des Flachdachs legt, der mit Teerpappe abgedichtet ist. Der Wind fahrt ihm in die Haare und lasst seine Jeans flattern. Die Uberreste sind wie gespaltenes Holz fur den Kachelofen aufgereiht. Brian steht am anderen Ende und mustert einen Toten nach dem anderen mit einer merkwurdig unerbittlichen Miene.
»Cool«, sagt Philip und geht zum Rand des Flachdachs.
Das Gebaude ist so hoch, dass er die entfernten Bauten des exklusiven Stadtteils Buckhead, Peachtree Plaza und eine Reihe von glasernen Wolkenkratzern im Westen sehen kann. Die Turme der Stadt ragen weit in den Himmel hinauf, seltsam teilnahmslos und stoisch dem Sonnenlicht trotzend, unberuhrt von der Apokalypse. Unten auf den Stra?en erkennt Philip die umherwandernden Zombies, die wie kaputte Spielzeugsoldaten dahinstolpern.
»Kein schlechter Blick. Uberhaupt ganz nett hier«, sagt er, dreht sich um und inspiziert das ubrige Dach. Es ist ein mit Kies gefulltes Areal, auf dem sich die Antennen, Satellitenschusseln, Schornsteine und Luftschachte fur die Klimaanlagen befinden und das gro? genug ist, um eine Runde Touch-Football spielen zu konnen. Vergessene Gartenmobel lehnen an einem Entluftungsschacht. »Schnappen wir uns einen Stuhl und machen eine Pause.«
Jeder nimmt einen Liegestuhl, dann machen sie es sich am Rand des Daches bequem.
»Ich konnte mich glatt daran gewohnen«, sagt Nick und blickt auf die Skyline.
Philip sitzt neben ihm. »Meinst du das Dach oder uberhaupt an hier?«
»An alles.«
»Verstehe.«
»Wie schafft ihr das nur?«, fragt Brian, der hinter ihnen steht und noch immer dagegen ankampft, nicht die Nerven zu verlieren. Er will sich nicht setzen, sich nicht entspannen. Seine Begegnung mit dem aufgespie?ten Kopf lasst ihn nicht zur Ruhe kommen.
»Was?«, will Philip wissen.
»Ich wei? nicht, das ganze Toten und so. Und im nachsten Augenblick tut ihr so, als ob …«
Brian halt mitten im Satz inne, unfahig, seine Gefuhle in Worte zu fassen. Philip dreht sich um und starrt seinen Bruder an. »Setz dich, Bri. Du hast dich da unten tapfer geschlagen.«
Brian zieht einen Stuhl heran, setzt sich und spielt mit seinen Handen. Offensichtlich ist er mit sich selbst am Kampfen. »Ich meine ja nur …«
Aber er schafft es nicht, sich weiter zu artikulieren, und bricht erneut ab.
»Das hat nichts mit Toten zu tun, Junge«, beginnt Philip. »Sobald du das verstanden hast, wird es dir garantiert besser gehen.«
»Was ist es sonst?«
Philip zuckt mit den Schultern. »Nick, wie wurdest du es nennen?«
Nickt starrt immer noch auf die imposante Skyline. »Gottes Arbeit?«
Laut auflachend sagt Philip: »Ich habe eine Idee.«
Er steht auf und geht zu einem Leichnam; es handelt sich um einen kleineren Zombie.
»Sieh dir das an«, sagt er und zerrt die Uberreste an den Rand des Daches.
Nick und Brian stehen auf und stellen sich neben ihn. Der stinkende Wind weht ihnen entgegen, als sie zehn Meter hinunter in die Tiefe blicken.
Philip sto?t mit einem Fu? gegen die Leiche – oder ist es ein Kadaver? Keiner wei? es so genau –, bis er hinunterfallt.
Der Tote scheint in Zeitlupe zu sturzen. Seine schlaffen Gliedma?en flattern wie gebrochene Flugel, ehe er auf dem Burgersteig direkt vor ihrem Gebaude aufkommt. Der Aufprall zerfetzt den Korper wie eine uberreife Wassermelone, und er explodiert in einem pinkfarbenen Regen aus Gedarmen, Gewebe und Blut.
Im Schlafzimmer im Parterre sitzt David Chalmers in seinem Unterhemd und Boxershorts und saugt an einem Inhalator, um genugend Ipratropiumbromid in seine Lunge zu befordern, damit er nicht mehr so keuchen muss. Plotzlich vernimmt er Gerausche, die hinter den verbarrikadierten Glasturen herzukommen scheinen.
Sofort richten sich seine Nackenhaare auf. Er greift rasch nach seinen Klamotten und dem Atemschlauch, den er aber nur halb befestigen kann, sodass er ihm uber den Mund herabhangt.
Er sturmt so schnell aus dem Zimmer, wie ihn seine abgenutzten Knie tragen, und erspaht im Augenwinkel seine zwei Tochter und Penny, wie sie angsterfullt auf der Schwelle zur Kuche stehen. April und Tara wollten mit dem kleinen Madchen Kekse backen – sie hatten die letzten Reste Mehl und Zucker zusammengesucht –, aber jetzt stehen die drei da und starren in Richtung der Gerauschquelle.
David humpelt zu den Schiebeturen hinuber, die mit Gitterstaben, Sicherheitsglas und Brettern vor Eindringlingen geschutzt sind.
Er findet einen schmalen Spalt in den Sperrholzbrettern und kann durch die Aste skelettartiger Baume gerade noch die andere Seite des Innenhofs und ein Stuck der dahinterliegenden Stra?e ausmachen, die parallel zur Gebaudefront verlauft.
Eine Leiche regnet vom Himmel herab, als ob sie von Gott hochstpersonlich heruntergeworfen worden ware. Als sie aufkommt, macht sie ein feuchtes, schmatzendes Gerausch, das wie ein zerberstender Wasserballon klingt. Aber das ist nicht der Grund, warum David Chalmers so au?er sich ist. Das sind nicht die Gerausche, die in der kleinen Wohnung hin und her hallen und in Wellen wie eine ferne Symphonie erklingen.
»Ach du lieber Gott«, murmelt er keuchend und dreht sich so schnell um, dass er beinahe uber das Metallgestell fallt, das er immer mit sich tragt.
Dann zieht er es so rasch wie moglich hinter sich her zur Tur.
Auf dem Dach machen Philip und Nick eine kleine Pause, nachdem der funfte Zombie uber die Kante gegangen ist.
Vor Anstrengung nach Luft schnappend und mit einem morbiden Sinn von Humor meint Philip: »Die platzen so richtig gut, findest du nicht?«
Nick versucht erfolglos, nicht zu lachen. »Mann, das ist zwar krank, aber irgendwie fuhlt es sich gut an.«
»Wo du recht hast, hast du recht.«
»Und was soll das?«, mischt sich Brian ein, der hinter den beiden steht.
»Was soll das, was soll das! Genau das ist es ja – es soll rein gar nichts.«
»Ist das irgendwie Zen?«
»Es ist, was es ist.«
»Ich kapiere uberhaupt nichts mehr. Ich meine, ich verstehe nicht, was ihr damit erreichen wollt, indem ihr diese Toten vom Dach feuert.«
Philip dreht sich zu seinem Bruder um und wirft ihm einen prufenden Blick zu. »Mach dich locker, Junge. Du hast heute deine erste Trophae geschossen. Es war zwar nicht schon, aber es hat geklappt. Wir lassen nur ein bisschen Dampf ab.«
Nick sieht etwas in der Ferne, das ihm bisher noch nicht aufgefallen ist. »He, schau dir das mal an …«
»Ich meine ja nur«, unterbricht ihn Brian. »Wir mussen einen kuhlen Kopf bewahren.« Er hat die Hande in den Hosentaschen und spielt nervos mit seinem Taschenmesser und ein paar Munzen. »April und ihre Familie sind nett, Philip. Wir sollten uns dementsprechend benehmen.«
»Ja, Mom«, antwortet Philip mit einem kalten Lacheln.
»He, ihr beiden. Seht mal – das Gebaude da unten an der Ecke.«
Nick zeigt auf ein gro?es, hassliches Backsteinhaus an der nordostlichen Ecke der nachsten Kreuzung. Die Ecken sind schwarz von den Abgasen der Stadt, aber man kann noch die verblassten Buchstaben uber den Schaufenstern ausmachen: DILLARD’S HOME FURNISHINGS.
Philip sieht Nick fragend an. »Und?«
»Die vordere Ecke – da ist so ein Fu?gangerding.«
»Ein was?«
»So ein Laufgang, siehst du ihn nicht? Eine uberdachte Brucke!«
Jetzt hat auch Philip sie entdeckt. Eine verschmutzte, glasverkleidete Brucke, die das schrag gegenuberliegende Burogebaude mit Dillard’s erstem Stock verbindet. Die uberdachte Brucke hat an beiden Enden Turen und ist menschenleer. »Was hast du vor?«
»Wei? auch nicht.« Nick starrt auf die Fu?gangerbrucke und uberlegt. »Vielleicht …«
»Gentlemen!«, ertont die rauchige Stimme des alten Mannes auf einmal hinter ihnen.
Brian dreht sich um und sieht David Chalmers, der sich aus der Dachluke zwangt und hinkend auf sie