Baumen bewachsen, unter denen halb verborgen Villen und Wohnhauser lagen. Die meisten waren aus braunlichem Gestein und sehr modern gebaut. Die riesige Olraffinerie war von hier oben aus nur ein kleiner Farbfleck, und als es dunkel wurde, zog sich eine goldene Kette von Lampen die Kurven der Stra?e entlang, die vom Hadar Ha-Karmel zum Arabischen Viertel in der Nahe des Hafens hinunterfuhrte.
Kitty fand es sehr aufregend und sehr angenehm, da? Ari ihr gegenuber plotzlich so aufmerksam war. Sie war erstaunt, wie modern der judische Teil von Haifa war. Diese Stadt war viel moderner als Athen oder Saloniki! Und sie fuhlte sich auch gar nicht mehr so fremd, als der Kellner und ein halbes Dutzend Leute, die Ari kannten und fur einen Augenblick bei ihrem Tisch stehenblieben, sie auf Englisch ansprachen.
Als sie nach dem Essen einen Brandy tranken und Kitty schweigend die Aussicht geno?, sagte Ari:
»Finden Sie es noch immer so sonderbar, da? Sie hier sind?« »Sehr sonderbar. Das Ganze erscheint mir vollig unwirklich.«
»Sie werden feststellen, da? wir durchaus zivilisierte Leute sind und da? ich sogar geradezu charmant sein kann — jedenfalls gelegentlich. Dabei fallt mir ein, da? ich Ihnen noch gar nicht richtig gedankt habe.«
»Das ist auch gar nicht notig. Sie bedanken sich auf eine sehr nette Weise, indem Sie mit mir hierhergegangen sind. Ich kann mich nur an einen Ort auf der Welt besinnen, wo es ebenso schon ist wie hier.«
»Das ist sicherlich San Franzisko, nicht wahr?«
»Kennen Sie denn San Franzisko, Ari?«
»Nein. Aber alle Amerikaner sagen, da? Haifa sie an San Franzisko erinnert.«
Es war inzwischen vollig dunkel geworden, und uberall am Hang des Karmelberges brannten die Lampen. Ein kleines Orchester spielte leichte Tafelmusik. Ari schenkte Kitty noch einen Brandy ein, und sie tranken einander zu.
Plotzlich brach die Musik ab. Die Unterhaltung verstummte Ein Lastwagen brauste heran, hielt mit kreischenden Bremsen vor dem Restaurant. Englische Soldaten sprangen ab und bildeten rings um das Lokal eine Absperrung. Sechs Soldaten, angefuhrt von einem Captain, kamen herein und sahen sich um. Sie gingen von Tisch zu Tisch und verlangten die Ausweise zu sehen.
»Das ist nur das ubliche«, sagte Ari leise. »Daran gewohnt man sich hier bald.«
Der Captain, der die Leitung des Kommandos hatte, blieb stehen, sah zu Ari hin und kam an den Tisch heran. »Tatsachlich, Ari ben Kanaan«, sagte er sarkastisch. »Wir haben Ihr Foto lange nicht auf unseren Fahndungstafeln gehabt. Wie ich hore, haben Sie inzwischen anderswo Unheil angerichtet.«
»'n Abend, Sergeant«, sagte Ari. »Ich wurde Sie gern vorstellen, wenn ich blo? auf Ihren Namen kame.«
Der Captain lachelte mit schmalen Lippen. »Nun, ich habe jedenfalls Ihren Namen nicht vergessen. Wir passen sehr genau auf Sie auf, Ben Kanaan. Ihre alte Zelle im Gefangnis von Akko wartet auf Sie. Wer wei?, vielleicht ist der Hohe Kommissar diesmal auch bereit, Ihnen statt dessen einen Strick zu geben.« Der Captain gru?te ironisch und ging weiter.
»Wirklich eine reizende Art, jemanden in Palastina willkommen zu hei?en«, sagte Kitty. »Ein widerlicher Bursche.«
Ari beugte sich dicht zu Kitty und sprach leise in ihr Ohr. »Das ist Captain Allan Bridges. Er ist einer der besten Freunde, den die Hagana hat. Er informiert uns uber jede wichtige Bewegung der Araber oder der Englander im Gebiet von Haifa. Das eben war alles nur Theater.«
Kitty schuttelte verblufft den Kopf. Die Patrouille ging hinaus und nahm zwei Juden mit, deren Ausweise nicht in Ordnung zu sein schienen. Um die Englander zu argern, spielte das Orchester eine Strophe von »God save the King«.
Der Lastwagen fuhr wieder los, und im nachsten Augenblick war es, als sei uberhaupt nichts geschehen. Doch Kitty war noch leicht durch die Plotzlichkeit benommen, mit der sich alles abgespielt hatte, und sie war uber die Ruhe erstaunt, mit der es die Leute hingenommen hatten.
»Man gewohnt sich nach einer Weile daran, in einer gespannten Atmosphare zu leben«, sagte Ari, dem Kittys Reaktion nicht entgangen war. »Auch Sie werden sich daran gewohnen. Wir befinden uns hier in einem Land, das voll von aufgeregten und erbitterten Leuten ist. Wenn Sie eine Zeitlang hier gelebt haben, werden Sie gar nicht mehr wissen, was Sie anfangen sollen, wenn ausnahmsweise mal eine Woche lang alles friedlich und ruhig ist. Machen Sie sich nichts daraus, da? Sie gerade einen Augenblick erwischt haben, wo —«
Ari kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu beenden. Die Druckwelle einer Detonation lief durch das Restaurant, lie? die Scheiben klirren und fegte da und dort Teller und Glaser von den Tischen. Im nachsten Augenblick sahen sie, wie eine riesige gelbrote Feuerkugel in den Himmel stieg, gefolgt von einer Reihe weiterer Explosionen, die das Gebaude bis zu den Grundmauern erschutterten.
»Die Raffinerie!« rief jemand, und ein anderer: »Das waren die Makkabaer! Sie haben die Raffinerie in die Luft gehen lassen!«
Ari ergriff Kitty hastig bei der Hand. »Kommen Sie, wir wollen hier verschwinden. In zehn Minuten wird das ganze Karmel-Tal von britischen Soldaten wimmeln.«
Innerhalb von Sekunden leerte sich das Lokal. Ari fuhrte Kitty rasch nach drau?en. Unten bei der Raffinerie brannte das Erdol. Die ganze Stadt war vom Sirenengeheul eiliger Loschzuge und britischer Uberfallwagen erfullt.
Kitty lag die halbe Nacht wach und versuchte, mit den so plotzlichen und so gewaltsamen Ereignissen fertigzuwerden, die sie miterlebt hatte. Sie war froh, da? Ari bei ihr gewesen war. Ob sie sich daran gewohnen wurde, in einem Lande zu leben, wo derartige Zustande herrschten? Sie war zu verwirrt, um daruber nachzudenken, doch im Augenblick kam es ihr so vor, als sei ihr Entschlu?, nach Palastina zu fahren, ein schwerer Fehler gewesen.
Am nachsten Morgen brannte die Erdolraffinerie noch immer. Uber dem ganzen Gebiet von Haifa lag dichter, dunkler Rauch. Die Vermutung, da? der Anschlag gegen die Raffinerie ein Terrorakt der Makkabaer gewesen war, bestatigte sich. Die Gruppe, die die Aktion durchgefuhrt hatte, war von Ben Mosche — Sohn des Moses — angefuhrt worden, einem Mann, der ursprunglich Professor an der Hebraischen Universitat gewesen war, bevor er sich den Makkabaern angeschlossen hatte und dort zu Akibas Stellvertreter aufgestiegen war. Au?erdem wurde bekannt, da? gleichzeitig mit der Sprengung der Raffinerie ein zweites Kommando der Makkabaer in einem anderen Teil von Palastina einen Uberfall auf den Flugplatz Lydda unternommen und dabei Spitfire-Jager im Werte von sechs Millionen Dollar am Boden zerstort hatte. Mit dieser Doppelaktion hatten die Makkabaer der Exodus auf ihre Weise den Willkommensgru? entboten.
Ari war es gelungen, einen kleinen Wagen aufzutreiben, einen Fiat, Baujahr 1939. Die Fahrt nach Tel Aviv dauerte unter normalen Verhaltnissen nur ein paar Stunden. Da er es jedoch noch nie erlebt hatte, da? die Verhaltnisse normal waren, schlug er Kitty vor, schon fruhmorgens von Haifa loszufahren. Sie fuhren den Hang des Karmelberges hinunter und dann die Stra?e an der Kuste von Samaria entlang. Kitty war beeindruckt davon, wie grun und fruchtbar die Felder der Kibbuzim am Rande des Meeres dalagen. Ihr frisches Grun wurde durch den Gegensatz zu dem toten Braun der Berge und dem stumpfen Glast der Sonne noch leuchtender. Kurz hinter Haifa trafen sie auf die erste Stra?ensperre. Ari hatte Kitty darauf vorbereitet. Sie beobachtete ihn dabei von der Seite. Er machte ein Gesicht, als storte es ihn uberhaupt nicht, obwohl ihn viele der englischen Kontrollposten kannten und zu argern versuchten, indem sie ihn daran erinnerten, da? er nur vorubergehend amnestiert war.
Ari verlie? die Hauptstra?e und fuhr zu den Ruinen der alten Hafenstadt Caesarea. Man hatte ihnen in der Pension Brote mitgegeben, und sie setzten sich auf die uralte Mole und a?en. Ari zeigte Kitty Sdot Yam — die Fischersiedlung, in der Joab Yarkoni zu Haus war —, und er zeigte ihr, wie die Araber ihre Stadt aus Ruinen erbaut hatten, die teils aus der Zeit der Romer, teils aus der Zeit der Kreuzritter stammten. Die Araber, erklarte er ihr, seien Fachleute darin, sich der zivilisatorischen Leistungen anderer Volker zu bedienen. In ganz Palastina hatten sie im Verlauf von tausend Jahren nur eine einzige vollig neue Stadt errichtet.
Dann fuhren sie in sudlicher Richtung weiter nach Tel Aviv. Auf der Stra?e war wenig Verkehr. Von Zeit zu Zeit begegneten sie einem Bus, der entweder nur Araber oder nur Juden beforderte, oder einem der uberall anzutreffenden Eselskarren. Gelegentlich uberholte sie eine britische Wagenkolonne, die mit gellenden Sirenen eilig vorbeifuhr. Sie kamen durch Landstriche, die von Arabern bewohnt waren, und Kitty fiel auf, wie anders die Ortschaften und Felder hier aussahen. Auf den Feldern arbeiteten Frauen, und der Boden war voller Steine und unfruchtbar. Am Rand der Stra?e gingen Araberinnen, vermummt und durch lange Gewander behindert, und mit schweren Lasten, die sie auf den Kopfen balancierten. Die Kaffeehauser an der Stra?e waren voll von Mannern, die