neben ihr dost. Philip hort April interessiert zu.
Auf dem Kaffeetisch brennen Kerzen. Nick und Brian haben es sich bereits auf dem Boden bequem gemacht und sind eingeschlafen, wahrend das Schnarchen von David und Tara aus den angrenzenden Zimmern zu horen ist.
»Wir haben zu viel Angst, um oben im Haus nachzusehen, was es dort noch so gibt«, fahrt April fort. Bedauern schwingt in ihrer Stimme mit. »Obwohl wir das alles gut gebrauchen konnten, ganz gleich, was wir finden – ob Batterien, Konserven, was auch immer. Verdammt, ich wurde meine linke Brust fur etwas Toilettenpapier hergeben.«
»Das ware dann wohl ein verdammt schlechter Tausch – so ein Schmuckstuck fur etwas Papier«, kontert Philip mit einem Lacheln. Er sitzt barfu? in seinem schmutzigen T-Shirt und der Jeans am anderen Ende des Sofas, und er ist noch immer satt vom Abendessen – Reis mit Bohnen. Der Proviant der Chalmers wird langsam knapp, aber sie haben noch immer einen funf Kilo schweren Sack Reis, den sie vor einer Woche aus einem Lebensmittelladen mitgenommen haben, und genugend Bohnen, damit niemand Hunger leiden muss. April hat gekocht. Das Essen war gar nicht schlecht. Danach drehte Tara ein paar Joints mit den letzten Krumeln ihres Red Man Tabaks und gab reichlich Gras dazu. Philip nahm den einen oder anderen Zug, obwohl er sich schon vor Jahren geschworen hatte, das Zeug nicht mehr anzuruhren. Er vernahm dann Dinge in seinem Kopf, mit denen er nichts zu tun haben wollte. Jetzt aber fuhlt sich sein Kopf von dem Gras angenehm schwer an.
April lachelt ihn an. »Tja, nun … So nah und doch so fern.«
»Was?« Philip starrt sie an und hebt den Blick dann langsam Richtung Decke. »Ach ja … Richtig.« Er hat die Gerausche von oben auch gehort. Jetzt herrscht wieder Ruhe, aber das Schlurfen und die achzenden Boden der uber ihnen liegenden Wohnungen meldeten sich mit Unterbrechungen den ganzen Abend lang immer wieder. Sie waren da. Man konnte sie zwar nicht sehen, aber sie waren in unmittelbarer Nahe. Die Tatsache, dass Philip die Gerausche kaum noch beachtet, zeigt, dass ihn die Untoten und ihre Prasenz kaum noch beruhren. »Wie sieht es mit den anderen Wohnungen in dieser Etage aus?«
»Die haben wir bereits leer gegessen und jedes noch so kleine, brauchbare Teil mitgenommen.«
»Was ist in Druid Hills passiert?«, erkundigt er sich nach einer kurzen Pause.
April seufzt. »Man hat uns gesagt, dass es dort ein Fluchtlingslager gibt. Gab es aber nicht.«
Philip sieht sie an. »Und?«
April zuckt mit den Schultern. »Wir sind dort angekommen und haben einen Haufen Leute getroffen, die sich bei einem Altmetallhandler verschanzt hatten. Leute wie wir. Sie hatten Angst und waren verwirrt. Wir haben versucht, mit ihnen zu reden, denn wir wollten, dass sie mit uns kommen. Zusammen sind wir stark und so.«
»Und dann?«
»Sie hatten wohl zu viel Angst, um mit uns zu kommen, wollten aber auch nicht bleiben.« April blickt zu Boden. Das Licht der flackernden Kerzen spielt in ihrem Gesicht. »Wir haben ein Auto gefunden, das noch funktionierte. Also sammelten wir etwas Proviant und machten uns auf. Doch dann horten wir Motorrader, als wir losfuhren.«
»Motorrader?«
Sie nickt und reibt sich die Augen. »Wir waren gerade mal eine Viertelmeile gefahren und kamen um diesen Hugel. Da horten wir Schreie in der Ferne. Als wir uns umdrehten und das Tal zuruck zum Altmetallhandler blickten … Ich wei? auch nicht. Das war wie aus Mad Max II – Der Vollstrecker oder so ahnlich!«
»Wie denn?«
»Diese Motorradtypen haben alles verwustet, ganze Familien wurden ausgerottet und wer wei?, was sie sonst noch angestellt haben. Das war kein schoner Anblick. Und das Komische daran ist: Es ist uns nicht nur nahegegangen, dass wir dem nur knapp entgingen. Ich glaube, das Schlimme war das Schuldgefuhl. Wir wollten zuruck und helfen und gute Mitmenschen sein und so. Aber wir sind nicht umgekehrt.« Sie blickt Philip in die Augen. »Weil wir keine guten Mitmenschen sind. Von den Leuten hat niemand uberlebt.«
Philip betrachtet nachdenklich Penny. »Ich kann verstehen, warum dein Dad nicht entzuckt von der Idee war, hier Untermieter zu haben.«
»Seitdem wir das mit dem Altmetallhandler durchmachten, ist er geradezu paranoid, sobald wir Uberlebende treffen – vielleicht schlimmer als den Bei?ern gegenuber.«
»Bei?er … So nennt ihr die immer. Wem ist das denn eingefallen?«
»Mein Dad hat das Wort das erste Mal benutzt. Und danach hat es sich so eingeburgert.«
»Finde ich gut.« Philip lachelt sie erneut an. »Und ich mag deinen Vater. Er kummert sich, und ich kann es ihm nicht ankreiden, dass er skeptisch uns gegenuber war. Er scheint ein harter Brocken zu sein, und das respektiere ich. Wir brauchen mehr von der Sorte.«
April seufzt. »Er ist nicht mehr so hart, wie er es fruher einmal war. Leider.«
»Was hat er? Lungenkrebs?«
»Eine Lungenaufblahung.«
»Hort sich nicht gut an«, meint Philip und bemerkt dann etwas, was ihn tief ins Herz trifft.
April Chalmers fahrt mit der Hand uber Pennys Schulter und streichelt sie beinahe abwesend, wahrend das kleine Madchen schlaft. Es ist eine solch zarte und unerwartete Geste – so naturlich –, dass sie Philip tief im Innersten beruhrt und etwas weckt, das er schon fast vergessen hatte. Zuerst erkennt er das Gefuhl kaum wieder. Seine Verwirrung muss sich in seiner Miene widergespiegelt haben, denn April sieht ihn fragend an.
»Alles klar?«
»Ja … Mir geht es gut.« Er fahrt mit den Fingern uber das Pflaster an seiner Schlafe, wo er sich wahrend der Autofahrt den Kopf angeschlagen hat. Die Chalmers holten ihren Verbandskasten hervor, und die Neuankommlinge wurden noch vor dem Abendessen medizinisch versorgt. »Wie ware es?«, beginnt Philip. »Du legst dich jetzt hin, und morgen fruh werden die Jungs und ich die oberen Stockwerke ausraumen.«
Sie mustert ihn einen Moment lang, und es hat den Anschein, als ob sie sich fragt, ob sie ihm trauen kann oder nicht.
Am Tag darauf, kurz nach dem Fruhstuck, beweist Philip April, dass er seine Versprechen halt. Er ruft Nick zu sich, schnappt sich die Magazine fur die Ruger und eine Schachtel Munition fur eines der Marlin-Gewehre. Die beiden scharfen kleinen Axte steckt er in den Gurtel und reicht Nick vorsichtshalber einen Pickel fur einen etwaigen Nahkampf.
Unter der Tur halt er noch einmal inne und kniet sich hin, um die Schuhe noch einmal zuzuschnuren. Seine Stiefel sind so schmutzig von Blut, Gewebe und Schlamm, dass man meinen konnte, die schrecklichen Muster waren aus schwarzer und lilafarbener Seide aufgestickt.
»Passt auf«, mahnt der alte David Chalmers aus der Kochecke. Er sieht grau aus. Im fruhen Morgenlicht macht er einen ausgelaugten Eindruck, wahrend er sich auf den Metallrahmen lehnt, an dem sein Sauerstofftank befestigt ist. Aus dem Schlauch unter seiner Nase entweicht bei jedem Atemzug ein leiser Pfeifton. »Ihr habt keine Ahnung, was euch dort erwartet.«
»Keine Angst«, versichert Philip, steckt sein Jeanshemd in die Hose und holt noch einmal die Axte hervor, um sich zu vergewissern, dass sie locker aus dem Gurtel gleiten. Nick steht neben ihm, das Gewehr uber die Schulter geworfen. Sein Gesichtsausdruck ist ausdruckslos – eine Mischung aus grimmiger Entschlossenheit und Erwartung.
»Die meisten von ihnen werden im ersten Stock auf euch warten«, fugt der alte Mann hinzu.
»Denen werden wir zeigen, wo es langgeht.«
»Haltet euch einfach den Rucken frei.«
»Werden wir«, erwidert Philip, richtet sich auf und ruckt die Axte zurecht.
»Ich komme mit.«
Philip dreht sich um und sieht sich Brian mit einem sauberen T-Shirt gegenuber. Es hat ein M.-Logo auf der Brust, der Stolz von Athens. Seine Miene ist finster und ebenfalls entschlossen. In den Armen halt er das andere Gewehr, als ob es ein lebendiges Tier ware.
»Bist du dir sicher?«
»Klar.«
»Und was ist mit Penny?«
»Die Frauen passen auf sie auf.«
»Ich wei? nicht.«
»Komm schon«, drangt Brian. »Ihr braucht noch ein paar Augen da oben. Ich mache mit.«