»Daddy! Schau mich an!«, befiehlt April und dreht sein Gesicht vorsichtig zu sich. »Daddy, kannst du mich sehen?«

»Wir mussen ihn aufs Bett legen«, schlagt Tara vor. »Manner, konnt ihr uns helfen?«

Philip und Nick sind auf einer Seite, wahrend Tara und Brian auf der anderen stehen. Sie zahlen bis drei, heben dann David vorsichtig hoch und legen ihn aufs Bett. Die Federn achzen unter seinem Gewicht, und der Sauerstoffschlauch verwickelt sich erneut.

Sofort entwirren Tara und April das Durcheinander und decken den alten Mann mit Decken zu. Nur noch sein aschfahles, eingesunkenes Gesicht lugt unter der Bettdecke hervor. Die Augen sind geschlossen, der Mund steht offen, und er atmet sto?weise. Sein Rasseln klingt wie ein alter Verbrennungsmotor, der nicht recht laufen will. Immer wieder flattern seine Lider, und in seinen Augen, wenn man sie sehen kann, ist ein leichter Schimmer zu erkennen. Die Lippen verziehen sich zu einer Grimasse. Schon entspannt sich sein Gesicht wieder, und er atmet weiter … Mehr schlecht als recht.

Tara und April sitzen einander gegenuber neben ihm und streicheln ihm die Wangen. Eine ganze Weile fallt kein einziges Wort. Aber es ist dennoch klar, dass alle das Gleiche denken.

»Glaubst du, dass es ein Schlaganfall war?«, fragt Brian einige Minuten spater neben der glasernen Schiebetur.

»Ich wei? nicht. Ich wei? es nicht.« April lauft nervos auf und ab und kaut unentwegt an ihren Fingernageln, wahrend die anderen hilflos herumsitzen und sie anschauen. Nur Tara ist noch im Zimmer bei ihrem Vater. »Ohne medizinische Versorgung hat er so oder so schlechte Chancen.«

»Ist so etwas das erste Mal passiert?«

»Er hatte schon mehrmals Probleme mit dem Atmen, aber so schlimm war es noch nie«, erklart April. Sie bleibt stehen. »Verdammt, ich wusste, dass es einmal so weit kommen wurde.« Sie wischt sich die Augen, die tranenfeucht sind. »Au?erdem ist das der letzte Sauerstofftank. Das war es dann.«

Philip erkundigt sich nach den Medikamenten.

»Klar haben wir seine Medizin. Aber die hilft ihm jetzt wenig. Er braucht einen Arzt. Der alte Dickkopf hat schon seinen letzten Termin vor einem Monat sausen lassen.«

»Und was haben wir so an Pillen und Arzneien?«, will Philip wissen.

»Keine Ahnung. Da ist ein Haufen Zeug aus den Wohnungen. Antihistamin und so.« April beginnt wieder, ihre Runden zu drehen. »Au?erdem gibt es ein paar Erste-Hilfe-Kasten. Toll. Das mit Dad ist ernst, und ich habe keine Ahnung, wie wir damit umgehen sollen.«

»Wir mussen Ruhe bewahren und uberlegen.« Philip fahrt sich uber den Mund. »Im Augenblick scheint er ruhig zu sein – oder? Seine Atemwege sind frei. Man kann nie wissen, aber vielleicht … Vielleicht erholt er sich ja einfach wieder.«

»Und was ist, wenn nicht?« April starrt ihn an.

Philip steht auf und geht zu ihr. »Hor zu. Wir mussen einen kuhlen Kopf behalten.« Er legt ihr eine Hand auf die Schulter. »Wir passen gut auf ihn auf. Uns wird schon etwas einfallen. Der ist hart im Nehmen, dein Dad.«

»Hart im Nehmen, aber am Sterben«, sagt April, und eine Trane lauft ihr uber die Wange.

»Das wei?t du nicht«, versucht Philip sie zu beruhigen und wischt ihr die Trane aus dem Gesicht.

Sie blickt ihn an. »Guter Versuch, Philip.«

»Ernsthaft.«

»Guter Versuch.« Sie wendet das Gesicht ab, und ihr niedergeschlagener Gesichtsausdruck druckt ihre tiefe Verzweiflung aus. »Guter Versuch.«

Die gesamte Nacht uber sitzen die Frauen am Bett ihres Vaters. Eine batteriebetriebene Lampe erhellt sein blasses Gesicht. Die Wohnung ist so eisig wie ein Kuhlhaus, und April kann Taras Atem uber das Bett hinweg sehen.

Der alte Mann liegt fast die ganze Zeit uber bewegungslos da. Lediglich seine eingefallenen Wangen ziehen sich ab und zu beim Versuch zu atmen zusammen. Die grauen Bartstoppeln an seinem Kinn gleichen Metallspanen, die sich nach dem Magnetfeld richten. Immer wieder beginnen sich seine trockenen, aufgeplatzten Lippen ohne ersichtlichen Sinn zu bewegen. Will er etwas sagen? Au?er etwas trockener Puste kommt nichts heraus.

Am fruhen Morgen merkt April, dass Tara eingenickt ist. Ihr Kopf liegt auf dem Bett. April nimmt eine Decke und legt sie vorsichtig uber ihre Schwester. Dann hort sie eine Stimme.

»Lil?«

Sie kommt von dem alten Mann. Seine Augen sind noch immer geschlossen, aber sein Mund bewegt sich unentwegt. Er scheint wutend, seine Miene ist zerfurcht. Lil war die Abkurzung von Lilian, Dads verstorbener Ehefrau. April hat den Kosenamen seit Jahren nicht mehr gehort.

»Daddy? Ich bin’s, April«, flustert sie und legt eine Hand auf seine Wange. Er zuckt zusammen, die Augen noch immer geschlossen. Sein Mund ist verzerrt. Die Stimme lallt durch den Nervenschaden, der eine Seite seines Gesichts lahmt.

»Lil, pfeif die Hunde rein! Da zieht ein Sturm auf – ein gro?er Sturm. Er kommt mal wieder aus Nordosten!«

»Daddy! Wach auf«, flustert April leise. Ihr Herz krampft sich zusammen.

»Lil? Wo bist du?«

»Daddy?«

Schweigen.

»Daddy?«

Tara wacht auf, streckt sich und setzt sich gerade hin. Die gepresste Stimme ihres Vaters hat sie aus dem Schlaf gerissen. »Was ist los?«, fragt sie und reibt mude die Augen.

»Daddy?«

Das Schweigen halt an, aber der alte Mann atmet jetzt viel schneller.

»Da …«

Das Wort bleibt April im Mund stecken, als sie etwas Furchterliches uber das Gesicht ihres Vaters huschen sieht. Seine Augenlider offnen sich leicht, und die wei?en Augapfel lugen darunter hervor. Plotzlich spricht er mit einer erschreckend deutlichen Stimme: »Der Teufel hat etwas vor mit uns.«

In dem dusteren Schein der schwachen Lampe tauschen die beiden Schwestern angstliche Blicke aus.

Die Stimme, die aus dem Korper von David Chalmers kommt, ist tief und rau. »Der Tag des Jungsten Gerichts ist nah … Der Missetater ist unter uns.«

Dann kehrt wieder Stille ein. Sein Kopf rollt zur Seite, als ob man die Nervenstrange zu seinem Gehirn plotzlich durchtrennt hatte.

Tara fuhlt seinen Puls.

Sie schaut ihre Schwester an.

April mustert das Gesicht ihres Vaters. Seine Miene ist jetzt entspannt. Er sieht so aus, als ob er sich zuversichtlich einem ruhigen, tiefen und unendlich langen Schlaf hingeben wurde.

Punktlich bei Sonnenaufgang fangt Philip in seinem Schlafsack auf dem Boden des Wohnzimmers an, sich zu regen. Er setzt sich auf und massiert sein steifes Genick. Seine Gelenke sind von der Eiseskalte wie eingerostet. Es dauert ein Weilchen, ehe sich seine Augen an das trube Licht gewohnt haben und er sich orientiert. Er sieht Penny in Decken auf dem Sofa eingehullt. Sie schlaft tief. Sein Blick schweift zu Nick und Brian auf dem Boden, ebenfalls in Decken gewickelt. Auch sie schlafen noch. Die Erinnerung der Totenwache am Abend zuvor drangt sich ihm auf und der hoffnungslose Versuch, dem alten Mann zu helfen und gleichzeitig Aprils Befurchtungen zu zerstreuen.

Er blickt durch den Raum. In den Schatten des Flurs kann er die Tur zum Schlafzimmer ausmachen. Sie ist geschlossen.

Rasch klettert er aus dem Schlafsack und zieht sich hastig und leise an. Nachdem er die Hose ubergestreift hat, fahrt er in die Stiefel. Dann streicht er die Haare zuruck und geht in die Kuche, um sich den Mund auszuspulen. Plotzlich ertont eine Stimme. Er folgt ihr zum Schlafzimmer und lauscht an der Tur. Es ist Tara, die vor sich hin murmelt.

Sie betet.

Philip klopft leise an.

Einen Augenblick spater offnet sich die Tur. April steht vor ihm. Ihre Augen sind so verquollen, dass man sie kaum erkennen kann. »Guten Morgen«, begru?t sie ihn mit leiser Stimme.

»Wie geht es ihm?«

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