Sara stand vor ihm und sah ihn lachelnd an. »Du machst dich uber mich lustig«, sagte er sanft. »Warum?«
Sie setzte sich auf seinen Scho?. Er strich ihr uber das Haar, und seine machtigen Hande waren von uberraschender Zartheit.
»Ich mu?te gerade an dich und Ari denken. Es wird eine sehr schwere Arbeit werden, und die Strapazen werden gro? sein.« »Schweig, Weib — und trink deinen Tee.«
Barak kundigte der Zionistischen Siedlungsgesellschaft, verkaufte seine Wohnung in Tel Aviv und zog mit funfundzwanzig Familien von Neusiedlern zum Hule-Moor, um dort einen Moschaw zu errichten. Sie nannten die Siedlung Yad El, die Hand Gottes.
Sie schlugen ihre Zelte unterhalb der Felder von Abu Yesha auf und machten sich einen genauen Arbeitsplan. Noch nie hatten NeuSiedler vor einer so schwierigen Aufgabe gestanden. Das Hule-Moor war ein unergrundlicher Sumpf, mit finsteren Dickichten aus undurchdringlich verfilztem Unterholz und Papyrusstauden, die bis zu neun Meter hoch aufragten. Im schlammigen Boden lebten giftige Schlangen, Skorpione, Ratten und hundert andere Arten von Getier. Alles, selbst Trink- und Waschwasser, mu?te auf Mauleseln herangebracht werden.
Sara hatte die Leitung des Ausgangslagers, des Krankenzeltes und der Kuche. Barak fuhrte die Arbeitskommandos, die Tag fur Tag mit Schaufeln und Hacken in die Sumpfe zogen.
In diesem ersten Sommer arbeiteten sie Tag fur Tag, Woche um Woche und Monat um Monat in der gluhenden Sommerhitze. Sie standen im Wasser, das ihnen bis an die Huften und manchmal bis zum Hals reichte und hieben mit Macheten auf den wuchernden Dschungel ein, bis sie die Arme nicht mehr heben konnten. Auf dem bereinigten Terrain begannen sie mit dem Bau von Entwasserungskanalen. Die Frauen arbeiteten Seite an Seite mit den Mannern und standen mit ihnen im Schlamm. Der zehnjahrige Ari ben Kanaan, eins von den drei Kindern in der Siedlung, schaffte den Abfall fort und brachte Trinkwasser und Verpflegung fur die Arbeiter heran. Jede Woche hatte sieben Werktage, und man arbeitete von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Und doch fanden sie jeden Abend noch die Kraft, ein paar Lieder zu singen und Horra zu tanzen, ehe sie sich fur sechs oder sieben Stunden schlafen legten. Dazu kam nachts die ubliche Wache zum Schutz gegen Rauber und wilde Tiere.
Sie mu?ten sich sehr beeilen, um den Bau der Entwasserungskanale vor den winterlichen Regenfallen zu beenden. Wenn das Regenwasser nicht ablief, war die Arbeit des Sommers vergeblich gewesen. Auch hier wurden Hunderte australischer Eukalyptusbaume gepflanzt, die das Wasser aufsaugten. Alle Siedlungen in der Gegend schickten ihnen soviel Arbeitskrafte zu Hilfe, wie sie selbst entbehren konnten.
Am Abend bei Kerzenlicht unterrichteten Sara und Barak Ari und die beiden anderen Kinder. Die winterlichen Regengusse setzten ein und schwemmten das Ausgangslager fast davon. Nach jedem Sturzregen mu?ten sie zu den Entwasserungskanalen eilen und dafur sorgen, da? sie der Schlamm nicht verstopfte und das Ablaufen des Wassers verhinderte.
Selbst ein Mann von der Starke und Energie Barak ben Kanaans begann sich allmahlich zu fragen, ob sie sich diesmal nicht doch zuviel zugetraut hatten. Jedesmal, wenn er Ari und Sara ansah, blutete ihm das Herz. Sie waren von Insekten zerstochen, litten an Ruhr, hatten Hunger und Durst.
Noch schlimmer war die Malaria. Im Verlauf dieses ersten Sommers und Winters hatte Sara funf und Ari vier Anfalle. Der Schuttelfrost und das Fieber brachten ihr Leben in Gefahr.
Fur viele der Familien war der Kampf mit dem Sumpf zu schwer. Von der ursprunglichen Gruppe zog es die Halfte vor, in die Stadt zuruckzugehen, um leichtere Arbeit zu finden. Und es dauerte nicht lange, da gab es in Yad El einen Friedhof. Zwei der Siedler waren an Malaria gestorben.
Yad El — die Hand Gottes. Vielleicht war es die Hand Gottes gewesen, die sie hierher gefuhrt hatte; zweifellos aber waren es menschliche Hande, die den Sumpf trockenlegen mu?ten. Drei Jahre lang kampften sie pausenlos und drangten den Sumpf zuruck! Schlie?lich war genugend anbaufahiges Land da, um daraus funfundzwanzig Hofe von je zweihundert Dunam zu errichten. Sie hatten keine Zeit, sich des Erfolges zu freuen: Es mu?te gesat werden. Hauser waren zu bauen.
Ari ben Kanaan hatte die Folgen der Malaria und anderer Krankheiten uberwunden und war ein baumlanger Bursche geworden. Im Alter von vierzehn Jahren leistete er das Tagewerk eines erwachsenen Mannes. Als die Felder gepflugt waren und sie ihr kleines Haus bezogen hatten, konnte Sara Barak mitteilen, da? sie abermals ein Kind erwartete. Und am Ende des vierten Jahres ereigneten sich fur Barak ben Kanaan zwei Dinge von gro?er Wichtigkeit: Sara schenkte ihm eine Tochter, die das gleiche leuchtend rote Haar hatte wie er. Das zweite bedeutende Ereignis war die erste Ernte im Yad El.
Jetzt endlich hielten die geplagten Neusiedler fur einen Augenblick in ihrer schweren Arbeit inne und nahmen sich die Zeit, ein Fest zu feiern. Und was fur ein Fest! Pioniere aus den Kibbuzim und Moschawim der ganzen Gegend, die den Leuten von Yad El geholfen hatten, kamen, um daran teilzunehmen. Es kamen Araber von Abu Yesha, und eine ganze Woche lang ging es hoch her, bis in den Morgen hinein. Alle kamen und besahen sich die Tochter von Barak und Sara. Man nannte sie Jordana, nach dem Flu?, der am Rande von Yad El entlangflo?.
Die Errichtung von Yad El hatte eine ungeheure Wirkung auf die Araber von Abu Yesha. Barak erfullte alles, was er zugesagt hatte. Er richtete Lehrgange fur die Araber ein, um sie im Gesundheitswesen, der Verwendung landwirtschaftlicher Maschinen und neuen Methoden der Landbestellung zu unterweisen. Die Schule von Yad El stand jedem arabischen Knaben aus Abu Yesha offen, der Lust hatte, sie zu besuchen. Der Arzt und die Krankenschwester der Siedlung waren auf Abruf jederzeit fur die Araber bereit.
Kammals Lieblingssohn, ein Junge namens Taha, war ein paar Jahre junger als Ari. Von fruh auf hatte Kammal in seinem Sohne Taha das tiefe Verlangen, das auch ihn erfullte, wachgerufen, die Lebensverhaltnisse der Fellachen zu verbessern. Als zukunftiger Muktar von Abu Yesha verbrachte Taha mehr Zeit in Yad El als in seinem eigenen Dorf. Er war der personliche Schutzling der Familie Ben Kanaan. Taha und Ari wurden enge Freunde.
Wahrend die Bewohner von Yad El und Abu Yesha miteinander in Frieden lebten und den Beweis dafur lieferten, da? Araber und Juden trotz der zwischen ihnen bestehenden kulturellen Unterschiede eintrachtig Seite an Seite existieren konnten, bekamen viele der anderen Effendifamilien es langsam mit der Angst zu tun, als sie sahen, mit welchem Schwung die Juden der dritten Aliyah-Welle an die Arbeit gegangen waren und was sie zustande gebracht hatten. Dieses Beispiel konnte sich verheerend auswirken. Wie, wenn die Fellachen anfingen, gleichfalls Schulen, sanitare Ma?nahmen und arztliche Einrichtungen zu verlangen!
Und was sollte daraus werden, falls sich die Fellachen, Gott behute, mit dem Gedanken befreundeten, ihre Gemeinschaftsbelange ebenso wie die Juden durch demokratische Abstimmung zu regeln, bei denen nicht nur die Manner, sondern auch die Frauen stimmberechtigt waren! Das konnte unter Umstanden fur das so wunderbar funktionierende Feudalsystem der Effendis den Todessto? bedeuten!
Um diese gefahrliche Entwicklung aufzuhalten, sprachen die Effendis die Unwissenheit, die mi?trauische Angst und den religiosen Fanatismus der Fellachen an. Sie betonten immer wieder, da? die Juden Eindringlinge aus dem Westen waren, die darauf ausgingen, dem Fellachen ihr Land zu stehlen. In Wirklichkeit hatten die Effendis selbst den Juden dieses Land verkauft, um viel hebraisches Gold an sich zu bringen.
Da es viele Jahre lang keinen gro?eren Zwischenfall mehr gegeben hatte, setzte sich Hadsch Amin el Husseini erneut in Bewegung. Es war im Jahre 1929. Diesmal inszenierte er kaltblutig einen Zwischenfall, mit dem er die Araber erneut zu verargern gedachte. Die Stelle in Jerusalem, auf der der Felsendom, die Moschee Omars, stand, wurde von den Moslems als heilig verehrt. Von dieser Stelle aus war, wie sie glaubten, ihr Prophet Mohammed in den Himmel aufgefahren. Genau an dieser Stelle stand noch eine erhaltene Mauer des judischen Tempels, der im Jahre 76 v. Chr. von den Romern zum zweitenmal zerstort worden war. Diese Tempelmauer war fur die Juden die heiligste aller Statten. Fromme Juden kamen hierher, um zu beten und die vergangene Gro?e Israels zu beweinen. Durch die Tranen der Juden wurde diese Mauer in aller Welt als die »Klagemauer« bekannt.
Der Mufti brachte gefalschte Fotos in Umlauf, auf denen Juden zu sehen waren, die bei der Klagemauer standen, im Begriff, die heilige Statte des Islams, den Felsendom, zu »entweihen«. In ihrem muselmanischen Fanatismus fielen die Fellachen erneut uber die Juden her, diesmal mit Hilfe des Klans der Husseini und anderer Effendis. Auch diesmal richtete sich ihre Wut gegen die wehrlosen alten Juden, die in den heiligen Stadten lebten. Das Massaker war noch umfangreicher als bei dem Pogrom, den der Mufti zehn Jahre vorher inszeniert hatte. Die Unruhe griff um sich. Die Stra?en waren unsicher, und auf beiden Seiten stieg die Zahl der Toten in die Tausende. Auch diesmal waren die Englander nicht in der Lage, dem Gemetzel Einhalt zu gebieten.
Sie entsandten einen Untersuchungsausschu?. Er stellte fest, da? die Schuld eindeutig bei den Arabern lag. Dann aber setzten sich die Englander paradoxerweise uber den Inhalt der Balfour-Deklaration und die Bestimmungen des Mandatsvertrages hinweg und schlugen vor, den Erwerb von Grund und Boden durch die Juden und die judische Einwanderung zu beschranken, »um so die Furcht der Araber zu beschwichtigen«.