»Jetzt finden wir einen sicheren Ort, wo wir die Nacht verbringen konnen.«

Nick starrt Philip an. »Was soll das hei?en? Etwa nicht im Wagen?«

»Es ist zu gefahrlich in der Dunkelheit.«

»Ja, aber …«

»Den Wagen befreien wir morgen fruh.«

»Ja, aber was ist mit …«

»Schnappt euch alles, was ihr fur die Nacht braucht«, befiehlt Philip und nimmt die Ruger.

»Warte!« Nick ergreift Philip am Arm. »Soll das hei?en, dass wir den Wagen zurucklassen? Ich meine, die ganzen Sachen, die hier drin sind – sollen die auch hierbleiben?«

»Nur fur eine Nacht«, versichert Philip, offnet die Tur und steigt aus.

Brian sto?t einen lauten Seufzer aus und tauscht einen Blick mit Nick aus. »Lass gut sein. Hilf mir lieber mit den Rucksacken.«

Sie verbringen die Nacht funfhundert Meter von dem umgesturzten Tankwagen entfernt in einem gelben Schulbus, der auf dem Standstreifen steht und ins kalte Licht der Natriumlampen getaucht ist.

Im Bus ist es einigerma?en warm und trocken. Er befindet sich au?erdem hoch genug uber der Fahrbahn, damit sie die Waldrander links und rechts gut im Blick haben. Zudem besitzt er zwei Fluchtwege – eine Tur vorne und eine hinten. Die Sitzbanke sind lang und bequem genug, um sich darauf ausbreiten zu konnen und zumindest eine Mutze Schlaf zu bekommen. Der Schlussel steckt, und die Batterie ist noch fast voll.

Im Bus riech es nach alten Pausenbroten, und die Geister verschwitzter Kinder mit feuchten Faustlingen scheinen noch in der modrigen Luft zu schweben.

Die vier essen Schinken und Sardinen, ehe sie sich an die Pita-Kracker machen, die wohl dazu gedacht waren, ein luxurioses Picknick fur eine Golfpartie zu garnieren. Zum Essen benutzen sie Taschenlampen und sehen sich vor, dass die Lichtkegel nicht aus dem Fenster dringen. Schlie?lich packen sie ihre Schlafsacke aus und machen es sich so bequem wie moglich, um etwas Ruhe und Kraft zu tanken.

Abwechselnd schieben die Manner Wache. Einer von ihnen sitzt mit einem Marlin-Gewehr auf dem Fahrersitz und halt Ausschau. Die riesigen Seitenspiegel sind ideal, um alles im Blick zu behalten. Nick meldet sich freiwillig fur die erste Runde und verbringt eine geschlagene Stunde damit, eine Radiostation auf seinem kleinen tragbaren Rundfunkgerat zu finden. Doch die Welt scheint still geworden zu sein. Zumindest ist dieser Abschnitt der Interstate 20 ebenso still; weit und breit ruhrt sich nichts.

Als es an Brian ist, die Wache zu ubernehmen – er ist lediglich fur wenige Minuten auf einer der quietschenden Sitzbanke eingeschlafen –, setzt er sich auf den Fahrersitz mit den Schaltern vor sich, dem kleinen tannenbaumformigen Lufterfrischer, der vom Ruckspiegel hangt, und einem laminierten Foto – wohl von dem Kind des Fahrers. Es gefallt Brian zwar nicht, als Einziger wach zu sein oder – und das ware noch schlimmer – das Gewehr benutzen zu mussen. Doch so hat er jedenfalls genugend Zeit, uber ein paar Dinge nachzudenken.

Irgendwann, kurz vor Sonnenaufgang, nimmt Brian Pennys Atmen wahr. Es ist vom Wind, der drau?en weht, kaum zu unterscheiden. Doch ihr Atmen klingt jetzt unregelma?ig, als ob sie hyperventilieren wurde. Die Kleine liegt auf einer Sitzbank unweit von Brian neben ihrem Vater.

Nun setzt sie sich nach Luft ringend auf. »Oh … Ich hab’s … Ich meine …« Ihre Stimme ist kaum lauter als ein Flustern. »Ich glaube, ich hab’s.«

»Psst«, beruhigt Brian sie, steht auf und geht zu ihr. Flusternd sagt er: »Es ist alles okay, Kleine … Onkel Brian ist bei dir.«

»Ah …«

»Schon gut … Psst … Wir durfen deinen Vater nicht aufwecken.« Brian wirft Philip einen Blick zu, der in eine Decke gehullt furchterliche Grimassen schneidet. Su?e Traume durften etwas anderes sein.

»Mir geht es gut«, antwortet Penny mit ihrem schuchternen Stimmchen und schaut zu ihrem Pinguin, den sie in den Handen halt, als ob es sich um einen wichtigen Talisman handeln wurde. Das Spielzeug ist verschmutzt und abgenutzt, was Brian beinahe das Herz bricht.

»Schlecht getraumt?«

Penny nickt.

Brian schaut ihr in die Augen. Er denkt nach. »Ich habe eine Idee«, flustert er. »Warum kommst du nicht mit nach vorne und leistest mir etwas Gesellschaft?«

Das kleine Madchen nickt.

Er hilft ihr auf und legt ihr eine Decke uber die Schultern. Dann nimmt er sie an der Hand und fuhrt sie nach vorne zum Fahrersitz. Daneben befindet sich ein Notsitz, den er fur sie herunterklappt. »Da, fur dich«, meint er und klopft einladend auf das Polster. »Du kannst mein Beifahrer sein.«

Penny macht es sich auf dem Notsitz bequem. Sie zieht solange an der Decke, bis sie und der Pinguin ganz und gar eingehullt sind.

»Siehst du das?« Brian zeigt auf einen schmutzigen Videomonitor in der Gro?e eines Taschenbuchs, der uber dem Armaturenbrett hangt und auf dem ein korniges Schwarz-Wei?-Bild der Stra?e hinter ihnen zu sehen ist. Der Wind pfeift durch die Baume, und der Schein der Natriumlampen glanzt auf den Dachern der zuruckgelassenen Autos. »Das ist eine Sicherheitskamera. Man braucht sie, wenn man ruckwartsfahrt.«

Das Madchen betrachtet die Kamera neugierig.

»Hier sind wir sicher, Kleines«, beteuert Brian so uberzeugend wie moglich. Am Anfang seiner Wache fand er heraus, wie weit man den Zundschlussel drehen muss, um die Elektrik und das Armaturenbrett aufleuchten zu lassen – wie ein alter Flipperautomat, der wieder zum Leben erweckt wird. »Wir haben hier alles unter Kontrolle.«

Das Madchen nickt.

»Willst du mir davon erzahlen?«, fragt Brian mit sanfter Stimme.

Penny schaut verwirrt drein. »Wovon?«

»Von deinem schlechten Traum. Manchmal hilft es, wenn man … wenn man jemandem anderen davon erzahlt … Verstehst du? Dann verschwindet er einfach und lost sich in Luft auf.«

Penny zuckt mit den Schultern. »Ich habe getraumt, dass ich krank werde.«

»Krank? Etwa so, wie die Leute da drau?en?«

»Ja.«

Brian holt tief Luft. Ihre Antwort geht ihm nahe. »Hor mir zu, Kleine. Ganz gleich, was diese Leute sind – du wirst nicht so werden. Verstehst du? Das wird dein Vater nicht zulassen – nicht heute, nicht morgen, nicht in einer Million Jahre. Ich werde es nicht zulassen.«

Sie nickt.

»Du bist deinem Vater sehr wichtig. Du bist mir sehr wichtig.« Brian spurt, wie sich seine Brust unerwartet zusammenschnurt und seine Worte in seinen Augen brennen. Zum ersten Mal, seitdem er sein Elternhaus vor uber eineinhalb Wochen verlassen hat, merkt er, wie sehr ihm das kleine Madchen ans Herz gewachsen ist.

»Ich habe eine Idee«, sagt er, nachdem er sich wieder im Griff hat. »Wei?t du, was ein Passwort ist?«

Penny schaut zu ihm auf. »Ein Passwort? Wie bei einem Geheimversteck oder so?«

»Genau.« Brian leckt seinen Finger ab und wischt ihr damit etwas Schmutz von der Wange. »Du und ich, wir werden uns ein geheimes Passwort zulegen.«

»Okay.«

»Es ist ein ganz besonderes Passwort, okay? Von jetzt ab mochte ich, dass du mir einen Gefallen tust, wenn ich das Wort sage. Kannst du das? Schaffst du es, dass du mir immer diesen Gefallen tust, wenn ich das besondere Wort sage?«

»Ja. Warum nicht?«

»Sobald ich das Wort sage, mochte ich, dass du die Augen schlie?t.«

»Ich soll die Augen schlie?en?«

»Ja. Und die Ohren zuhalten. Bis ich dir sage, dass du die Augen wieder aufmachen kannst. Verstanden? Ach, und eine Sache noch.«

»Ja?«

»Wenn ich dieses Wort sage, mochte ich auch, dass du an etwas denkst.«

»An was?«

»Daran, dass der Tag kommen wird, an dem du die Augen nicht mehr schlie?en und die Ohren nicht mehr zuhalten musst, dass der Tag kommen wird, an dem alles wieder gut ist und es keine kranken Leute mehr geben

Вы читаете The Walking Dead
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×