Spaher auf einem halben Dutzend Ausweichstrecken postiert. Mandria sagte, er werde, wie befohlen, hier in seinem Haus in Famagusta warten. Wenn die Wagenkolonne vorbeigekommen sei, werde er augenblicklich Mark Parker in Kyrenia anrufen.
Ari stand auf und sah seine Leute an. Sie waren nervos, alle miteinander. Sogar Yarkoni, der sonst die Ruhe selbst war, starrte auf den Fu?boden. Ari lobte seine Mitarbeiter nicht, und er wunschte ihnen auch nicht Hals- und Beinbruch. Fur anerkennende Worte war im Augenblick keine Zeit, und da? alles gut ging, dafur wurden sie schon selber sorgen.
»Ich hatte ursprunglich die Absicht, die Kinder erst in drei Tagen nach Kyrenia zu bringen«, sagte er. »Ich wollte warten, bis die Englander selbst angefangen hatten, Kinder aus dem Lager von Caraolos in das neue Lager zu uberfuhren. Inzwischen haben wir jedoch erfahren, da? Major Alistair Verdacht geschopft hat. Es besteht sogar Grund zu der Annahme, da? er sich uber Brigadier Sutherlands Kopf hinweg mit London in Verbindung gesetzt und um Anweisungen gebeten hat. Deshalb mussen wir sofort handeln. Unsere Lastwagen sind morgen fruh neun Uhr in Caraolos. Ich hoffe, Herr Mandria, da? wir bis gegen zehn Uhr die Kinder verladen haben und mit unserer Wagenkolonne hier an Ihrem Haus vorbeikommen werden. Von dem Augenblick an, da wir von der Stra?e nach Larnaca abbiegen, haben wir zwei kritische Stunden vor uns. Wir haben absolut keinen Grund anzunehmen, da? man unsere Kolonne anhalten wird. Die Wagen der 23. Transportkolonne sind in ganz Zypern bekannt. Dennoch, wir mussen damit rechnen, da? wir verdachtigt werden konnten. Gibt es noch irgendwelche Fragen?« Keine Fragen.
David ben Ami, sentimental wie er nun einmal war, konnte die Gelegenheit ohne einen Trinkspruch nicht vorbeigehen lassen. Diesmal hatte auch Ari nichts gegen die Unbekummertheit seines Freundes einzuwenden.
»Le Chajim«, sagte David, indem er sein Glas hob.
»Le Chajim«, fielen die anderen ein.
»Ich habe dieses ,Le Chajim' von euch schon so oft gehort«, sagte Mandria. »Was bedeutet es?«
»Es hei?t ,Zum Leben'!« antwortete David, »und fur Juden ist das wahrhaftig keine geringe Forderung.«
»Zum Leben!« wiederholte Mandria. »Ein gutes Wort!«
Ari ging zu Mandria und umarmte ihn, so wie es beim Palmach ublich war. »Sie waren uns ein guter Freund«, sagte er. »So, und jetzt mu? ich zu Parker.«
Mandria strahlte, und die Tranen liefen ihm uber das Gesicht. Da? Ari ihn umarmt hatte, wie sich sonst nur die Manner des Palmach untereinander umarmten, bedeutete, da? man ihn als einen der ihren anerkannt hatte.
Eine halbe Stunde spater traf sich Ari, nunmehr als Captain Caleb Moore, mit Mark auf der Terrasse des King George. Mark war ein Nervenbundel. Ari nahm Platz.
»Nun?« fragte Mark ungeduldig.
»Morgen. Um neun sind wir in Caraolos.«
»Ich dachte, Sie wollten warten, bis die Englander angefangen hatten, die Kinder zu verlegen?«
»Ja, das ware auch besser gewesen, aber wir konnen nicht langer warten. Einer unserer Vertrauensleute bei der CID hat uns mitgeteilt, da? Alistair Lunte gerochen hat.« Mark machte ein besorgtes Gesicht. »Kein Grund zur Aufregung«, sagte Ari, »die Sache ist schon so gut wie vorbei. Die Englander haben zwar Verdacht geschopft, aber sie wissen noch nicht, auf was. Also, jetzt sind Sie im Bilde.«
Mark nickte. Er werde ein Telegramm nach London schicken, mit der Bitte, seinen Urlaub zu verlangern. Durch die Unterschrift »Mark« wisse Bradbury, da? das Unternehmen Gideon gegluckt sei, und konne Parkers Bericht an die Presse weitergeben.
»Und was, wenn ich bis zehn keinen Anruf von Mandria habe?«
Ari lachelte. »Dann wurde ich Ihnen vorschlagen, schleunigst aus Zypern abzuhauen; es sei denn, Sie wollen als Berichterstatter meiner Hinrichtung beiwohnen.«
»Konnte eine nette Story ergeben«, antwortete Mark.
»Ubrigens«, sagte Ari und sah beilaufig auf das Meer hinaus, »Kitty ist gar nicht mehr im Lager gewesen, seit wir Karen auf die Liste fur die Exodus setzen mu?ten.«
»Stimmt. Sie ist bei mir, im Dom-Hotel.«
»Und wie geht es ihr?«
»Wie soll es ihr gehen? Naturlich miserabel. Sie mochte nicht, da? Karen auf die Exodus mitgeht. Konnen Sie ihr das verubeln?«
»Ich mache ihr keinen Vorwurf. Sie tut mir leid.«
»Nett von Ihnen. Ich wu?te gar nicht, da? Ihnen jemand leid tun kann.«
»Ich bedauere es, da? sie ihrem Gefuhl erlaubt hat, mit ihr durchzugehen.«
»Ach, richtig, fur Sie existieren doch keine menschlichen Gefuhle. Das hatte ich ganz vergessen.«
»Sie sind nervos, Mark.«
Aris kuhle Gelassenheit machte Mark wutend. Er mu?te daran denken, wie verzweifelt Kitty gewesen war, als sie ihm erzahlt hatte, Karen wurde auf das Schiff mitgehen. »Was wollen Sie eigentlich? Kitty hat in ihrem Leben mehr gelitten, als ein Mensch uberhaupt leiden darf.«
»Gelitten?« sagte Ari. »Ich bezweifle, da? Kitty Fremont uberhaupt wei?, was dieses Wort bedeutet.«
»Zum Teufel mit Ihnen, Ben Kanaan, hol Sie der Teufel! Glauben Sie, da? die Juden das Recht zu leiden gepachtet haben?«
Mark stand auf und wollte gehen. Ari ergriff ihn am Arm und hielt ihn fest. Zum erstenmal erlebte Mark bei Ben Kanaan, da? ihn seine ruhige Gelassenheit verlie?. Es blitzte zornig in Aris Augen. »Verdammt noch mal — begreifen Sie denn gar nicht, um was es hier geht? Denken Sie vielleicht, das ware eine Landpartie? Wir nehmen es morgen mit dem britischen Empire auf, und es geht hart auf hart!«
Er lie? Marks Arm los und beherrschte sich sofort wieder. Fast tat er Mark im Augenblick ein kleines bi?chen leid. Ari verstand sich vielleicht besser zu beherrschen, doch auch bei ihm machte sich die Spannung allmahlich bemerkbar.
Einige Stunden spater war Mark wieder im Dom-Hotel in Kyrenia. Er klopfte an Kittys Tur. Sie zwang sich zu einem matten Lacheln, doch Mark sah ihren Augen an, da? sie geweint hatte.
»Morgen geht es los«, sagte er.
Kitty erstarrte. »Schon so bald?«
»Ja, sie furchten, die Englander konnten irgendwas gemerkt haben.« Kitty ging ans Fenster und sah hinaus. Es war ein strahlend klarer Abend. Sogar der schwache Streifen der turkischen Kuste war zu sehen. »Ich habe versucht, meinen ganzen Mut zusammenzunehmen, wollte meine Koffer packen und abreisen«, sagte sie. »Aber ich kann nicht.«
»Hor zu«, sagte Mark. »Sobald die Sache hier vorbei ist, fahren wir beide zusammen fur ein paar Wochen an die Riviera.«
»Ich dachte, du mu?test nach Palastina?«
»Ich wei? nicht, ob die Englander mich nach dieser Geschichte dort noch hineinlassen. Kitty, ich habe ein scheu?lich schlechtes Gewissen, da? ich dich in die ganze Sache mit hineingezogen habe.« »Es ist nicht deine Schuld, Mark.«
»Das hast du schon gesagt, aber es stimmt nicht. Wirst du damit fertigwerden?«
»Doch, ich glaube schon. Ich hatte es wissen mussen. Du hattest mich gewarnt. Und mir war von Anfang an klar, da? ich mich auf sehr schwankendem Boden bewegte. Wei?t du, Mark — es ist sonderbar, wir haben noch daruber gestritten, an dem Abend, an dem ich Ben Kanaan kennenlernte. Ich hatte damals zu dir gesagt, mit den Juden sei irgend etwas eigenartig. Sie sind eben doch anders als wir.«
»Jedenfalls haben sie eine unwahrscheinliche Fahigkeit, in Schwierigkeiten zu geraten«, sagte Mark. »Das scheint geradezu ihr Hobby zu sein.« Mark stand auf und rieb sich die Stirn. »Also — es mag sein, wie es will, essen konnten wir eigentlich trotzdem. Ich bin hungrig.«
Kitty lehnte in der Tur, wahrend Mark das Gesicht in kaltes Wasser tauchte. Er suchte nach dem Handtuch, und sie reichte es ihm.
»Mark — es wird sehr gefahrlich sein auf der Exodus, nicht wahr?« Er zogerte einen Augenblick. Es hat keinen Sinn, ihr jetzt noch etwas vorzumachen. »Die Exodus ist eine schwimmende Bombe«, sagte er.
»Sag mir die Wahrheit, Mark. Kann diese Sache uberhaupt gutgehen?«
»Da dieses gefuhllose Monstrum, dieser Ari ben Kanaan, das Unternehmen leitet, besteht immerhin eine gewisse Chance.«