Die Sonne ging unter, und es war Nacht. Mark sa? in Kittys Zimmer, und beide schwiegen.
»Es hat keinen Sinn, die ganze Nacht aufzubleiben«, sagte er schlie?lich.
»Bitte bleib da«, sagte Kitty. »Ich lege mich nur aufs Bett.« Sie griff in den Nachttischkasten und holte zwei Schlaftabletten heraus. Dann machte sie das Licht aus, wandte sich um und versuchte Schlaf zu finden.
Mark setzte sich ans Fenster und sah der Brandung zu, die an den Strand schlug. So vergingen zwanzig Minuten. Mark drehte sich um und sah zu Kitty hinuber. Sie schien eingeschlafen zu sein, walzte sich aber unruhig hin und her. Er ging an ihr Bett, blieb eine Weile bei ihr stehen und sah sie an. Dann deckte er sie mit einer Decke zu und ging wieder zu seinem Stuhl zuruck.
In Caraolos sa? Karen mit Dov in einer Koje. Beide waren zu aufgeregt, um schlafen zu konnen. Sie sprachen leise miteinander. Von allen Kindern wu?ten nur sie allein, was der morgige Tag bringen wurde.
Schlie?lich gelang es Karen, Dov zu uberreden, sich auszustrecken. Als ihm die Augen zufielen, stand sie auf. Eine seltsame Empfindung ging durch ihren Korper. Etwas, was sie nicht verstand und wovor sie fast ein wenig erschrak. Dov bedeutete ihr mehr, als ihr bisher bewu?t gewesen war. Es war nicht nur Mitleid, was sie fur ihn empfand. Es war noch etwas anderes, etwas Unverstandliches.
Sie ware gern zu Kitty gegangen, um mit ihr daruber zu reden. Doch Kitty war nicht da.
Bei der 23. Transportkompanie SMJSZ lagen drei Manner auf ihren Feldbetten, mit offenen Augen, hellwach.
Seew Gilboa wagte zum erstenmal seit fast einem Jahr wieder an den Fruhling in Galilaa zu denken, an die Felder seines Dorfes, an seine Frau und sein Kind. Joab Yarkoni dachte an Sdot Yam, das Fischerdorf, und wie schon es ware, wieder mit seinem Trawler hinaus zum Fischen fahren zu konnen. Er stellte sich das Wiedersehen mit seinem Bruder und seiner Schwester vor.
Und David ben Ami dachte an Jerusalem, das er fast ebenso hei? liebte wie Jordana, Aris Schwester.
Die drei Manner waren sich daruber klar, da? sie vielleicht nur kurze Zeit in Palastina bleiben wurden; denn sie waren Palmach- und Aliyah-Bet-Angehorige und konnten jederzeit an irgendeiner anderen Stelle gebraucht werden. Doch in dieser Nacht dachten sie alle an ihr Zuhause.
Brigadier Bruce Sutherland erwachte wieder einmal aus einem seiner qualenden Traume. Er zog sich an, verlie? das Haus und ging einsam durch das nachtliche Famagusta. Er war mude, sehr mude und erschopft, und er fragte sich, ob es fur ihn jemals wieder eine Nacht geben wurde, in der er ruhig schlafen konnte.
Mandria lief unruhig hin und her in dem Raum, in dem sich die Manner von Mossad Aliyah Bet so oft versammelt hatten. Mandria und andere Griechen auf Zypern, die gleich ihm mit den Juden zusammenarbeiteten, begannen allmahlich an die Moglichkeit einer Widerstandsbewegung der Griechen gegen die Herrschaft der Englander auf Zypern zu denken.
Ein Mann aber schlief fest und tief. Ari ben Kanaan schlief wie ein satter Saugling, so als ob auf der ganzen Welt Frieden herrschte. Zwanzig Minuten vor neun Uhr morgens bestieg Ari ben Kanaan, in seiner Verkleidung als Captain Calep Moore, den Jeep an der Spitze der Kolonne von zwolf Lastwagen der 23. Transportkompanie. Am Steuer eines jeden Wagens sa? ein Palmach-Mitglied in englischer Uniform. Die Kolonne setzte sich in Bewegung und hielt zwanzig Minuten spater vor dem Verwaltungsgebaude des Lagers Caraolos. Ari ging hinein und klopfte bei dem Lagerkommandanten an, dessen Bekanntschaft er in den letzten drei Wochen gemacht und sorgsam gepflegt hatte.
»Guten Morgen, Sir«, sagte Ari.
»Guten Morgen, Captain Moore. Was fuhrt Sie zu mir?«
»Wir haben von der Kommandantur einen eiligen Sonderauftrag bekommen, Sir. Das Lager in Larnaca scheint schneller fertigzuwerden, als man erwartet hatte. Ich soll schon heute einen Teil der Kinder hinuberbringen.« Ari legte die gefalschten Papiere auf den Schreibtisch des Lagerkommandanten.
Der CO blatterte die Listen durch. »Davon steht nichts auf unserem Verlegungsplan«, sagte er. »Die Verlegung der Kinder sollte erst in drei Tagen beginnen.«
»Kommt aber von der Kommandantur, Sir«, sagte Ari.
Der CO bi? sich nachdenklich auf die Lippe, sah Ari an, prufte nochmals die Papiere und hob dann den Horer ab. »Hallo — hier Potter. Captain Moore hat Anweisung, dreihundert Kinder aus Sektion 50 in das neue Lager zu bringen. Weisen Sie ein ArbeitsKommando an, den Transport schleunigst zusammenzustellen.« Der CO nahm seinen Fuller und zeichnete die Verlegungspapiere ab. »Mhm, was ich noch sagen wollte, Moore — besten Dank fur den Whisky, den Sie uns geschickt haben.«
»War mir ein Vergnugen, Sir.«
Ari nahm die Papiere wieder an sich. Der CO seufzte. »Juden kommen und Juden gehen«, sagte er.
»Ja, Sir«, sagte Ari. »Sie kommen — und sie gehen.«
Im Zimmer von Mark war der Fruhstuckstisch am Fenster gedeckt. Kitty und Mark hatten kaum etwas gegessen, und in Marks Aschenbecher hauften sich die Kippen.
»Wie spat ist es?« fragte Kitty zum funfzehntenmal.
»Gleich halb zehn«, sagte Mark. Dann zeigte er aufs Meer hinaus und sagte: »Da, sieh doch mal.«
Drau?en erschien die altehrwurdige Aphrodite/Exodus und naherte sich langsam dem Hafeneingang.
»Gro?er Gott!« sagte Kitty. »Ist das die Exodus?«
»Ja, das ist sie.«
»Mein Gott, Mark — das Schiff sieht aus, als wurde es im nachsten Augenblick auseinanderfallen.«
»Allerdings.«
»Aber wie um alles in der Welt wollen sie denn auf diesem Schiff dreihundert Kinder unterbringen?«
Mark brannte sich eine neue Zigarette an. Er ware gern aufgestanden und im Zimmer umhergegangen, doch er wollte Kitty nicht merken lassen, wie unruhig er war.
Neun Uhr drei?ig.
Neun Uhr vierzig.
Die Exodus passierte den Leuchtturm und gelangte durch die schmale Einfahrt in den Hafen von Kyrenia.
Neun Uhr funfzig.
»Mark, bitte setz dich hin. Du machst mich ganz nervos.«
»Wir mu?ten eigentlich bald einen Anruf von Mandria haben. Es kann jetzt jede Minute soweit sein.«
Zehn Uhr.
Zehn Uhr funf.
Sechs Minuten nach zehn. Sieben Minuten nach zehn.
»Verdammt! Wo bleibt denn der Kaffee, den ich bestellt hatte? Kitty, geh doch mal in dein Zimmer und ruf unten an, ja? Sag ihnen, sie sollen endlich den Kaffee herauf bringen.«
Zehn Uhr funfzehn.
Der Kaffee wurde gebracht.
Zehn Uhr siebzehn. Marks Nervositat lie? nach. Er wu?te: wenn er in den nachsten zehn Minuten nichts von Mandria horte, dann war irgendwas schiefgegangen.
Zehn Uhr zwanzig. Das Telefon klingelte!
Mark und Kitty sahen sich einen Augenblick an. Mark wischte sich den Schwei? von der Handflache, holte tief Luft und nahm den Horer ab.
»Hallo.«
»Mr. Parker.«
»Am Apparat.«
»Einen Augenblick bitte, Sie werden aus Famagusta verlangt.« »Hallo — hallo — hallo.«
»Parker?«
»Am Apparat.«
»Hier ist Mandria.«
»Ja?«
»Sie sind soeben hier durchgekommen.«
Mark legte langsam den Horer auf. »Er hat sie also tatsachlich aus dem Lager herausbekommen. Sie fahren jetzt auf der Stra?e nach Larnaca. In rund funfzehn Minuten werden sie abbiegen und in nordlicher Richtung davonbrausen. Es ist eine Strecke von rund funfzig Meilen, gro?tenteils durch flaches Land. Nur einmal mussen sie uber einen Pa?, falls sie nicht einen Umweg machen mussen. Sie mu?ten also kurz nach zwolf hier sein, wenn alles klargeht. Komm,