerhalb von Minuten auf den Wagen verladen sein konnten, und da? er den Kindern erst unmittelbar vor der Abfahrt bekanntgeben werde, wohin die Reise gehe.

Hank Schlosberg, der amerikanische Skipper der Exodus, sagte, er werde bei Morgengrauen in Larnaca abfahren und Kurs auf Kyrenia nehmen, um mindestens ein bis zwei Stunden vor der voraussichtlichen Ankunft der Wagenkolonne im Hafen einzutreffen. Mandria meldete, da? er langs der ganzen Fluchtstrecke Spaher postiert habe, die die Wagenkolonne auf jede auffallige Aktivitat der Englander aufmerksam machen konne. Desgleichen habe er

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