Ungefahr zwei Hauserblocks entfernt. Konnt ihr den Eingang ausmachen?«
In der Ferne erhebt sich ein dreistockiges Wohngebaude uber einer Reihe verfallener zweistockiger Hauser – ein Block aus kreidewei?em Stein und mit ausladenden Balkonen aus den Nachkriegsjahren. Es ist das gro?te Gebaude weit und breit. Sein Dach ragt aus den Schatten der Stadt, wobei die fahle Sonne auf die Antennen und Schornsteine fallt und diese in ein seltsames Licht taucht.
»Ich sehe es«, stammelt Brian fassungslos. Er balanciert noch immer Penny auf seinem Rucken, die sich an seinen Schultern festhalt.
»Das ist keine Fata Morgana, Philly«, sagt Nick mit einer Spur von Ehrfurcht in der Stimme.
Sie starren auf die menschliche Gestalt in der Ferne. Sie ist zu weit weg, um zu sagen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt, ob es ein Erwachsener oder ein Kind ist. Aber da ist jemand – jemand, der ihnen zuwinkt.
Zehn
Vorsichtig nahert sich Philip auf der gegenuberliegenden Stra?enseite, die Ruger entsichert, aber nicht auf die winkende Gestalt gerichtet. Die anderen folgen ihm im Gansemarsch, angespannt und mit weit aufgerissenen Augen. Sie sind auf alles vorbereitet.
Die Frau auf der anderen Stra?enseite ruft ihnen mit gedampfter Stimme zu: »Beeilt euch! Schnell!«
Sie scheint um die drei?ig Jahre alt zu sein und hat lange blonde Haare, die sie in einem Pferdeschwanz straff nach hinten gekammt hat. Sie tragt Jeans und einen ubergro?en Strickpullover mit Zopfmuster, dessen ursprungliche Farbe vor Schmutz kaum noch auszumachen ist. Selbst aus dieser Distanz kann Philip die roten Blutflecken und Spritzer darauf erkennen, wahrend die Frau sie zu sich winkt. In einer Hand halt sie eine kleinkalibrige Pistole, vielleicht eine Polizeiwaffe Kaliber achtunddrei?ig. Sie schwingt sie durch die Luft, als ob sie ein Flugzeug an seinen Platz weisen wurde.
Philip wischt sich den Mund ab und uberlegt. Er wei? nicht, wie er die Frau einschatzen soll.
»Los!«, drangt sie die Gruppe. »Ehe sie uns riechen!« Sie will, dass die Leute ihr ins Gebaude folgen. Wahrscheinlich hat sie nicht vor, ihnen etwas anzutun. Aber so, wie sie mit der Pistole in der Luft herumfuchtelt, wurde es Philip nicht wundern, wenn die Waffe uberhaupt nicht geladen ware. Da erklart sie: »Und wehe, wenn ein Bei?er euch hier hereinkommen sieht!«
Philip ist die Sache nicht ganz geheuer. Er halt inne, ehe er die Stra?e uberquert. »Wie viele seid ihr?«, ruft er der Frau leise zu.
Auf der gegenuberliegenden Stra?enseite seufzt die Frau genervt auf. »Heilige Schei?e! Wir bieten euch Essen und einen Zufluchtsort. Jetzt aber schnell!«
»Wie viele?«
»Verdammt! Willst du, dass wir euch helfen oder nicht?«
Philip umklammert den Griff seiner Pistole noch fester. »Erst will ich eine Antwort.«
Erneut seufzt sie auf. »Drei. Wir sind drei. Zufrieden? Jetzt ist wirklich eure letzte Chance. Ich gehe sonst allein wieder hinein, und dann wird es euch hier drau?en schlecht ergehen.« Sie hat den typisch schleppenden Akzent von Georgia, doch es ist auch klar, dass sie langere Zeit in einer gro?en Stadt gelebt haben muss. Vielleicht sogar im Norden der Vereinigten Staaten.
Philip und Nick wechseln einen Blick. Das ferne Gerausch der Zombies wird vom Wind zu ihnen getragen und kundet den bevorstehenden Ansturm der Monster deutlich an. Nervos ruckt Brian Penny auf seinem Rucken zurecht und wirft einen Blick uber die Schulter die Stra?e hinunter. Dann fixiert er seinen Bruder. »Was bleibt uns anderes ubrig?«
»Er hat recht, Philly«, flustert Nick und schluckt seine Angst hinunter.
Erneut mustert Philip die Frau auf der anderen Stra?enseite. »Wie viele Frauen, wie viele Manner?«
Ihre Antwort lautet: »Hast du einen Fragebogen zum Ausfullen? Ich gehe jetzt rein. Viel Gluck. Das werdet ihr brauchen.«
»Warte!«
Philip nickt den anderen zu, und sie uberqueren gemeinsam die Stra?e.
»Habt ihr Zigaretten dabei?«, fragt die Frau, als sie in die Vorhalle des Gebaudes tritt, die Tur hinter ihnen zumacht und mithilfe eines behelfsma?igen Riegels sichert. »Zehn Zigarettenstummel, mehr gibt es hier nicht.«
Sie hat offenbar schon einiges mitgemacht. Ihr Kinn ist vernarbt, an den Wangen sind Blutergusse und Quetschungen zu sehen, und das eine Auge ist so blutunterlaufen, dass es eine leichte Blutung haben konnte. Aber hinter diesem heruntergekommenen Au?eren sieht Philip eine attraktive Frau mit kornblumenblauen Augen und einer Braune, die man sonst nur von Farmermadchen kennt – eine Art schlichte, wartungsarme Schonheit. Mit der trotzigen Neigung ihrer Kopfes und den uppigen Kurven unter dem ubergro?en Pullover macht sie allerdings eher den Eindruck eines Vollblutweibs – und mit Vollblutweibern legt man sich besser nicht an.
»Sorry, wir sind alle Nichtraucher«, erwidert Philip.
»Ihr seht so aus, als ob es euch da drau?en ganz schon durchgeschuttelt hatte«, sagt die Frau und fuhrt sie durch einen ubel riechenden Hausflur voller Mull und mit achtzehn Briefkasten und Klingeln an einer Seite. Brian setzt Penny ab. Das Madchen wankt einen Moment lang, fangt sich aber. Der Gestank von Zombies und Schimmel hangt in der Luft. Das Gebaude macht keinen sonderlich sicheren Eindruck.
Die junge Frau kniet sich vor Penny hin. »Du bist aber ein su?es Madchen.«
Penny antwortet nicht, sondern starrt zu Boden.
Die Frau blickt zu Brian auf. »Gehort die zu dir?«
»Nein, zu mir«, antwortet Philip.
Die Frau streicht Penny eine schwarze, verfilzte Strahne aus dem Gesicht. »Ich hei?e April, mein Kleines. Und wie hei?t du?«
»Penny.«
Pennys Stimme klingt so zittrig und erschopft, dass sie eher an das klagliche Miauen eines jungen Katzchens erinnert. Die Frau lachelt und legt Penny sanft eine Hand auf die Schulter, ehe sie sich aufrichtet und die Manner anblickt. »Dann gehen wir besser mal hinein, ehe wir noch welche von diesen Monstern auf uns aufmerksam machen.« Sie geht zu einer Klingel mit einer Gegensprechanlage und druckt auf den Knopf. »Dad, lass uns bitte rein.«
Es ertont ein Rauschen, dann eine Stimme. »Nicht so schnell, mein Madchen.«
Philip packt April am Arm. »Ihr habt hier
Sie schuttelt den Kopf. »Leider nein … Die Gegensprechanlage funktioniert mit Batterien.« Sie druckt erneut auf den Knopf. »Dad, nun mach schon.«
Wieder ein Rauschen, gefolgt von der Stimme: »Und wie sollen wir wissen, dass wir diesen Kerlen vertrauen konnen?«
Klick. »Lasst du uns jetzt hinein oder nicht?«
Rauschen. »Sag ihnen, dass sie ihre Gewehre und Waffen vorher abgeben mussen.«
Sie seufzt erneut und wendet sich an Philip, der den Kopf schuttelt und ihr einen Blick zuwirft, der so viel sagt wie: nie im Leben.
Klick. »Um Himmels willen, sie haben ein kleines Madchen bei sich. Ich vertraue ihnen.«
Rauschen. »Und Hitler mochte Tiere … Wir haben keine Ahnung, mit wem wir es hier zu tun haben.«
Klick. »Dad. Jetzt offne endlich die verdammte Tur!«
Rauschen. »Du hast selbst erlebt, was in Druid Hills passiert ist.«
April schlagt mit der Faust auf den Knopf der Gegensprechanlage. »Das hier ist nicht Druid Hill! Und jetzt lass uns verdammt noch mal endlich rein, ehe wir hier Wurzeln schlagen!«
Es ertont ein metallenes Surren, das von einem lauten Klicken abgelost wird, als das automatische Schloss der inneren Sicherheitstur aufgeht. April fuhrt sie durch den Eingang in einen verstaubten, sauer riechenden Flur, von dem aus drei Wohnungsturen abfuhren. Am Ende des Flurs ist eine Metalltur, auf der das Wort TREPPE steht. Allerdings ist sie mehr oder weniger komplett mit Brettern vernagelt.
April klopft an der letzten Tur rechts – Apartment 1C. Kurz darauf offnet eine schwergewichtigere, altere und