Jackchen, gestrickt aus rosa und hellblauer Wolle, mit Schleifen und Seide geschmuckt. Eins war noch nicht fertig; ein paar Stricknadeln steckten noch drin. Ein Knauel weiches, blaues Wollgarn ?el heraus und rollte lautlos uber den Boden.
»Geben Sie her!« Ruth warf das blutige Handtuch weg. Kern gab ihr die Windeln und die Tucher. Dann horte er Schritte auf der Treppe. Gleich darauf ging die Tur auf, und Marill kam mit einem Arzt herein.
»Ja, was ist denn da… verdammt!«
Der Arzt machte einen langen Schritt, schob Ruth Holland beiseite und beugte sich uber die Frau. Nach einiger Zeit wandte er sich um zu Marill. »Rufen Sie sofort Nummer 2167 an. Braun soll eiligst kommen und alles mitbringen fur Narkose, Braxton-Hicks-Operation. Verstanden? Au?erdem alles fur schwere Blutungen.«
»Gut.«
Der Arzt sah sich um. »Sie konnen gehen!« sagte er zu Kern. »Das Fraulein bleibt hier. Holen Sie Wasser. Geben Sie mir meine Tasche.«
Der zweite Arzt kam zehn Minuten spater. Mit Hilfe Kerns und einiger anderer Leute, die inzwischen gekommen waren, wurde der Raum neben dem Zimmer, wo die Frau lag, in ein Operationszimmer verwandelt. Die Betten wurden beiseite geschoben, Tische herangeruckt und die Instrumente vorbereitet. Der Wirt holte die starksten Birnen, die er hatte, und schraubte sie in die Lampen ein.
»Los, Los!«
Der erste Arzt tobte vor Ungeduld. Er ri? seinen wei?en Mantel uber und lie? sich ihn von Ruth Holland zuknopfen. »Nehmen Sie sich auch so was!« Er warf ihr einen Mantel zu. »Wir brauchen Sie vielleicht hier. Konnen Sie Blut sehen? Wird Ihnen schlecht?«
»Nein«, sagte Ruth.
»Gut! Brav!«
»Vielleicht kann ich auch was tun«, sagte Kern. »Ich habe zwei Semester Medizin.«
»Vorlau?g nicht.« Der Arzt sah nach den Instrumenten. »Konnen wir anfangen?«
Das Licht spiegelte sich in seiner Glatze. Die Tur wurde ausgehangt. Vier Manner trugen das Bett mit der leise wimmernden Frau uber den Korridor herein. Die Frau hatte die Augen weit offen. Ihre farblosen Lippen bebten.
»Los! Anfassen!« schnauzte der Arzt. »Hochheben! Vorsichtig, ver?ucht noch mal!«
Die Frau war schwer. Kern standen die Schwei?tropfen auf der Stirn. Sein Blick begegnete dem Ruths. Sie war bla?, aber ruhig und so verandert, da? er sie kaum wiedererkannte. Sie gehorte zu der blutenden Frau.
»So! ’raus alles, was nichts hier zu tun hat!« schnauzte der Arzt mit der Glatze. Er nahm die Hand der Frau. »Es tut nicht weh. Es ist ganz leicht.« Er hatte plotzlich die Stimme einer Mutter.
»Das Kind soll leben«, ?usterte die Frau.
»Beide, beide…«, erwiderte der Arzt sanft.
»Das Kind…«
»Wir drehen es nur ein bi?chen um, aus der Schulterlage heraus. Dann kommt es wie der Blitz. Nur ruhig, ganz ruhig. Narkose!«
KERN STAND MIT Marill und ein paar anderen Leuten in dem verlassenen Zimmer der Frau. Sie warteten darauf, da? sie wieder gebraucht wurden. Von nebenan klang gedampft das Murmeln der Arzte. Auf dem Boden verstreut lagen die rosa und blauen gestrickten Jackchen.
»Eine Geburt«, sagte Marill zu Kern. »So ist das, wenn man auf die Welt kommt… Blut, Blut und Schreie! Verstehen Sie, Kern?«
»Ja.«
»Nein«, sagte Marill. »Sie nicht und ich nicht! Eine Frau, nur eine Frau! Fuhlen Sie sich nicht wie ein Schwein?«
»Nein«, erwiderte Kern.
»So? Aber ich!« Marill wischte sich die Brille ab und betrachtete Kern. »Haben Sie schon mit einer Frau geschlafen? Nein! Sonst wurden Sie sich auch wie ein Schwein fuhlen. Gibt’s hier irgendwo eine Moglichkeit fur einen Schnaps?«
Der Kellner trat aus dem Hintergrund des Zimmers hervor. »Bringen Sie eine halbe Flasche Kognak!« sagte Marill. »Jaja, ich habe Geld dafur! Bringen Sie nur!«
Der Kellner verschwand. Mit ihm der Wirt und zwei andere Gestalten. Die beiden blieben allein. »Setzen wir uns ans Fenster«, sagte Marill. Er zeigte auf das Abendrot. »Schon, was?«
Kern nickte.
»Ja«, sagte Marill,»alles nebeneinander. Ist das Flieder, da unten im Garten?«
»Ja.«
»Flieder und Ather. Blut und Kognak. Na, prost!«
»Ich habe vier Glaser gebracht, Herr Marill«, sagte der Kellner und stellte das Tablett auf den Tisch. »Ich dachte, vielleicht…« Er wies mit dem Kopf nach nebenan.
»Gut.«
Marill schenkte zwei Glaser voll. »Trinken Sie, Kern?«
»Wenig.«
»Ein judisches Laster, Abstinenz. Dafur verstehen sie mehr von Frauen. Aber Frauen wollen gar nicht verstanden sein. Prost!«
»Prost!«
Kern trank sein Glas leer. Er fuhlte sich besser danach. »Ist das nur eine Fruhgeburt?« fragte er. »Oder noch mehr?«
»Ja. Vier Wochen zu fruh. Uberanstrengt. Deshalb: Reisen, Umsteigen, Aufregung, ’rumlaufen und so was, verstehen Sie? Sollte eine Frau nicht machen in dem Zustand.«
»Und warum?«
Marill schenkte neu ein. »Warum…« sagte er. »Weil sie wollte, da? ihr Kind Tscheche wurde. Weil sie nicht wollte, da? man es in der Schule schon anspucken und Dreckjude schimpfen sollte.«
»Ich verstehe«, sagte Kern. »Ist der Mann nicht mit ’rausgekommen?«
»Den Mann hat man vor ein paar Jahren eingelocht. Warum? Weil er ein Geschaft hatte und tuchtiger und ?ei?iger war als sein Konkurrent an der nachsten Ecke. Was macht man dann als Konkurrent? Man geht hin und zeigt den Flei?igen an – staatsverraterische Reden, geschimpft, oder kommunistische Ideen. Irgendwas. Darauf wird er eingelocht – und man ubernimmt die Kunden. Kapiert?«
»Das kenne ich«, sagte Kern.
Marill trank sein Glas aus. »Ein rauhes Zeitalter. Der Frieden wird mit Kanonen und Bombenflugzeugen stabilisiert, die Menschlichkeit mit Konzentrationslagern und Pogromen. Wir leben in einer Umkehrung aller Werte, Kern. Der Angreifer ist heute der Huter des Friedens, der Verprugelte und Gehetzte der Storenfried der Welt. Und es gibt ganze Volkerstamme, die das glauben!«
Eine halbe Stunde spater horten sie ein dunnes, quakendes Schreien von nebenan.
»Verdammt!« sagte Marill. »Sie haben es geschafft! Ein Tscheche mehr auf der Welt! Darauf wollen wir einen heben! Los, Kern! Auf das gro?e Mysterium der Welt! Die Geburt! Wissen Sie, warum es ein Mysterium ist? Weil man hinterher wieder stirbt. Prost.«
Die Tur offnete sich. Der zweite Arzt kam herein. Er war blutbespritzt und schwitzte. In den Handen hielt er ein krebsrotes Etwas, das quakte und dem er auf den Rucken patschte.
»Es lebt!« knurrte er. »Gibt’s hier irgendwas…« er griff nach einem Pack Tucher…»na, zur Not… Fraulein!«
Er ubergab Ruth das Kind und die Tucher. »Baden und einwikkeln – nicht zu fest – die Alte drinnen wei? Bescheid, die Wirtin – aber ’raus aus dem Ather, lassen Sie es im Badezimmer…«
Ruth nahm das Kind. Ihre Augen schienen Kern doppelt so gro? wie sonst. Der Arzt setzte sich an den Tisch. »Gibt’s hier Kognak?«
Marill go? ihm ein Glas ein. »Wie ist einem Arzt eigentlich zumute«, fragte er,»wenn er sieht, da? taglich neue Bomben?ugzeuge und Kanonen gebaut werden, aber keine Hospitaler? Die einen sind doch nur dazu da, um die andern zu fullen.«
Der Arzt schaute auf. »Beschissen«, sagte er,»beschissen! Schone Aufgabe: man ?ickt sie mit der gro?ten