Ihre Lippen erbeben. »Er ist tot.«

»Wie bitte?«

»Er hat es hinter sich, Philip.«

Er starrt sie an. »O Gott …« Er schluckt. »Es tut mir leid, April.«

»Ja.«

Sie fangt zu weinen an. Nach einem kurzen peinlichen Augenblick – eine Welle widerspruchlicher Gefuhle durchlauft Philip – nimmt er sie in die Arme. Er druckt sie an sich und streichelt ihr den Hinterkopf. Sie zittert in seiner Umarmung wie ein verlorenes Kind. Philip wei? nicht, was er sagen soll. Uber ihre Schultern hinweg blickt er in das Schlafzimmer.

Tara Chalmers kniet am Totenbett und betet leise mit dem Kopf auf dem Betttuch vor sich hin. Sie hat eine Hand auf die kalten, knorrigen Finger ihres Vaters gelegt. Aus irgendeinem Grund fallt es Philip schwer, die Augen von Tara zu losen, wie sie die blassen Finger des Toten streichelt.

»Sie lasst nicht mit sich reden, sondern will bei ihrem Daddy bleiben.« April sitzt am Kuchentisch und trinkt eine Tasse schwachen, lauwarmen Tee, den sie auf einem Brennspirituskocher gekocht hat. Seitdem sie aus dem Totenzimmer gekommen ist, sind ihre Augen zum ersten Mal wieder klar. »Das arme Ding … Ich glaube, sie will ihn wieder lebendig beten.«

»Fur so etwas muss man sich nicht schamen«, meint Philip. Er sitzt ihr gegenuber. Eine halb gegessene Schussel Reis steht vor ihm. Er hat keinen Appetit.

»Hast du schon daruber nachgedacht, was ihr jetzt tun wollt?«, erkundigt sich Brian, der vor der Spule steht und Wasser aus den Toiletten der oberen Stockwerke filtert.

Ab und zu kann man Nick und Penny horen, wie sie im Wohnzimmer Karten spielen.

April blickt Brian an. »Wie was tun?«

»Mit eurem Vater … Du wei?t schon … Begraben und so?«

April seufzt. »Du hast das Ganze doch schon hinter dir, oder?«, fragt sie Philip.

Philip starrt auf den Reis vor sich. Er hat keine Ahnung, ob sie damit auf Bobby Marsh oder Sarah Blake anspielt. Er hat ihr sowohl von seinem Freund als auch von seiner Frau erzahlt. »Ja, das habe ich.« Dann erwidert er ihren Blick und fugt hinzu: »Was auch immer ihr entscheidet, wir werden euch auf jeden Fall helfen.«

»Selbstverstandlich werden wir ihn beerdigen.« Ihre Stimme klingt tonlos. Sie senkt die Augen und mustert den Boden. »Ich habe mir das nie so vorgestellt – nicht an so einem Ort wie diesem.«

»Das schaffen wir schon«, versichert ihr Philip. »Wir machen das so, wie es sich gehort.«

April hat den Blick noch immer zu Boden gesenkt, und eine Trane tropft in den Tee. »Ich hasse das alles.«

»Wir mussen zusammenhalten«, erklart Philip ohne gro?en Enthusiasmus. Er sagt es nur, weil er nicht wei?, was er sonst sagen konnte.

April wischt sich das Gesicht ab. »Da gibt es ein Fleckchen Erde unter dem …«

Aus dem Flur dringt ein lautes Gerausch zu ihnen. Sie drehen sich um.

Ein gedampfter Schlag gefolgt von einem Knall – das Umfallen von Mobeln.

Philip schnellt hoch, ehe die anderen verstanden haben, dass der Krach aus dem Schlafzimmer kommt.

Dreizehn

Philip rei?t die Tur auf. Der Teppich steht in Flammen, und die rauchige Luft erzittert vor Gebrull. In der Dunkelheit kann Philip eine Bewegung ausmachen. Es scheint eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis er wei?, was er in dem flackernden Halbschatten vor Augen hat.

Die Kommode, die diese Gerausche verursacht hat, ist knapp neben Tara umgesturzt. Diese liegt auf dem Boden und versucht verzweifelt, sich von dem eisernen Griff toter Finger um ihr Bein zu befreien.

Toter Finger?

Fur den Bruchteil einer Sekunde glaubt Philip, dass sich etwas durch das Fenster hereingeschlichen haben muss. Doch dann sieht er die verdorrte Gestalt von David Chalmers – mittlerweile vollig verwandelt – auf dem Boden. Er krallt sich an Taras Bein. Mit seinen gelben Fingernageln kratzt er Tara die Haut auf. Das eingefallene Gesicht des alten Mannes ist bleigrau, und seine Augen sind mit milchig wei?en Sprengseln uberzogen. Aus seiner Kehle dringen hungrig klingende Grunzlaute.

Tara gelingt es, sich freizukampfen und aufzurichten, ehe sie mit dem Rucken gegen die Wand prallt.

Plotzlich geschehen mehrere Dinge gleichzeitig: Zuerst fallt bei Philip der Groschen, was hier vor sich geht. Au?erdem merkt er, dass er seine Pisole in der Kuche vergessen hat und dass ihm die Zeit davonlauft, die Gefahr zu bannen.

Die Tatsache, dass es den netten alten Mandolinenspieler nicht mehr gibt, sondern dass dieses Ding, diese Masse toten Gewebes, einfach aufsteht, hungrig knurrt und nach seiner Tochter schnappt, erschuttert Philip zutiefst. Diese Kreatur ist eine Bedrohung. Schlimmer noch als die Flammen, die auf dem Teppich lodern, schlimmer als der Rauch, der bereits einen undurchdringlichen Nebel bildet, ist die Tatsache, dass eine solche Abscheulichkeit mitten unter ihnen weilt – mitten in ihrem Zufluchtsort.

Es bringt sie alle in Gefahr.

Ehe Philip auch nur eine Hand heben kann, sto?en die anderen zu ihm und drangen sich unter dem Turrahmen zusammen. April sto?t einen schmerzerfullten Schrei aus. Es ist kein Kreischen, sondern Ausdruck ihrer Qual und Pein – wie ein Tier, das angeschossen wurde. Sie will sich ins Schlafzimmer drangen, aber Brian halt sie zuruck. April windet sich verzweifelt und versucht, seinem Griff zu entkommen.

All das passiert innerhalb weniger Sekunden. In diesem Moment erspaht Philip den Baseballschlager.

In der Aufregung des Abends zuvor lie? April den von Hank Aaron signierten Metallschlager in einer Ecke neben dem vergitterten Fenster stehen, und so ist er jetzt keine vier Meter von Philip entfernt. Die lodernden Flammen spiegeln sich in seinem glanzenden Metall wider. Philip hat keine Zeit, seinen nachsten Schritt zu uberdenken oder einen Plan zu schmieden. Jetzt muss er sich nur noch auf den Baseballschlager sturzen.

Nick rennt ins Wohnzimmer und holt sein Gewehr. Brian versucht noch immer, April festzuhalten und tut sein Bestes, sie aus dem Schlafzimmer zu zerren. Aber sie ist stark und au?er sich. Sie hat zu schreien begonnen.

Einen Sekundenbruchteil spater halt Philip den Baseballschlager in der Hand. Doch in der Zwischenzeit hat sich das Ding, das einmal David Chalmers gewesen war, auf Tara gesturzt. Ehe sich die gewichtige Frau orientieren und fluchten kann, ist der Untote auf ihr.

Kalte, graue Finger bearbeiten unbeholfen ihre Kehle. Sie wird gegen die Wand gedruckt und versucht sich mit Schlagen zu wehren und das Monster von sich zu sto?en. Aus dem bereits verwesenden, aufgerissenen Kiefer entweicht ein widerlicher Gestank. Die schwarzen Zahne blitzen gierig auf, und die Kreatur beaugt das wei?e Fleisch uber ihrer Halsschlagader.

Tara schreit auf. Doch ehe die Zahne zuschnappen konnen, schnellt der Baseballschlager hernieder. Halleluja?

Bis zu jenem Moment war der Akt, eine untote Leiche au?er Gefecht zu setzen, etwas beinahe Alltagliches – insbesondere fur Philip. Es war genauso leicht wie ein Schwein vor dem Schlachten zu betauben. Aber das hier fuhlt sich anders an. Der Untote benotigt drei gut gezielte, heftige Schlage.

Der erste gegen die Schlafe des ehemaligen David Chalmers lasst die Kreatur erstarren, sodass die Gefahr fur Tara erst einmal gebannt ist. Sie sinkt zu Boden. Tranen flie?en ihr uber die Wangen, und Rotz lauft ihr aus der Nase.

Der zweite Hieb ist gegen die Schadelseite gerichtet, als sich das Ding seinem Angreifer zuwendet. Der gehartete Stahl des Schlagers zerschmettert das Scheitelbein und Teile der Nasenhohlen, sodass ein rosafarbener Schauer durch die Luft spritzt.

Der dritte und letzte Schlag knackt die gesamte linke Halfte des Kopfs, und die Kreatur sackt in sich zusammen. Das Monster, das einmal David Chalmers war, landet auf einer der heruntergefallenen Kerzen, und sein Speichel, das Blut und die klebrige graue Hirnmasse fangt in den Flammen zu zischen an.

Philip stellt sich vor den Uberresten auf. Er schnappt nach Luft, die Hande umfassen noch immer den Schlager. Um die furchtbare Situation noch zu verstarken, ertonen jetzt schrille und durchdringende Pieptone. Der batteriebetriebene Feuermelder im Flur meldet sich. Es dauert eine Weile, bis Philip realisiert, woher der Ton

Вы читаете The Walking Dead
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату