Philip blickt ihn an. »Woruber?«

»Daruber, dass sich der alte Mann so verwandelt hat.« Brian wahlt seine Worte mit Bedacht. Er wei?, dass er nicht der Einzige ist, der sich daruber Sorgen macht. Seit David Chalmers von den Toten zuruckgekehrt ist, um seine altere Tochter zu verschlingen, hat sich Brian den Kopf daruber zerbrochen, wie so etwas passieren kann, welche Schlussfolgerungen man daraus zieht und welche Regeln man in dieser wilden, unkontrollierten Welt aufstellen kann. Uberhaupt: Wie soll es mit der Menschheit weitergehen? »Denk doch mal nach, Philip. Er ist nicht gebissen worden – oder?«

»Nein, ist er nicht.«

»Warum also hat er sich verwandelt?«

Einen Augenblick lang starrt Philip seinen Bruder ausdruckslos an, und die Finsternis um sie herum scheint sich zu vertiefen. Es ist, als ob die Stadt in der unendlichen Weite eines Traumes stecken wurde. Brian lauft es kalt den Rucken runter – als ob die Tatsache, dass er es jetzt endlich ausgesprochen hat, einen ubel gesonnenen Flaschengeist freigelassen hatte. Einen Flaschengeist, den man nicht wieder einfangen kann.

Philip nimmt einen Schluck Wein. Sein Gesicht ist wie versteinert. Das kann Brian trotz der Dunkelheit sehen. »Wir wissen so gut wie nichts. Vielleicht hat er sich schon fruher infiziert. Vielleicht muss man einen von denen ja nur beruhren, und dann arbeitet sich der Virus langsam in einen hinein. Auf jeden Fall hat der alte Mann so oder so auf dem letzten Loch gepfiffen.«

»Wenn das der Fall ist, dann sind wir alle …«

»He, Professor. Jetzt hor mal auf. Wir sind alle gesund, und ich habe nicht vor, dass sich daran etwas andert.«

»Ich wei?. Ich will damit nur sagen … Vielleicht sollten wir uns Gedanken daruber machen, welche Vorsichtsma?nahmen wir noch treffen konnen.«

»Vorsichtsma?nahmen? Ich habe eine Vorsichtsma?nahme direkt hier in meiner Hand.« Er greift an die Waffe in seiner Jeans.

»Ich rede von grundlich Hande waschen und Sachen sterilisieren.«

»Und womit?«

Brian seufzt und blickt zum Himmel hinauf. Die Wolken hangen tief – eine dunkle Suppe so finster wie schwarze Wolle. In der Ferne braut sich ein Unwetter zusammen. »Wir haben Wasser in den Toiletten«, fahrt er fort. »Wir haben Filter und Propan, wir kommen sogar an Reinigungsmittel, wenn wir uns die Stra?e hinunterwagen – und Seife und Putzmittel und so.«

»Wir filtern doch das Wasser bereits, Junge.«

»Ja, aber …«

»Und waschen tun wir uns mit diesem Ding, das Nick gefunden hat.« Das ‚Ding’ ist eine Campingdusche, die Nick in der Sportabteilung von Dillard’s mitgenommen hat. Sie ist ungefahr so gro? wie eine kleine Kuhlbox und hat genug Platz fur einen Zwanzig-Liter-Tank. Sie besitzt einen Schlauch mit Duschkopf und wird von einer batteriebetriebenen Pumpe versorgt. Schon seit funf Tagen genie?t jeder den Luxus einer kurzen Dusche, wobei sie das Wasser so gut es geht wiederverwenden.

»Ich wei?, ich wei? … Ich meine doch nur. Vielleicht ist es besser, wenn wir es mit der Sauberkeit ruhig etwas ubertreiben. Zumindest so lange, bis wir mehr wissen.«

Philip wirft ihm einen Blick zu. »Und was ist, wenn es nichts weiter herauszufinden gibt?«

Brian antwortet nicht.

Die Stadt brummt weiter finster vor sich hin, und ein fauler, widerlicher Gestank weht ihnen ins Gesicht. Er sagt so viel wie: Fuck you!

Vielleicht ist es die merkwurdige Mischung unappetitlicher Zutaten, die April und Penny zum Abendessen auf dem Campingkocher zubereitet haben – ein Fra? aus Spargel im Glas, Formschinken und zerbroselten Kartoffelchips, der Philip wie ein Stein im Magen liegt. Vielleicht sind es aber auch der Stress, die Wut und die Schlaflosigkeit der letzten Wochen, die ihm zu schaffen machen. Oder war es doch die Unterhaltung mit seinem Bruder auf dem Balkon? Ganz gleich, woran es liegt – auf jeden Fall hat Philip Blake in jener Nacht einen langen und schrecklichen Traum.

Er liegt in seinem neuen Zimmer auf dem gro?en Doppelbett und walzt sich unruhig von einer Seite auf die andere. Aprils ehemaliges Schlafzimmer war offensichtlich einmal ein Heimburo, denn wahrend sie es aufraumten, stie?en April und Philip auf allerlei Bestellformulare fur Kosmetika, Proben und Muster. Im Schlaf fallt er immer wieder in eine fiebrige Horrorshow. Es ist ein Traum ohne feste Form. Er besitzt weder Anfang noch Mitte oder Ende, sondern dreht sich einfach um den furchterlichen, allgegenwartigen Terror.

Philip ist zuruck in seiner Kindheit in Waynesboro – zuruck in dem heruntergekommenen kleinen Bungalow an der Farrel Street, im Kinderzimmer, das er sich mit Brian teilte. Aber Philip ist kein Kind mehr. Doch nicht nur er hat die Zeitreise zuruck in die siebziger Jahre unternommen – die Plage ist ihm gefolgt. Der Traum wirkt erschreckend lebendig und echt. Die Tapete mit den Maiglockchen, die Iron-Maiden-Poster und der zerkratzte Schreibtisch. Auch Brian befindet sich irgendwo im Haus. Aber anstatt ihn zu sehen, hort Philip nur seine Schreie. Penny ist auch irgendwo und verlangt weinend nach ihrem Vater. Philip eilt auf den Flur, der einem endlosen Labyrinth gleicht. Putz fallt von den Wanden. Eine Horde Zombies wartet drau?en, tobt und zetert. Sie wollen herein. Die zugenagelten Fenster sind am Vibrieren. Philip hat einen Hammer und versucht, sie erneut zu sichern. Er klopft weitere Nagel durch die Bretter und in die Holzwand, aber der Hammerkopf fallt vom Stil. Ein Krachen – etwas knarzt. Philip sieht, wie eine Tur langsam dem Druck von au?en nachgibt. Er sprintet hin, aber der Turknauf fallt ab, sobald er die Hand danach ausstreckt. Er durchsucht Schubladen und Kommoden nach Waffen. Das Furnier pellt sich von den Holzmobeln, wahrend der Putz von der Decke rieselt. Die Wande sturzen ein, das Linoleum wolbt sich, und die Fenster fallen aus ihren Rahmen. Philip hort standig Pennys verzweifeltes Rufen, er hort ihre Schreie, wie sie nach ihm verlangt: »DADDY!«

Knochige Arme schie?en durch die kaputten Fenster, und schwarze, gekrummte Finger greifen nach ihm.

»DADDY!«

Philip entringt ein lautloser Schrei, als der Traum in tausend Scherben zerbirst. Er wacht auf.

Vierzehn

Philip schreckt keuchend auf. Ruckartig setzt er sich hoch und blinzelt ins blassen Morgenlicht. Irgendjemand steht am anderen Ende des Bettes. Nein. Es sind zwei Personen. Jetzt sieht er sie – eine ist gro?, die andere eher klein.

»Guten Morgen«, begru?t ihn April, deren Hand auf Pennys Schulter ruht.

»Verdammt.« Philip lehnt sich ans Kopfteil des Bettes. Er tragt ein Unterhemd und eine Trainingshose. »Mann, wie spat ist es denn?«

»Noch nicht ganz Mittag.«

»Heiliger Strohsack«, murmelt er und versucht, sich zu orientieren. Seine sehnige Gestalt ist von einem dunnen Schwei?film bedeckt. Sein Nacken tut weh, und sein Mund schmeckt abgestanden. »Unglaublich.«

»Wir mussen dir etwas zeigen, Daddy«, verkundet Penny, die Augen vor Spannung aufgerissen. Der Anblick seiner Tochter, die so frohlich vor ihm steht, lost eine wohltuende Welle der Erleichterung in ihm aus und verdrangt die letzten Fetzen seines fiebrigen Traums.

Er steht auf und zieht sich an. »Bin gleich so weit. Gebt mir einen Augenblick, damit ich mich schminken kann«, sagt er mit heiserer Whiskey-Stimme und fahrt sich mit den Fingern durch die ungewaschenen Haare.

Dann begleitet er die beiden aufs Dach hinauf. Als sie die Feuertur offnen und ihnen die kuhle Luft entgegenschlagt, kann Philip das grelle Licht kaum ertragen. Obwohl es bewolkt ist, bekommt Philip Kopfschmerzen, und das Tageslicht lasst seinen Kopf fast explodieren. Er blinzelt in den Himmel hinauf und entdeckt die bedrohlichen Gewitterwolken, die von Norden her immer naher rollen. »Sieht nach Regen aus.«

»Das ist gut«, meint April und zwinkert Penny zu. »Zeig ihm warum, Kleine.«

Das Madchen ergreift die Hand seines Vaters und zerrt ihn quer uber das Dach. »Schau mal, Daddy. April und ich haben einen Garten gemacht, um Gemuse anzubauen.«

Sie zeigt ihm das kleine, behelfsma?ige Gartchen mitten auf dem Dach. Es dauert einen Augenblick, ehe

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