Eine halbe Ewigkeit lang sagt Philip kein Wort. Alle schweigen betroffen.

Der Leichnam liegt auf dem nassen Gras. Die Minuten vergehen … Bis sich auf einmal etwas bewegt – in seinen Gliedma?en, den Sehnen seiner Beine und in den dicken Fingerspitzen.

Zuerst hat es den Anschein, als ob es sich um das typische Zucken sterbender Nerven handeln wurde, das Leichenbestatter manchmal noch feststellen – die letzten Regungen des zentralen Nervensystems. Wahrend Nick und Brian Bobby anstarren, ihre Augen aufrei?en und sie langsam zuruckweichen, kommt Philip naher. Er kniet sich neben seinen alten Freund. Plotzlich nimmt sein Gesicht einen kalten, klaren Ausdruck an.

Da offnen sich Bobby Marshs Augen.

Die Pupillen sind jetzt gelblich wie Eiter.

Philip rei?t die Nagelmaschine hoch, legt sie wenige Millimeter uber der linken Augenbraue an die Stirn des Freundes und druckt ab.

FFFFFFUUUUUMP!

Stunden spater sind sie alle wieder im Haus. Drau?en ist es dunkel geworden. Nick ist in der Kuche und begie?t seinen toten Freund mit Whiskey … Brian ist von der Bildflache verschwunden … Bobbys kalter Leichnam liegt neben den anderen Zombies im Hinterhof, eingewickelt in eine Plane … Philip steht am Wohnzimmerfenster und starrt durch die Lamellen auf das gro?er werdende Gemenge dunkler Gestalten drau?en auf der Stra?e. Sie schlurfen wie Schlafwandler durch die Gegend und tummeln sich immer haufiger vor der Barrikade. Es werden mehr. Jetzt sind es schon an die drei?ig, vielleicht sogar bereits vierzig.

Das Licht der Stra?enlaternen fallt durch die Zaunfugen. Die Toten durchbrechen den Lichtstrahl immer wieder, sodass er beinahe wie ein Stroboskop aussieht, wenn auch in Zeitlupe. Philip gefallt das uberhaupt nicht. Er hort eine leise Stimme in seinem Kopf – die gleiche, die sich bei ihm auch kurz nach Sarahs Tod zu Wort meldete: Brenn das Haus nieder. Brenn das ganze verdammte Haus nieder.

Diese Stimme hat er an diesem Tag schon einmal gehort. Kurz nachdem Bobby das Zeitliche gesegnet hatte, wies sie ihn an, die Uberreste des zwolfjahrigen Jungen in Einzelteile zu zerlegen. Aber Philip schaffte es, der Stimme Einhalt zu gebieten und sie zum Schweigen zu bringen. Jetzt muss er wieder mit ihr kampfen: Die Lunte ist angesteckt, Bruder. Die Uhr tickt …

Philip wendet sich vom Fenster ab und reibt sich die muden Augen.

»Es ist schon okay, lass es ruhig raus«, rat ihm eine andere Stimme, die aus der Dunkelheit zu ihm dringt.

Philip dreht sich um und sieht die Silhouette seines Bruders in der Kuchentur auf der anderen Seite des Wohnzimmers stehen.

Er wendet sich erneut dem Fenster zu und antwortet nicht. Brian tritt zu ihm. In seinen zitternden Handen halt er eine Flasche Hustensaft. Seine Augen leuchten fiebrig in der Dunkelheit. Er ist den Tranen nahe. Dann sagt er mit leiser Stimme, um Penny, die auf der Couch schlaft, nicht zu wecken. »Es ist keine Schande, es herauszulassen.«

»Was herauszulassen?«

»Hor zu«, setzt Brian erneut an. »Ich wei?, dass es dir auch nahegeht.« Er schnieft und wischt sich den Mund mit dem Armel ab. Seine Stimme ist heiser, die Nase verstopft. »Ich will nur sagen, dass mir das mit Bobby wahnsinnig leidtut. Ich wei?, dass ihr beide …«

»Es ist vorbei.«

»Philip, was soll das …«

»Das hier ist vorbei – mit dem Haus, meine ich. Das konnen wir vergessen.«

Brian starrt ihn an. »Was soll das?«

»Wir verschwinden von hier.«

»Aber ich dachte …«

»Sieh dich um«, sagt Philip und zeigt ihm die steigende Zahl der Schatten auf der Green Briar Lane. »Wir ziehen sie an wie die Fliegen.«

»Schon. Aber die Barrikade halt doch noch …«

»Je langer wir hierbleiben, Brian, desto mehr wird das Haus zu einem Gefangnis.« Philip blickt aus dem Fenster. »Wir mussen weiter.«

»Wann?«

»Bald.«

»Morgen?«

»Morgen fruh werden wir mit dem Packen anfangen und so viel an Vorraten wie moglich ins Auto laden.«

Einen Moment lang herrscht Stille.

Brian wirft seinem Bruder einen fragenden Blick zu. »Alles klar mit dir?«

»Ja.« Philip starrt immer noch auf die Stra?e vor dem Haus. »Geh jetzt schlafen.«

Beim Fruhstuck beschlie?t Philip, Penny zu erzahlen, dass Bobby plotzlich fortmusste – »um sich um seine Eltern zu kummern«. Die Kleine scheint mit der Erklarung zufrieden zu sein.

Einige Stunden spater graben Nick und Philip im Garten hinter dem Haus ein gro?es Grab, wahrend sich Brian im Haus um Penny kummert. Er findet, dass Penny zumindest etwas von der Wahrheit erfahren sollte. Aber Philip erklart ihm, dass er gefalligst die Klappe halten und sich da raushalten solle.

Jetzt wuchten Nick und Philip den gro?en, verhullten Leichnam vor dem Rosenspalier hoch und lassen ihn vorsichtig in das Grab hinunter.

Es dauert langer als erwartet, das Loch wieder zu fullen. Beide haufen eine Schaufel nach der anderen die schwarze Georgia-Erde auf ihren Freund. Wahrenddessen tragt der Wind das furchtbare Stohnen und Jammern der Untoten zu ihnen heruber.

Auch an diesem Tag ist es sturmisch und bewolkt. Die Gerausche der Zombie-Horden werden in den Himmel hinaufgetragen. Philip ist schwei?gebadet. Dennoch schaufelt er weiter. Der olige Gestank verwesenden Fleisches lasst nicht nach. Sein Magen verkrampft sich, als er die letzten Schaufeln Erde auf das Grab wirft.

Philip und Nick stehen sich gegenuber, das aufgefullte Loch zwischen ihnen. Sie lehnen sich auf ihre Schaufeln. Der Schwei? kuhlt ihnen den Nacken. Keiner sagt etwas, beide sind in Gedanken versunken. Endlich blickt Nick auf und fragt leise: »Mochtest du vielleicht ein paar Worte sagen?«

Philip wirft ihm einen Blick zu. Das Stohnen und Jammern kommt aus allen Richtungen – wie das furchtbare Getose eines Heuschreckenschwarms. Es ist inzwischen so laut, dass Philip es kaum schafft, einen klaren Gedanken zu fassen.

In dem Augenblick erinnert er sich auf einmal an jene Nacht, als sich die drei Freunde betranken und in das Starliter-Autokino an der Waverly Road einbrachen, wo sie in den Projektionsraum eindrangen. Bobby veranstaltete ein Lichtspiel auf der entfernten Leinwand. Philip musste so heftig lachen, dass er glaubte, sich ubergeben zu mussen, wahrend die Silhouetten von Kaninchen und Enten vor Chuck Norris hin und her tanzten, der gegen bose Nazis kampfte.

»Es gab so manchen, der nicht viel von Bobby Marsh gehalten hat und ihn sogar als Trottel abkanzelte«, sagt er jetzt mit gesenktem Blick. »Doch die so was meinten, haben ihn nicht gekannt. Er war loyal und witzig. Er war ein verdammt guter Freund … Und er ist wie ein Mann gestorben.«

Er schaut zu Boden, seine Schultern beben ein wenig. Seine Stimme bricht fast, sodass die Worte in dem immer lauter werdenden Achzen und Stohnen um sie herum kaum mehr zu horen sind. »Gro?er Gott, verwandle die Finsternis des Todes in deiner Gnade in den Morgen neuen Lebens und die Trauer des Abschieds in die Freude des Himmels.«

Philip steigen die Tranen in die Augen. Er bei?t seine Zahne so stark zusammen, dass ihm der Kiefer wehtut.

»Durch unseren Retter, Jesus Christus«, stimmt Nick mit bebender Stimme ein, »der gestorben und auferstanden ist, um fur ewig weiterzuleben. Amen.«

»Amen«, erwidert Philip mit einer Stimme, die er selbst kaum als die seine erkennt.

Das unerbittliche Stohnen schwillt an. Es wird lauter und lauter.

»HALTET VERDAMMT NOCH MAL DIE FRESSE!«, brullt Philip Blake in Richtung der Zombies. Der Larm dringt aus allen Richtungen. »IHR TOTEN HURENSOHNE!« Er dreht sich zum Zaun um. »ICH WERDE JEDEM EINZELNEN VON EUCH DEN SCHADEL ZERTRUMMERN, IHR KANNIBALEN! ICH WERDE JEDEM DEN KOPF ABREISSEN UND AUS EUREM VERDAMMTEN KADAVER KLEINHOLZ MACHEN!«

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