magnesiumhellen Blitzen und roher Energie in sie, fullt sie aus und verwandelt sie, bis sie unter ihm erschlafft und es still wird.
Die sanfte wei?e Explosion der Lust startet wie eine Rakete in Philip.
Er rutscht von April auf den Boden neben ihr und starrt eine Weile in den Regen, der auf das Dach prasselt. Fur einen Moment ist er sich der untoten Seelen zehn Meter unter ihm nicht mehr bewusst, die von dem stroboskopartigen Licht wie Monster in einem Stummfilm erhellt werden.
Philip versteht Aprils Schweigen als ein Zeichen, dass vielleicht mit viel Gluck alles okay ist. Als der Sturm zu einem stetigen Dauerregen abgeklungen ist – das Drohnen erfullt noch immer die uberdachte Brucke –, ziehen sich die beiden wieder an und bleiben lange Seite an Seite liegen. Sie starren auf die Tropfen, die auf das durchsichtige Dach niederprasseln, ohne ein Wort miteinander zu wechseln.
Philip ist in einem Schockzustand. Sein Herz rast, die Haut ist feucht und kalt. Er kommt sich wie ein zerbrochener Spiegel vor – als ob eine Scherbe seiner Seele abgebrochen ware und sich darin ein Monster widerspiegelt. Was hat er getan? Er wei?, dass er etwas falsch gemacht hat, aber es fuhlt sich beinahe so an, als ob es jemand anderes gewesen ware.
»Ich habe mich da etwas mitrei?en lassen«, sagt er endlich nach Minuten furchterlicher Stille.
Sie antwortet nicht. Er wirft ihr einen heimlichen Blick zu und beobachtet ihr Gesicht in der Dunkelheit. Die flussigen Schatten des Regens spiegeln sich auf ihrer Haut. Sie sieht aus, als ob sie kaum bei Bewusstsein ware, als ob sie einen Wachtraum durchleben wurde.
»Es tut mir leid«, meint er kurz darauf, aber die Worte klingen hohl. Er sieht sie erneut an und versucht ihre Stimmung einzuschatzen. »Alles okay?«
»Ja.«
»Sicher?«
»Ja.«
Ihre Stimme klingt mechanisch, ohne Farbe und kaum horbar uber dem Getose des Regens. Philip offnet erneut den Mund, halt dann aber inne, als ihm unterschiedliche Gedanken durch den Kopf schie?en. Plotzlich donnert und rumpelt es so heftig, dass die Fu?gangerbrucke zu wanken und zu wackeln beginnt. Philip zuckt zusammen.
»April?«
»Ja?«
»Wir sollten uns auf den Ruckweg machen.«
Der Heimweg erfolgt schweigend. Philip folgt April durch die menschenleere Eingangshalle, die Treppe hinauf und dann durch die langen, zugemullten Korridore. Ab und zu zieht er in Erwagung, etwas zu sagen, doch er entscheidet sich jedes Mal dagegen. Jetzt ist es sowieso schon zu spat, noch etwas zu tun. Sie wird zu ihrem eigenen Schluss kommen. Wenn er jetzt das Wort an sie richtet, macht er es vielleicht nur noch schlimmer. April lauft vor ihm den Korridor entlang, das Gewehr auf der Schulter. Sie gleicht einem Soldaten, der von einer anstrengenden Patrouille zuruckkehrt. Sie befinden sich jetzt im obersten Stockwerk und stehen vor dem offenen Fenster. Der Wind peitscht den Regen durch die mit Scherben eingerahmte Offnung. Sie reden nur das Notigste. »Du zuerst« oder »Pass auf«, wahrend Philip ihr hilft, auf die Feuerleiter zu gelangen. Der Sturm zusammen mit dem starken Regen pfeift ihnen um die Ohren, als sie sich auf den Weg uber den wackeligen Laufsteg machen. Philip gefallt es beinahe. Er muss sich vorsehen. Das Unwetter weckt ihn auf und lasst ihn hoffen, dass er vielleicht doch alles wiedergutmachen kann, was er dieser Frau an diesem Abend angetan hat.
Als sie wieder vor der Wohnungstur stehen – beide bis auf die Haut durchnasst, erschopft und benommen –, ist Philip fast guten Mutes.
Brian ist zusammen mit Penny in Philips Zimmer und bringt sie gerade ins Bett, wahrend Nick im Wohnzimmer an seiner Karte der Sicherheitszonen arbeitet. »He, wie war es?«, fragt er und blickt von seinen Papieren auf. »Ihr seht ja wie begossene Pudel aus. Habt ihr einen Baumarkt oder so etwas Ahnliches gefunden?«
»Nein, leider nicht«, antwortet Philip und geht zu seinem Zimmer. Davor bleibt er stehen, um sich die Schuhe auszuziehen.
April sagt kein Wort und meidet Nicks fragenden Blick, als sie in den Flur tritt.
»Schaut euch beide an«, meint Tara, die mit grimmiger Miene aus der Kuche kommt, eine Zigarette im Mundwinkel. »Genau, wie ich es mir gedacht habe – ein total fruchtloses Unterfangen!«
Sie steht da, die Hande in die Huften gestemmt. April verschwindet in ihrem Zimmer am Ende des Flurs, ohne auf Taras Worte zu reagieren. Tara wirft Philip einen fragenden Blick zu und geht dann ihrer Schwester hinterher.
»Ich lege mich schlafen«, verkundet Philip halb an Nick und halb an sich selber gerichtet und geht in sein Zimmer.
Am nachsten Morgen wacht Philip vor Sonnenaufgang auf. Der Regen prasselt noch immer gegen die Scheiben, und sein Zimmer ist kalt und dunkel. Es stinkt nach Schimmel. Er setzt sich auf die Bettkante und starrt unendlich lange auf Penny, die zusammengerollt in ihrem Bett schlummert. Nicht ganz klare Erinnerungen an einen Traum hallen in seinem benebelten Kopf nach – genauso wie die erschreckende Erkenntnis, dass er keine Ahnung hat, wann die Albtraume angefangen und der Vorfall mit April am vorigen Abend aufgehort haben.
Wenn er doch nur alles getraumt hatte, was gestern auf der Fu?brucke vorgefallen ist! Aber die gnadenlose Gewissheit der Realitat holt ihn in dem dunklen Zimmer in Gestalt von ein paar Erinnerungen ein. Es ist, als ob er jemand anderem bei der Tat zuschauen wurde. Philip lasst den Kopf hangen und versucht, die Schuldgefuhle und die Angst zu verdrangen.
Er fahrt sich mit den Fingern durchs Haar und redet sich ein, dass er eigentlich voller Hoffnung sein sollte. April und er konnen das schon verarbeiten, einen Weg finden, es hinter sich zu lassen. Er muss sich entschuldigen und alles wiedergutmachen.
Er betrachtet Penny, wie sie schlaft.
In den zweieinhalb Wochen, die Philip und seine Bande jetzt schon bei den Chalmers verbracht haben, ist Penny aus ihrem Schneckenhaus gekommen. Zu Anfang waren es noch kleine Dinge, die ihm auffielen: Penny freute sich immer darauf, das schreckliche Essen zu kochen. Ihre Miene hellte sich auf, wenn April das Zimmer betrat. Mit jedem Tag wurde das Kind gesprachiger und offener, es hat sich sogar an Erlebnisse vor der Plage erinnert, ein paar Worte uber das Wetter verloren und Fragen zur »Krankheit« gestellt: »Konnen Tiere angesteckt werden? Hort es irgendwann wieder auf? Ist Gott wutend auf uns?«
Philips Brust schmerzt, als er das schlafende Kind betrachtet. Es muss einen Weg geben, seiner Tochter ein gutes Leben zu bieten, eine Familie zu grunden, ein Heim einzurichten – sogar inmitten dieses Albtraums … Es muss doch einfach einen Weg geben.
Fur einen kurzen Augenblick ertraumt sich Philip eine kleine Insel mit einer Hutte und Kokospalmen. Die Plage ist eine Million Lichtjahre entfernt. Er stellt sich April und Penny vor, wie sie vor dem Gemusegarten zusammen mit der Schaukel spielen. Er sitzt auf der Veranda, braungebrannt und gesund, und schaut den beiden glucklich zu. In dieser Vision fuhrt er ein zufriedenes Leben.
Er steht auf und geht zu Penny hinuber, kniet sich hin und legt eine Hand auf ihre daunenweichen Haare. Sie muss sich endlich einmal duschen, denn ihre Haare sind verfilzt und fettig, und ihr kindlicher Schwei? steigt ihm in die Nase. Der Geruch beruhrt ihn im Tiefsten seiner Seele. Seine Augen fullen sich mit Tranen. Er hat noch nie jemanden mehr geliebt als sein Kind. Selbst Sarah, die er vergottert hat, belegte den zweiten Platz. Seine Liebe fur Sarah – wie bei den meisten Ehepaaren – war kompliziert, an diverse Bedingungen geknupft und unterlag Schwankungen. Aber als er vor siebeneinhalb Jahren das erste Mal sein kleines Baby sah, als es noch ganz blutig war, verstand er, was wahre Liebe hei?t.
Es hei?t, Angst zu haben. Es hei?t, fur den Rest des Lebens verletzlich zu sein.
Irgendetwas rei?t ihn aus den Gedanken. Seine Tur steht offen. Er erinnert sich daran, dass er sie gestern Abend geschlossen hat. Das wei? er genau. Jetzt aber steht sie zwanzig Zentimeter offen.
Zuerst achtet er kaum darauf. Er macht sich keine Gedanken. Schlie?lich ist es moglich, dass er sie aus Versehen nicht richtig zumachte, sodass sie von allein wieder aufging. Oder vielleicht stand er in der Nacht zum Pinkeln auf und verga?, sie wieder zu schlie?en. Oder Penny musste mal und lie? sie dann offen. Verdammt, vielleicht ist er ja sogar ein Schlafwandler und wei? es nicht! Doch dann, als er sich wieder umdreht, um seiner Tochter erneut beim Schlafen zuzusehen, bemerkt er noch etwas.
Es fehlen einige Dinge aus seinem Zimmer.