Im Jahre 1933 traf die Juden ein neuer schwerer Schlag, als Adolf

Hitler und die Nazis in Deutschland an die Macht kamen. Wieder einmal wurde die Notwendigkeit einer nationalen Heimat fur die Juden, wurde die Richtigkeit der zionistischen Idee bestatigt. Es zeigte sich, da? der Judenha? uberall auf der Welt erneut aufflammen konnte. Herzl hatte es gewu?t, und jetzt war sich jeder Jude daruber klar.

Die deutschen Juden, die vor Hitler flohen, waren anders als die Juden aus dem Ghetto und aus Osteuropa. Sie waren keine uberzeugten Anhanger des Zionismus, sondern hatten sich weitgehend assimiliert und in die deutsche Gesellschaft eingeordnet. Diese Einwanderer waren nicht Siedler oder Handler, sondern Mediziner, Juristen, Wissenschaftler und Kunstler.

Die arabischen Anfuhrer riefen alle Araber auf, in den Generalstreik zu treten, um gegen die neue judische Einwanderung zu protestieren. Man versuchte auch, neue Unruhen zu inszenieren. Doch beide Bemuhungen schlugen fehl. Die meisten Araber, die mit den Juden Handel getrieben hatten, taten dies auch weiterhin, weil die beiden Partner wirtschaftlich aufeinander angewiesen waren, und vielerorts arabische und judische Gemeinden in ahnlich enger Freundschaft miteinander lebten wie Yad El und Abu Yesha. Au?erdem stand die Hagana Gewehr bei Fu? bereit, um eine Wiederholung der Ausschreitungen des Jahres 1929 zu verhindern.

Die Englander reagierten auf den Generalstreik mit noch mehr Gerede und weiteren Untersuchungsausschussen. In der klaren Absicht, die aufgebrachten Araber zu beschwichtigen, beschrankten die Englander diesmal die judische Einwanderung und den Erwerb von Grund und Boden durch die Juden auf ein absolutes Mindestma?. Genau in dem Augenblick, da fur die Juden die ungehinderte Einwanderung von so verzweifelter Dringlichkeit war, hielten sich die Englander nicht mehr an ihre Zusagen.

Der Jischuw-Zentralrat ging mit Hilfe der Hagana auf die einzig mogliche Weise dagegen an: durch illegale Einwanderung — Aliyah Bet.

Der Mufti setzte die Englander so lange unter Druck, bis sie der Royal Navy den Auftrag gaben, vor der Kuste von Palastina eine Blockade zu errichten und die Aliyah-Bet-Schiffe aufzuhalten.

Die Position des Mufti von Jerusalem wurde mit jedem Tag starker. Er besa? jetzt einen machtigen Verbundeten: Adolf Hitler. Fur die Deutschen, die im Nahen Osten eigene Absichten hatten, war die Situation ideal. Was konnte es fur die deutsche Propagandamaschine Besseres geben, als das Thema ausschlachten zu konnen, da? die Juden in Palastina das Land der Araber stahlen und dort versuchten, sich genau wie vorher in Deutschland, breitzumachen. Judenha? und britischer Imperialismus — das war Musik fur die Ohren des Mufti! Der Stern der Deutschen war im Steigen. Und endlich, endlich sah Hadsch Amin el Husseini Mittel und Wege, die Macht uber die arabische Welt an sich zu rei?en. Deutsches Geld begann in Kairo und Damaskus zu rollen. Die Deutschen sind eure Freunde! Werft die Briten und die Juden hinaus! Die arabische Erde den Arabern! In Kairo, Bagdad und Syrien umarmten sich Araber und Nazis und beteuerten einander ihre Freundschaft.

Dem bedrohlich aufziehenden Unwetter gegenuber hatten die Juden in Palastina noch immer einen Trumpf in der Hand — die Hagana! Zwar distanzierte sich der Jischuw-Zentralrat offiziell von dieser geheimen Armee, doch ihr Vorhandensein und ihre Starke waren ein offenes Geheimnis. Die Englander wu?ten, da? diese geheime Streitmacht bestand und, was noch wichtiger war, auch der Mufti wu?te es.

Die Hagana hatte sich aus dem Nichts zu einer Streitmacht von mehr als funfundzwanzigtausend Mannern und Frauen entwickelt. Sie war eine reine Burgerwehr, mit nur einigen »bezahlten« hauptamtlichen Anfuhrern. Die Hagana verfugte uber einen kleinen, aber unerhort schlagkraftigen Geheimdienst, der sich nicht nur der offenen Mitarbeit vieler englischer Offiziere erfreute, sondern sich au?erdem leicht arabische Spitzel kaufen konnte. Jede Stadt, jedes Dorf, jeder Kibbuz und Moschaw hatte seine eigene Hagana-Einheit. Ein einziges Stichwort reichte aus, um tausend Manner und Frauen innerhalb weniger Minuten zu bewaffnen und kampfbereit zu machen.

Avidan, der kahlkopfige, vierschrotige ehemalige Offizier, der an der Spitze der Hagana stand, hatte die Organisation im Verlauf von anderthalb Jahrzehnten sozusagen unter den Augen der Englander umsichtig aufgebaut. Ihre Leistung war phantastisch: sie unterhielt einen geheimen Sender, organisierte die illegale Einwanderung und hatte auf der ganzen Welt ihre Agenten, die Waffen kauften und nach Palastina schmuggelten.

Fur diesen Waffenschmuggel gab es hundert verschiedene Methoden und Moglichkeiten. Ein besonders beliebtes Versteck waren Maschinen fur Hoch- und Tiefbau. Fast jede Dampfwalze konnte in der Walze hundert Gewehre enthalten. Jede Kiste, jede Maschine, ja sogar Konserven und Weinflaschen, die nach Palastina hereinkamen, waren Munitionsbehalter. Es war fur die Englander unmoglich, diesen Waffenschmuggel zu unterbinden, ohne samtliche Frachtguter zu uberprufen, und viele Englander lie?en in den Hafen sogar absichtlich die Waffen herein.

Obwohl alle Juden in Palastina geschlossen hinter diesem WaffenSchmuggel standen, war es dennoch nicht moglich, schwere Waffen oder auch nur ausreichende Mengen von erstklassigen leichten Waffen ins Land zu bringen. Das meiste von dem, was hereinkam, waren altmodische Gewehre und Pistolen, die in anderen Landern ausrangiert worden waren. Kein Arsenal der Welt enthielt ein derartiges Konglomerat von Waffen, wie das der Hagana. Es befanden sich sogar Spazierstocke darunter, aus denen man einen Schu? abgeben konnte.

Waren die Waffen erst einmal im Lande, so stellte jeder Stuhl, Tisch oder Schreibtisch, jeder Eisschrank, jedes Bett und jedes Sofa ein mogliches Versteck dar. In jeder judischen Wohnung gab es wenigstens ein Schubfach mit doppeltem Boden, einen getarnten Wandschrank oder eine heimliche Falltur. Transportiert wurden die Waffen im Innern der Reservereifen von Autobussen, in Einkaufstaschen und unter Eselskarren. Die Hagana vertraute der Wohlerzogenheit der Englander, indem sie fur den Waffenschmuggel sogar Kinder verwendete und sich des sichersten aller Verstecke bediente — der Frauenrocke.

Beim Aufbau der Hagana erwies sich der Kibbuz mit seinem Gemeinschaftscharakter als die beste Ausbildungsstatte fur junge Soldaten, weil ein oder zwei Dutzend Manner von einer drei- bis vierhundertkopfigen Kollektivsiedlung leicht und unauffallig absorbiert werden konnten. Aus den Kibbuzim kam daher der beste Nachwuchs fur die Hagana.

Gleichzeitig waren die Kibbuzim auch ein hervorragendes Versteck fur Waffen und ein sicherer Herstellungsort fur Munition. Im ubrigen erwiesen sie sich auch als ideale Platze zur Unterbringung der illegal ins Land geschleusten Einwanderer.

Die besondere Starke der Hagana war, da? ihre Autoritat von samtlichen Angehorigen des Jischuw ohne jeden Einwand akzeptiert wurde. Eine Anordnung der Hagana war ein Befehl, uber den es keinerlei Diskussion gab. Avidan und die anderen Anfuhrer der Hagana achteten sorgfaltig darauf, ihre Streitmacht nur zum Zwecke des Selbstschutzes einzusetzen. Die Hagana war eine Armee, die sich gro?ter Zuruckhaltung beflei?igte.

Viele Angehorige der Hagana fanden diese Zuruckhaltung zu weitgehend. Das waren die Aktivisten, die die Forderung nach raschen Vergeltungsma?nahmen erhoben.

Akiba war einer dieser Aktivisten. Nach au?en hin war er Leiter der Meierei im Kibbuz Ejn Or, in Wirklichkeit aber bekleidete er einen hohen Rang in der Hagana und war fur die gesamte Verteidigung von Galilaa verantwortlich.

Akiba war sein Alter viel deutlicher anzusehen als seinem Bruder Barak. Sein Gesicht hatte einen muden Ausdruck, und sein Bart war fast grau. Er war niemals ganz uber den Tod von Ruth und Scharona hinweggekommen. In ihm war eine Bitterkeit geblieben, die Tag fur Tag an ihm fra?.

Er war der Wortfuhrer der extremen Gruppe innerhalb der Hagana, die nach verstarkter Aktion verlangte. Und je schwieriger die Situation im Lauf der Zeit wurde, um so angriffshungriger wurde Akibas Gruppe. Als die Englander vor der Kuste von Palastina die Blockade errichteten, ri? Akiba die Geduld. Er berief eine RumpfSitzung seiner Anhanger innerhalb der Hagana ein. Diese Manner waren alle ebenso zornig und verbittert wie er selbst, und sie fa?ten einen Entschlu?, der den Jischuw in seinen Grundfesten erzittern lassen sollte.

Im Fruhjahr des Jahres 1934 erhielt Barak eine dringende Aufforderung von Avidan, nach Jerusalem zu kommen.

»Es ist etwas Entsetzliches geschehen, Barak«, sagte Avidan. »Ihr Bruder, Akiba, hat sich von der Hagana getrennt und Dutzende unserer besten Offiziere mitgenommen. Auch aus dem Mannschaftsstand gehen die Leute in Hunderten zu ihm uber.«

Als sich Barak von seinem ersten Schreck erholt hatte, seufzte er tief und sagte: »Seit Jahren schon hat er damit gedroht. Ich bin erstaunt, da? er sich uberhaupt so lange zuruckgehalten hat. Jahrzehntelang hat es an ihm gefressen, seit dem Tag, an dem unser Vater umgebracht wurde. Und auch den Tod seiner Frau hat er nie verwinden konnen.«

»Sie wissen«, sagte Avidan, »da? die Halfte meiner Arbeit bei der Hagana darin besteht, unsere Jungens

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