Philip uberlegt. Er lasst seinen Blick durch das Wohnzimmer wandern und sieht seine Tochter, die im Schneidersitz auf dem Boden zwischen den beiden Chalmers-Tochtern sitzt. Sie sind beim Kartenspielen, die Karten sind alt und speckig, aber es ist das erste Mal seit langem, dass Philip Penny lacheln sieht. Au?erdem ist sie richtig aktiv am Mitspielen. Philip wendet sich seinem Bruder zu, lachelt ihn an und meint: »Also gut, einverstanden!«
Sie nehmen die Treppe am Ende des Flurs, denn die Lifte am anderen Ende des Gangs sind so tot wie die Zombies. Doch zuerst mussen sie die Bretter abrei?en, mit denen die Treppe vernagelt ist. Die Schlage und das Quietschen der Nagel scheinen die Zombies oben in den dunklen Zimmern aufzuwecken. Vor Anstrengung muss Philip einmal kurz furzen – eine Erinnerung an Aprils Bohnengericht am Abend zuvor.
»Der reicht, um mehr Zombies auszuloschen als jedes Gewehr«, bemerkt Nick.
»Sehr witzig«, meint Philip und rei?t das letzte Brett von der Wand.
Die Treppe liegt duster vor ihnen. Philip meldet sich zu Wort: »Also, noch einmal. Ihr musst schnell sein. Die Kerle sind zwar glitschig, aber langsamer als ein Stuck Mist – und dummer als unser guter Nick hier.«
»Ha, ha«, erwidert Nick und ladt seine Waffe mit zwei Kugeln Kaliber zwanzig.
Oben angekommen, stehen sie vor einer Feuertur, die zum Flur im ersten Stock fuhrt. Sie ist geschlossen. Brian fangt zu zittern an.
»Immer ruhig, Junge«, sagt Philip zu ihm, als er sieht, wie der Lauf des Gewehres durch die Luft schwingt. Er druckt den Lauf beiseite und fugt hinzu: »Pass auf, dass du nicht aus Versehen Nick oder mich mit einer Kugel begluckst.«
»Klar, wird gemacht«, antwortet Brian mit angestrengter Stimme, die seine Angst verrat.
»Also dann, los«, ruft Philip. »Und immer entschlossen und schnell auf sie zugehen.«
Ein harter Tritt mit der Sohle seines Stiefels sto?t die Tur auf.
Elf
Fur einen kurzen Augenblick stehen sie nur da, und ihre Herzen schlagen in einem Stakkato wie ein Hammerwerk. Au?er einigen herumfliegenden Schokoriegelverpackungen, leeren Cola- und Limoflaschen und einem Haufen Staub ist der Flur leer. Er ist genauso geschnitten wie der darunterliegende. Trubes Tageslicht dringt durch die in der gegenuberliegenden Wand eingelassenen Fenster und erhellt Staubmause, die an den geschlossenen Wohnungsturen entlanggeblasen werden. 2A, 2C und 2E liegen auf der einen, 2B, 2D und 2F auf der anderen Seite.
Nick flustert: »Die haben sich alle in ihren Lochern verkrochen.«
Philip nickt. »Scheint so schwierig, wie Fische aus einem Fass zu angeln.«
»Los, fangen wir an«, drangt Brian nicht besonders uberzeugend. »Ich mochte es hinter mich bringen.«
Philip wirft seinem Bruder einen Blick zu, ehe er sich zu Nick wendet: »Anscheinend ist Rambo unter uns.«
Sie schleichen zur ersten Tur auf der rechten Seite – 2F – und heben die Waffen. Philip entsichert seine Achtundrei?iger.
Dann tritt er die Tur ein.
Eine Stinkwolke schlagt ihnen entgegen. Das ist das Erste, was sie bemerken: ein furchterlicher Gestank menschlicher Verwesung, Urin und Kot – Zombiegestank – kampfen um die Vorherrschaft mit anderen ublen Geruchen wie ranzigem Essen und verschimmelten Badezimmerfliesen und Kleidung. Der Gestank ist so uberwaltigend und unausstehlich, dass jeder der Manner einen halben Schritt zuruckweicht.
»Da bricht ja sogar das Jesuskind in Tranen aus«, wurgt Nick hervor und wendet das Gesicht ab.
»Und? Stinkt mein Furz immer noch so schlimm?«, fragt Philip und bewegt sich vorsichtig auf die stinkenden Schatten in der Wohnung zu. Er hebt seine Pistole.
Nick und Brian folgen ihm, die Gewehre gezuckt und mit weit aufgerissenen Augen, die angespannt glanzen.
Einen Augenblick spater entdecken sie vier Exemplare, die sich gerade auf dem Boden des verwusteten Wohnzimmers auszuruhen scheinen. Jedes von ihnen hockt in einer Ecke, lethargisch, fast wie gelahmt. Beim Anblick der Neuankommlinge knurren sie trage, sind aber zu damlich oder zu krank, um sich zu bewegen – als ob sie sich an den Gedanken gewohnt hatten, fur immer in diesem hollischen Zustand zu verweilen. Sie scheinen sogar vergessen zu haben, wozu man Mobel hat. Im truben Licht ist es schwer zu sagen, aber es sieht ganz so aus, als ob es sich um eine Familie handeln wurde: Mutter, Vater und zwei beinahe erwachsene Kinder. An den Wanden gibt es Kratzspuren, die an ein abstraktes Gemalde denken lassen – ein Beweis, dass die Wesen doch irgendeinem Instinkt gefolgt sein mussen und versuchten, sich hier herauszukratzen.
Philip geht zu der ersten Gestalt, deren Augen schimmern, als sie den Lauf der Waffe erblicken. Der Knall kreiert im Handumdrehen einen gro?en Jackson Pollock auf der dahinterliegenden Wand. Der Zombie sackt zu Boden. In der Zwischenzeit hat sich Nick einen anderen vorgenommen, um auch ihn aus seinem Elend zu befreien. Der Widerhall des Jagdgewehrs klingt wie eine aufgeblasene Papiertute, die man zerschlagt. Das Gehirn verteilt sich uber der Wand. Philip kummert sich bereits um den dritten Zombie, der sich langsam aufrafft, wahrend sich Nick auf den vierten zubewegt und … KNALL! Das Gerausch der auf die Wande spritzenden Flussigkeit geht durch das Drohnen in ihren Ohren unter.
Brian steht zehn Schritte hinter ihnen, die Waffe erhoben. Doch sein Kampfgeist wird von einer Welle aus Ekel und Ubelkeit verdrangt. »Das hier … Das ist nicht …«, beginnt er, aber eine Bewegung zu seiner Linken lasst ihn nicht zu Ende reden.
Der umherstreunende Zombie stolpert aus den Tiefen des Gangs auf Brian zu und wirft sich wie ein schrecklicher Clown mit schwarzer Perucke und Augen aus Zuckerguss auf ihn. Ehe Brian die Chance hat, sich den Untoten genauer anzuschauen und festzustellen, ob es sich um eine weitere Tochter oder eine Freundin handelt, die sich da in einem zerfetzten Bademantel und mit einer entblo?ten Brust wie ein angebissenes Schnitzel auf ihn werfen will, wirft sich das Ding mit der Wucht eines American-Football-Spielers auf ihn.
Brian geht zu Boden. Alles passiert so schnell, dass weder Nick noch Philip die Chance haben einzugreifen. Sie sind einfach zu weit weg.
Der wandelnde Kadaver landet auf Brian, fletscht seine schwarzen, schmierigen Zahne und offnet in dem winzigen Augenblick, ehe Brian merkt, dass er noch immer das Gewehr in Handen halt, seinen Mund.
Brian wirft einen Blick in den furchterlichen Schlund der Kreatur – ein nicht enden wollender schwarzer Schlauch, der direkt in die Holle zu fuhren scheint –, ehe er instinktiv die Waffe hebt. Zufalligerweise endet der Lauf genau zwischen den Zahnen des Monsters. Brian sto?t einen lauten Entsetzensschrei aus, als er abdruckt.
Der hintere Teil des Schadels explodiert und schickt eine Wolke aus Blut und feuchtem Gewebe in die Luft. Brian liegt noch immer wie vom Blitz getroffen auf dem Boden. Die Uberreste des Kopfes wurden vom Lauf der Flinte aufgespie?t. Brian blinzelt. Die silbrigen Augen der Tochter oder Freundin oder wer auch immer das gewesen sein mochte, fixieren Brian.
Er hustet und wendet sich ab, als der Kopf des Madchens wie ein Stuck Fleisch auf einem Spie? den Lauf herunterrutscht. Die toten Augen starren ihn unentwegt an. Er spurt den kalten, feuchten Schleim ihrer Fratze an seinen Handen und schaut weg. Er kann sich nicht bewegen. Sein rechter Zeigefinger ist noch immer um den Abzug gelegt, wahrend die linke Hand am Schaft klebt. Unwillkurlich schneidet er eine Grimasse.
Gelachter befordert ihn wieder in die Gegenwart. »Sieh mal an, wer da gerade seine Unschuld verloren hat«, spottet Philip Blake, der in einer Wolke aus Korditpulver uber seinem Bruder steht und ihn freudlos angrinst.
Nick findet eine Luke zum Dach, und Philip kommt auf die Idee, samtliche Leichen dort zu verstauen, damit sie mit ihrem Gestank nicht noch alles schlimmer machen, als es sowieso schon ist.
Es dauert eine gute Stunde, bevor sie samtliche Uberreste der Toten den Treppenaufgang zum zweiten Stock und die engen Stufen bis zur Feuertur hinaufgeschleppt haben. Sie mussen das Schloss aufschie?en und arbeiten dann als Kette, indem einer die stinkenden Leichen erst den Flur entlang und ein anderer die zwei Treppen zum Dach hochzerrt. Eine lange Spur aus Gedarmen und Blut bleibt auf dem rosa-grunen Teppich zuruck.
Sie erwischen jede der Kreaturen – insgesamt sind es vierzehn – und verbrauchen dabei zwei Magazine Zweiundzwanziger-Kugeln und eine halbe Schachtel Munition fur die Gewehre. Alle Leichen werden auf dem Dachboden deponiert.
»Schau dir das an«, bestaunt Nick ihr Werk, als er den letzten Korper auf den Boden an der ostlichen Seite