passieren, Philip das Herz bricht. Nein, es ist der Augenblick, als April zu singen anfangt, in dem sich Philips Seele mit Honig fullt:

There’s a shadow on my wall, but it don’t scare me at all

I’m happy all night long in my dreams

So klar wie eine Glasglocke, kein Ton sitzt falsch. Aprils spektakulare, samtige Altstimme erfullt das Wohnzimmer. Sie streichelt die Noten und verleiht dem Ganzen etwas beinahe Sakrales. Sie besitzt einen Touch Soul, eine Keckheit, die Philip an eine Kirchenchor-Sangerin in einer Kapelle auf dem Land erinnert.

In my dreams, in my dreams

I’m happy all night long in my dreams

I’m safe here in my bed, happy thoughts are in my head

And I’m happy all night long in my dreams

Die Stimme ist die Antwort auf ein schmerzhaftes Verlangen in Philip – etwas, das er seit Sarahs Tod nicht mehr erfahren hat. Plotzlich entwickelt er fast einen Rontgenblick. Wahrend sie ihre Gitarre spielt und singt, bemerkt er auf einmal samtliche kleinen Einzelheiten bei April Chalmers, die ihm vorher nicht weiter auffielen. Zum ersten Mal sieht er ein kleines Kettchen um ihren Fu?knochel, das Tattoo einer kleinen Rose neben ihrem Ellenbogen und die blassen Rundungen ihrer Bruste – so wei? wie Perlmutt – zwischen den Knopfen ihrer Bluse.

Das Lied ist zu Ende, und jeder im Zimmer applaudiert – Philip am lautesten von allen.

Am nachsten Morgen gibt es ein durftiges Fruhstuck aus altem Musli und Trockenmilch. Philip sieht zu April hinuber, die in der Nahe der Eingangstur ihre Wanderstiefel anzieht und die Armel ihres Sweatshirts mit Klebeband zuklebt.

»Ich dachte, du mochtest vielleicht noch einen zweiten«, meint Philip freundlich. Er halt in jeder Hand einen Becher mit Kaffee. »Ist zwar nur Pulverzeug, aber besser als nichts.« Er sieht, wie sie auch ihre Fesseln mit Klebeband umwickelt. »Was machst du da eigentlich?«

Sie blickt auf den Becher. »Hast du den Rest der Funf-Liter-Flasche dafur genommen?«

»Sieht ganz so aus.«

»Jetzt haben wir nur noch funf Liter fur uns sieben. Das reicht nicht mehr lange.«

»Was hast du vor?«

»Mach jetzt bitte kein Theater.« Sie schlie?t den Rei?verschluss ihres Sweatshirts und zieht sich den Pferdeschwanz zurecht, ehe sie ihn in der Kapuze versteckt. »Das habe ich schon eine Weile geplant und will es alleine durchziehen.«

»Was?«

Sie offnet den in die Wand eingelassenen Kleiderschrank und holt einen Baseballschlager aus Metall hervor. »Den haben wir in einer der Wohnungen gefunden. Wir dachten uns, dass er irgendwann einmal nutzlich sein wurde.«

»April, was hast du vor?«

»Kennst du die Feuerleiter auf der Sudseite?«

»Du gehst da nicht alleine raus.«

»Ich schlupfe aus der Wohnung 3F, steige die Leiter hinab und lenke die Bei?er vom Gebaude fort.«

»Nein … nein

»Nur lange genug, bis wir uns neuen Proviant organisieren konnen. Dann komme ich wieder.«

Philip sieht seine eigenen Holzfallerstiefel bei der Tur stehen – genau dort, wo er sie letzte Nacht ausgezogen hat. »Reich mir doch bitte mal die Stiefel«, fordert er sie auf. »Wenn du schon den Entschluss getroffen hast, will ich nicht dazwischenfunken. Aber auf eigene Faust machst du das auf gar keinen Fall.«

Zwolf

Wieder einmal ist es der Gestank, der ihn beinahe umwirft, als er sich aus dem Fenster der Wohnung 3F lehnt – ein nach Kupfer riechender Cocktail aus menschlichen Ausscheidungen, die langsam in schimmeligem Schinkenspeck angebraten werden, ein Geruch, der so widerlich ist, dass sich Philip konzentrieren muss, um bei Sinnen zu bleiben. Seine Augen beginnen zu tranen, als er sich durch den Spalt zwangt. An diesen Gestank wird er sich nie gewohnen.

Er klettert auf den rostigen Absatz aus Gusseisen. Dreimal muss er die Treppe im Zickzack hinunter – bei jeder Kurve wartet eine Standflache auf ihn –, ehe er in einer Seitenstra?e landet. Bereits beim ersten Schritt wackelt das gesamte Gerust unter Philips Gewicht. Sein Magen macht einen Satz, als eine der Standflachen beinahe nachgibt. Hastig halt er sich am Gelander fest.

Das Wetter hat sich verandert. Es ist jetzt trist und feucht. Der Himmel ist grau in grau, und der Nordostwind fegt durch die tiefen Stadtschluchten. Zum Gluck gibt es unten in der Seitenstra?e nur vereinzelte Bei?er, die an der sudlichen Seite des Gebaudes herumirren. Philip blickt auf seine Armbanduhr.

In circa einer Minute und funfundvierzig Sekunden wird April ihr Leben aufs Spiel setzen. Mehr braucht Philip nicht, um sich zu fangen. Rasch klettert er die erste Treppe hinunter. Das wackelige Gestell achzt unter seinem Gewicht und droht bei jedem Schritt zusammenzubrechen.

Wahrend des Abstiegs merkt er, wie sich die silbernen Augen der untoten Kreaturen unter ihm auf ihn richten. Das Klappern der Treppe hat sie aus ihrer Stumpfheit gerissen. Jetzt sind ihre primitiven Sinne auf ihn ausgerichtet, verfolgen ihn, riechen ihn, spuren die Vibrationen wie eine Spinne, die eine Fliege im Netz wei?. Dunkle Silhouetten, die er im au?ersten Augenwinkel wahrnimmt, schlurfen langsam in seine Richtung. Immer mehr kommen um die Ecke des Haupteingangs zu ihm heruber, um nachzusehen, was da vor sich geht.

Das wird lustig, denkt er, als er vorsichtig zu Boden gleitet, um rasch uber die Stra?e zu rennen. Funfundsechzig Sekunden. Der Plan lautet, so schnell wie moglich alles uber die Buhne zu bringen. Philip schleicht sich geschmeidig an den vernagelten Schaufenstern vorbei. Als er an der ostlichen Ecke des Gebaudes ankommt, findet er einen zuruckgelassenen Chevy Malibu mit einem Kennzeichen, das davon zeugt, dass er nicht in Georgia zugelassen wurde.

Funfunddrei?ig Sekunden.

Als sich Philip neben den Malibu hinkniet und rasch seinen Rucksack abnimmt, hort er, wie die schlurfenden Schritte hinter ihm naher kommen. Seine Hande sind ruhig, als er die kleine benzingefullte Colaflasche hervorholt. Das Benzin hat April im Keller des Hauses in einem Reservekanister gefunden.

Funfundzwanzig Sekunden.

Er schraubt den Verschluss auf, steckt einen benzingetrankten Putzlappen hinein und stopft das Ganze in den Auspuff des Malibus. Der Lappen dient als Lunte und ragt gut zwanzig Zentimeter aus dem Rohr heraus. Er holt ein Feuerzeug hervor, entzundet es und halt es an den Stofflappen. Dann rennt er so schnell es geht in Deckung.

Zehn Sekunden.

Er schafft es uber die Stra?e, drangt sich an ein oder zwei Bei?ern vorbei und springt in eine dustere Gasse hinter zwei Mullcontainer, ehe er die erste Explosion hort – das war die Colaflasche im Auspuff –, gefolgt von einem zweiten, viel lauteren Knall.

Philip duckt sich und bleibt kauernd auf dem Boden. Die ganze Stra?e vibriert, und ein Feuerball steigt empor, der selbst die dunkelsten Ecken im gesamten Umkreis erhellt.

Genau nach Plan, denkt April, wahrend sie im Schatten des Eingangsbereichs wartet. Die Erschutterung rei?t an der Glastur. Die Gluhbirne, die uber ihr zerplatzt, schimmert wie das Stroboskoplicht eines unsichtbaren Fotografen. Sie schielt durch die untere Halfte der verriegelten Tur und beobachtet eine Veranderung in den Scharen der Untoten. Wie die Wogen eines Meeres, die von der Anziehungskraft des Mondes hin und her bewegt werden, beginnen die Horden dem Licht und den Gerauschen zu folgen. Die chaotische Masse trampelt langsam, aber stetig zur sudlichen Seite des Gebaudes.

Silberpapier konnte einen Schwarm Spatzen kaum besser in den Bann ziehen als die beiden Explosionen die Bei?er. Kaum ist eine Minute vergangen, ist die Stra?e vor dem Haupteingang so gut wie leer gefegt.

April wappnet sich und holt tief Luft. Sie ruckt noch einmal die Tasche auf ihrem Rucken zurecht und schlie?t die Augen. Ein rasches, stilles Sto?gebet spater springt sie hoch, schiebt den Riegel beiseite und offnet vorsichtig die Tur.

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