bemerkt Brian eine Reihe von Dingen, von denen Philip die meisten anscheinend schon in Betracht gezogen hat. Es fangt mit der Ladenfront an.
Das Stohnen, Achzen und die Tausende von schlurfenden Schritten lassen Brian vermuten, dass die Zombie-Horde ihnen dicht auf den Fersen ist. Der Escalade hat einen Totalschaden, die Frontpartie ist zerquetscht, die Reifen sind geplatzt, und die gesamte Karosserie ist mit Blut, Gewebe und diversen Organen verschmiert.
Hinten im Laden ist ein Gang zu erkennen, dunkel, eng und mit Trockenbauplatten verkleidet. Vielleicht fuhrt er zu einem Ausgang. Zeit zum Sondieren haben sie nicht. Rasch packen sie ihre Taschen, Jacken und Waffen. Noch immer benommen von dem Aufprall, vor Panik schwindlig, grun und blau von der Achterbahnfahrt im Escalade und mit einem hohen schrillen Ton in den Ohren schnappen sich Nick und Brian jeweils ein Gewehr, wahrend Philip so viele Messer und Axte mitnimmt, wie er an seinem Korper unterbringen kann. Dazu gehoren selbstredend auch die beiden kleinen scharfen Axte, die er sich beidseitig in den Gurtel steckt, die Ruger und drei Extramagazine.
»Los, Kleine. Wir mussen weiter«, fordert Brian Penny auf, aber das Kind macht einen lethargischen und verwirrten Eindruck. Er versucht, es aus dem demolierten Wagen zu zerren, doch es klammert sich an einen Rucksitz.
»Trag sie«, befiehlt Philip, der um die Ecke des SUV biegt.
»Los, Kindchen, du darfst auf meinen Rucken. Wir spielen Huckepack«, lockt Brian das Madchen.
Widerwillig lasst Penny von dem Sitz ab und klettert aus dem Auto, sodass Brian sie hochnehmen und auf den Rucken hieven kann.
Die drei Manner schleichen durch den Schmuckladen zum Gang.
Sie haben Gluck. Direkt hinter der Glastur des Buros im hinteren Teil des Geschafts treffen sie auf eine gesichtslose Metalltur. Philip legt den Riegel um, offnet sie wenige Zentimeter und wagt einen Blick durch den Spalt. Der Mief ist unertraglich – ein schmieriger Gestank, der Brian an einen Schulausflug zum Turner-Viehhof in der Nahe von Ashburn erinnert. Der Geruch im Schlachthof war damals genauso penetrant wie der, welcher ihm jetzt in die Nase steigt. Philip signalisiert den anderen innezuhalten.
Brian kann uber Philips Schulter hinweg eine lange, dunkle Gasse ausmachen, die voll von uberquellenden Mullcontainern ist. Was ihm am meisten ins Auge sticht, ist jedoch der Inhalt der Container: Bleiche menschliche Arme sowie abgerissene und eiternde Beine hangen uber die Seiten, verfilzte Haare lugen hier und da hervor, und unter jedem Container schimmert eine Lache dicken, getrockneten Bluts.
Philip hat bereits einen Plan. »Ihr folgt mir und macht genau das, was ich euch sage.« Er entsichert seine Waffe. Jetzt sind acht Zweiundzwanziger-Kaliber-Kugeln bereit, durch die Luft zu tanzen. Dann tritt er hinaus.
Sie folgen ihm.
So leise und schnell wie moglich eilen sie durch den Gestank und die Uberreste eines weiteren Gemetzels die Gasse entlang zu einer Seitenstra?e. Mit der Tasche auf einer Schulter und dem Madchen auf dem Rucken, hastet Brian zwischen Nick und Philip in Richtung Licht. Pennys drei?ig Kilo haben sich noch nie so schwer angefuhlt wie jetzt. Nick, der hinter ihm die Nachhut bildet, halt sein Marlin-Gewehr in den Armen. Brian hat sich seine Flinte zwischen Tasche und Rucken geklemmt; nicht, dass er uberhaupt wusste, wie er sie gebrauchen sollte.
Jetzt sind es nur noch wenige Meter bis zur Seitenstra?e. Sie sind kurz davor, aus dieser schrecklichen Gasse zu entfliehen, als Philip aus Versehen auf eine menschliche Hand tritt, die unter einem der Mullcontainer liegt.
Die Hand, die an einem Zombie hangt, der noch nicht ganz am Ende ist, verschwindet augenblicklich unter dem Container. Philip zuckt vor Schreck zusammen.
»MANN!«, entfahrt es Nick, als die Hand erneut erscheint und Philip am Fu?gelenk packt und daran rei?t.
Philip fallt der Lange nach zu Boden. Die Pistole entgleitet ihm und schlittert au?er Reichweite.
Der tote Mann – ein aschfahler, bartiger Obdachloser in blutbesudelten Lumpen – kriecht auf Philip mit der Geschwindigkeit einer riesigen Spinne zu.
Philip streckt sich nach der Pistole, wahrend die anderen krampfhaft mit ihren Waffen herumfuchteln. Brian fasst nach seiner Flinte und versucht dabei, Penny nicht zu verlieren, wahrend Nick sein Marlin-Gewehr entsichert.
Das tote Ding halt sich an Philips Fu?gelenk fest und offnet knarzend seinen Kiefer. Philip tastet panisch nach den Axten an seinem Gurtel.
Der Zombie will gerade in Philips Wade bei?en, als er am Hinterkopf von Nicks Gewehr zu Boden gedruckt wird.
Kurz darauf lasst eine Kugel das Gehirn des Zombies explodieren, sodass die Halfte seines Gesichts in die Luft fliegt. Das drohnende Echo des Schusses hallt in den Schluchten aus Glas und Stahl wider.
»Das ist schlecht«, meint Philip, rafft sich auf und zieht die Ruger heraus.
»Wieso?«, fragt Brian und ruckt Penny zurecht.
»Du brauchst nur die Ohren aufzusperren«, entgegnet Philip trocken.
Sie lauschen. Tatsachlich andert sich auf einmal das tosende Stohnen und Achzen. Die Laute scheinen die Windrichtung gewechselt zu haben: Jetzt wandern die Untoten unaufhaltsam auf den Knall des Gewehrschusses zu.
»Nichts wie zuruck!«, schlagt Nick mit schriller Stimme vor. »Zuruck zum Juwelier. Da gibt es doch garantiert ein Obergeschoss.«
»Zu spat«, erwidert Philip und kontrolliert seine Pistole. Er hat noch vier Runden Hohlspitzgeschosse im Magazin. Dazu kommen die drei Magazine mit je acht Kugeln in einer seiner Gesa?taschen. »Ich wette, dass sie den Laden bereits von vorne gesturmt haben.«
»Was konnen wir tun?«
Philip starrt Nick an und wendet sich an seinen Bruder: »Wie schnell, glaubst du, kannst du mit Penny rennen?«
Sie laufen los – Philip voran, Brian hinter ihm her, Nick wieder als Nachhut. Sie laufen an eingesturzten Ladenfronten und verkohlten, steifen Leichen auf Scheiterhaufen vorbei, die wahrscheinlich von unternehmungslustigen Uberlebenden angesteckt worden waren.
Brian ist sich nicht sicher, aber er glaubt, dass Philip verzweifelt nach einem Ausweg sucht – nach einer einigerma?en sauberen Tur, einer Feuerleiter, nach irgendetwas. Doch die immer haufiger auftauchenden Toten, die hinter jeder Stra?enecke auf sie lauern, lenken ihn ab.
Philip erschie?t den ersten aus einer Entfernung von funfzig Metern. Die Kugel durchdringt den Kopf, sodass der Mann wie ein Kartoffelsack zu Boden fallt. Der zweite Zombie taucht uberraschend und in viel gro?erer Nahe auf. Er stolpert aus einem dunklen Eingang. Philips erster Schuss verfehlt ihn, sodass er noch einmal abdrucken muss. Mehr und mehr Horrorgestalten tauchen wie aus dem Nichts hinter Veranden oder aus zerstorten Geschaften auf. Auch Nick nutzt sein Gewehr. Zwei Jahrzehnte Wildschweinjagd zeigen ihre Wirkung, und er befordert mindestens ein Dutzend Zombies innerhalb von zwei Hauserblocks ins Jenseits.
Die Schusse hallen durch die Stadt wie Uberschallflugzeuge in der Stratosphare.
Sie laufen um eine Ecke und eilen eine schmale Seitenstra?e hinunter, die mit Backsteinbauten im Fischgratenmuster gesaumt ist – vielleicht eine Vorzeigestra?e, die noch aus den Zeiten vor dem amerikanischen Burgerkrieg stammt, in der es hier einmal vor Kutschen und Pferden gewimmelt haben durfte. Doch jetzt sind die Wohn- und Burogebaude mit Holzplanken vernagelt. Immerhin scheinen sie sich von den Zombiemassen zu entfernen. Mit jedem Hauserblock, den sie zurucklegen, treffen sie auf weniger Monster.
Dennoch haben sie das Gefuhl, in einer Falle zu stecken. Sie spuren, wie sie die Stadt umzingelt, sie auffrisst und durch ihren glasernen, stahlernen Schlund herunterschluckt. Die Sonne hat mittlerweile ihren Zenit uberschritten, und die Schatten der Skyline werden immer langer.
In der Ferne, vielleicht einen oder zwei Hauserblocks weg, entdeckt Philip etwas, das ihn instinktiv Schutz hinter einem heruntergerissenen Vordach suchen lasst.
Die anderen kauern sich hinter ihn und drucken sich gegen das vernagelte Fenster einer ehemaligen Reinigung. Sie machen sich so klein wie moglich und nutzen die Gelegenheiten, kurz etwas Luft zu holen.
Brian keucht vor Anstrengung. Die kleine Penny klammert sich wie ein halb dosendes, traumatisiertes Affchen an seinem Nacken fest. »Was ist los?«, will Brian wissen, als er bemerkt, wie Philip hinter dem Vordach hervorlugt, um genauer zu sehen, was in der Ferne vor sich geht.
»Ich spinne wohl«, erwidert Philip nach einer Weile.
»Wieso?«
»Das graue Gebaude da vorne rechts«, meint er und weist mit dem Kopf nach Norden. »Seht ihr das?