Es war fur die Englander ein Ding der Unmoglichkeit, das Angebot der judischen Bevolkerung von Palastina zu ignorieren. Aber ebenso unmoglich war es, General Haven-Hursts Warnung in den Wind zu schlagen. Beim Kriegsministerium entschlo? man sich daher zu dem Kompromi?, die Juden zwar in das britische Heer aufzunehmen, sie aber nicht an der Front zu verwenden, sondern sie als Transportkolonnen, Pionierbataillone und technische Hilfstruppen einzusetzen. Der Jischuw-Zentralrat protestierte heftig gegen diese Diskriminierung und verlangte fur die Juden das Recht, mit der Waffe in der Hand gegen die Deutschen zu kampfen.

Die Haltung der judischen Bevolkerung von Palastina war einheitlich, mit Ausnahme der Makkabaer, die ihre eigenen Wege gingen. Avidan beschlo?, keinen unangebrachten Stolz an den Tag zu legen, und bat Akiba durch eine Reihe geheimer Mittelsmanner um eine Unterredung.

Die beiden trafen sich in einem Kellerraum von Frankels Restaurant auf der King-George-Stra?e in Jerusalem. Der Keller war voll von Kisten mit Konserven und Flaschen, die an den Wanden ubereinandergestapelt waren. Eine schwache Gluhbirne beleuchtete den Raum nur sparlich.

Als Akiba, von zwei Makkabaern begleitet, hereinkam, gab ihm Avidan nicht die Hand. Funf lange Jahre waren vergangen, seit sich die beiden Manner das letztemal gesehen hatten. Man sah Akiba an, da? er mehr als sechzig Jahre auf dem Buckel hatte. Die schweren Strapazen des Aufbaus von zwei Kibbuzim und die Jahre des illegalen Daseins hatten einen alten Mann aus ihm gemacht.

Die Posten der Makkabaer und der Hagana gingen hinaus. Die beiden waren allein und musterten sich schweigend. Schlie?lich sagte Avidan: »Ich bin hergekommen, um dich zu bitten, mit den Englandern einen Waffenstillstand abzuschlie?en, bis der Krieg vorbei ist.«

Akiba brummte bose. Mit scharfen Worten gab er seiner Verachtung fur die Englander und ihre Palastina- Politik und seinem Zorn auf den Zentralrat und die Hagana Ausdruck.

»Bitte, Akiba«, sagte Avidan, der sich muhsam beherrschte. »Ich verstehe durchaus, was dich bewegt. Ich bin mir auch uber die Meinungsverschiedenheiten vollig klar, die zwischen uns bestehen. Doch man mag es ansehen wie man will. Die Deutschen stellen jedenfalls eine wesentlich gro?ere Gefahr fur unsere Existenz dar als die Englander.«

Akiba wandte Avidan den Rucken. Er stand in dem dunklen Raum und uberlegte. Dann drehte er sich plotzlich herum, und in seinen Augen brannte das alte Feuer. »Jetzt ist der Augenblick gekommen«, rief er, »die Englander dazu zu zwingen, ihre Palastina-Politik zu revidieren! Jetzt — gerade jetzt — sollten wir von den Englandern verlangen, einen judischen Staat anzuerkennen, der das Gebiet diesseits und jenseits des Jordan umfa?t! Jetzt! Man mu? diese verdammten Englander schlagen, wenn sie weiche Knie haben!«

»Ist es fur uns so wichtig, ein Staat zu werden, da? wir dieses Ziel selbst um den Preis anstreben sollen, dadurch zum Sieg der Deutschen beizutragen?«

»Und bildest du dir vielleicht ein, die Englander wurden Bedenken haben, uns abermals zu verraten und zu verkaufen?«

»Ich bin der Meinung, es gibt fur uns nur eins — den Kampf gegen Hitler.«

Akiba ging wie ein hungriges Tier uber den Zementfu?boden hin und her. Tranen schossen ihm vor Wut in die Augen. Schlie?lich sagte er leise und mit bebender Stimme: »Obwohl die Englander unsere Kuste blockieren und verzweifelten Menschen den Zugang verwehren — obwohl die Englander mit unseren Jungen innerhalb ihrer Armee ein Ghetto einrichten — obwohl sie uns mit ihren letzten Beschlussen an die Araber verraten haben — obwohl die Juden in Palastina in diesem Krieg ihre besten Krafte fur die Englander einsetzen, wahrend die Araber wie die Aasgeier dasitzen und nur darauf warten, da? die Englander zu Boden gehen — trotz allem sind die Englander nicht die schlimmsten unserer Feinde, und deshalb mussen wir auf ihrer Seite kampfen. Also gut, Avidan — die Makkabaer werden Waffenstillstand schlie?en.«

Akibas Feindlichkeit stand spurbar im Raum, als sich die beiden Manner zum Abschlu? die Hande reichten. Dann rausperte sich Akiba und fragte: »Wie geht es meinem Bruder?«

»Barak ist gerade von London zuruckgekommen, wo er Verhandlungen gefuhrt hat.«

»Ja, Verhandlungen — das sieht Barak ahnlich. Und wie geht es Sara und den Kindern?«

»Gut«, sagte Avidan. »Auf Ari kannst du stolz sein.«

»O ja, Ari ist ein prima Bursche. Und wie — wie sieht es jetzt in Ejn Or aus?«

Avidan senkte den Blick und sagte: »Ejn Or und Schoschana zeugen von der Liebe und dem Schwei? derer, die diese Siedlungen errichtet haben.« Avidan wandte sich und ging auf die Leiter zu, die zu der Falltur hinauffuhrte.

»Der Tag, an dem wir mit den Englandern abrechnen, kommt noch!« rief ihm Akiba aus der Dunkelheit des Kellers nach.

Ari hatte sich verandert. Er war verbittert und verdustert. Es war schwer, genau festzustellen, was ihn so verandert hatte. Waffen hatte er von fruh auf getragen. Dann war die Zeit der Wehrsiedlungen gekommen — Hamischmar — Malcolms Kommandotruppe — die Monate im englischen Gefangnis. Die zermurbende Arbeit fur Aliyah Bet in Berlin. Und der Tod von Dafna. Ari lebte in Yad El, arbeitete als Landwirt und wunschte, in Ruhe gelassen zu werden. Er sprach kaum ein Wort.

Auch als der Krieg ausbrach, blieb Ari in Yad El. Seine freie Zeit verbrachte er gro?tenteils in Abu Yesha bei seinem Jugendfreund Taha, dem jetzigen Muktar des Dorfes.

Mehrere Monate nach Kriegsausbruch fand Ari eines Abends, als er von der Feldarbeit zuruckkam, Avidan vor, der erschienen war, um mit Ari zu sprechen. Nach dem Abendessen zogen sich Ari, Avidan und Barak in das Wohnzimmer zuruck.

»Ich nehme an, du wei?t, weshalb ich hergekommen bin«, sagte Avidan.

»Ich kann es mir denken.«

»Ich will mich nicht lange bei der Vorrede aufhalten. Es gibt ein paar Dutzend von unseren Jungen, von denen wir wunschen, da? sie in das englische Heer eintreten. Die Englander haben sich wiederholt mit uns in Verbindung gesetzt und angefragt, ob du nicht mitmachen willst. Sie sind bereit, dir ein Offizierspatent zu geben.«

»Interessiert mich nicht.«

»Die Englander legen aber gro?en Wert auf dich, Ari. Ich bin uberzeugt, da? wir dich an einen Posten setzen konnten — beispielsweise als Abwehrmann fur die arabischen Gebiete — wo du auch fur die Hagana von gro?em Wert warest.«

»Das ist au?erordentlich freundlich. Ich hatte schon gedacht, ich sollte zusammen mit den ubrigen Jischuw- Truppen zum Mullabladen eingesetzt werden. Es tut gut, zu wissen, da? ich zu den besseren Juden gehore!«

»Bitte zwinge mich nicht, dir einen dienstlichen Befehl zu erteilen.« »Du konntest unter Umstanden eine Uberraschung erleben, wenn du das tust.«

Avidan, der auf eiserne Disziplin hielt, war fassungslos. Ari ben Kanaan war einer der zuverlassigsten und willigsten Soldaten der Hagana gewesen.

»Ich bin froh, da? die Sache endlich einmal zur Sprache gekommen ist«, sagte Barak. »Seit der Junge aus Berlin zuruck ist, hat er seinen Kummer in sich hineingefressen.«

»Hor mal, Ari«, sagte Avidan, »ich furchte, wir werden darauf bestehen mussen, da? du dich meldest.«

»Warum sollte ich eine englische Uniform anziehen? Damit sie mich ein zweites Mal ins Gefangnis werfen als Dank dafur, da? ich fur sie gekampft habe?«

Barak hob beschworend die Hande.

»Also gut, Vater — wenn du willst, da? wir offen daruber reden. Vor funf Jahren hatte Onkel Akiba den Mut, den Namen unseres Feindes zu nennen.«

»Du hast diesen Namen in diesem Hause nicht zu erwahnen!« sagte Barak laut und wutend.

»Es wird allmahlich Zeit, da? er hier erwahnt wird. Wenn ich nicht selbst zu den Makkabaern gegangen bin, dann nur, weil ich dich nicht kranken wollte.«

»Aber, hor mal, Ari«, sagte Avidan, »selbst Akiba und die Makkabaer haben mit den Englandern Waffenstillstand geschlossen.«

Ari stand auf und ging zur Tur. »Ich bin bei Taha und spiele Puff. Ruft mich, wenn die Deutschen einmarschieren.«

Selbst als der Jischuw all seine Energie aufbot, um die britischen Kriegsbemuhungen zu unterstutzen, war er noch immer gezwungen, Entwurdigungen durch die Englander hinzunehmen. Eine Reihe entsetzlicher Zwischenfalle begann sogar diejenigen Juden aufzuwuhlen, die bisher noch an die sprichwortliche britische Fairne? geglaubt hatten.

Ein winziges, kaum funfzehn Meter langes Donauschiff namens Struma war vor Istanbul aufgetaucht. Es

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