»Soll ich hingehen und ihn fragen, was er von uns will?«

»Nein!« Ruth legte erschreckt die Hand auf Kerns Arm.

Die Koteletts kamen. Sie waren knusprig und zart, und es gab frischen grunen Salat dazu. Trotzdem schmeckte es beiden nicht so, wie sie erwartet hatten. Sie waren zu unruhig.

»Er kann nicht unsertwegen hier sein«, sagte Kern. »Niemand wu?te, da? wir hierher gehen wurden.«

»Das nicht«, erwiderte Ruth. »Vielleicht war er zufallig hier. Aber er beobachtet uns, das sieht man…«

Der Kellner trug die Schusseln ab. Kern blickte mi?mutig hinterher. Er hatte Ruth eine Freude damit machen wollen, und nun hatte die Angst vor dem Kerl mit dem Monokel alles verdorben. Argerlich stand er auf; er hatte einen Entschlu? gefa?t. »Einen Augenblick, Ruth…«

»Was willst du tun?« fragte sie angstvoll. »Bleib hier!«

»Nein, nein, nichts mit dem da druben. Ich will nur einmal den Wirt sprechen.«

Er hatte zur Vorsicht, als sie fortgingen, zwei kleine Flaschen Parfum eingesteckt. Jetzt wollte er versuchen, eine davon gegen zwei Kasekuchen beim Wirt umzutauschen. Sie waren zwar bedeutend mehr wert, aber das war ihm gleich. Nach den mi?gluckten Koteletts sollte Ruth wenigstens den Nachtisch haben, den sie liebte. Vielleicht konnte er auch noch einen Kaffee dazu einhandeln.

Er ging hinaus und machte dem Wirt seinen Vorschlag. Der lief sofort rot an. »Aha, Zechpreller! Fressen und dann nicht bezahlen konnen! Nee, mein Lieber, da gibt’s nur eins: Polizei!«

»Ich kann bezahlen, was ich verzehrt habe!« Kern hieb argerlich sein Geld auf den Tisch.

»Zahlen Sie es nach«, sagte der Wirt zum Kellner. »Stecken Sie Ihr Gepansche ein«, schnaubte er dann Kern an. »Was wollen Sie uberhaupt? Sind Sie ein Gast oder ein Hausierer?«

»Vorlau?g bin ich ein Gast«, erklarte Kern wutend. »Und Sie sind…«

»Einen Augenblick!« sagte eine Stimme hinter ihm.

Kern fuhr herum. Der Fremde mit dem Monokel stand direkt hinter ihm. »Kann ich Sie einmal etwas fragen?«

Der Mann ging ein paar Schritte von der Theke weg. Kern folgte ihm. Sein Herz klopfte plotzlich wie rasend. »Sie sind deutsche Emigranten, nicht wahr?« fragte der Mann.

Kern starrte ihn an. »Was geht Sie das an!«

»Nichts«, erwiderte der Mann ruhig. »Ich habe nur gehort, woruber Sie eben verhandelten. Wollen Sie mir die Flasche verkaufen?«

Kern glaubte jetzt zu wissen, worauf der Mann hinauswollte. Wenn er ihm die Flasche verkaufte, hatte er sich unerlaubten Handels schuldig gemacht und konnte sofort verhaftet und ausgewiesen werden.

»Nein«, sagte er.

»Warum nicht?«

»Ich habe nichts zu verkaufen. Ich treibe keinen Handel.«

»Dann lassen Sie uns tauschen. Ich gebe Ihnen das dafur, was der Wirt nicht geben will: den Kuchen und den Kaffee.«

»Ich verstehe uberhaupt nicht, was Sie wollen«, sagte Kern.

Der Mann lachelte. »Und ich verstehe, da? Sie mi?trauisch sind. Horen Sie zu. Ich bin aus Berlin und fahre in einer Stunde wieder dahin zuruck. Sie konnen nicht zuruck…«

»Nein«, sagte Kern.

Der Mann sah ihn an. »Das ist der Grund, weshalb ich hier stehe. Und weshalb ich Ihnen gern mit dieser Kleinigkeit helfen mochte. Ich war Kompaniefuhrer im Kriege. Einer meiner besten Leute war ein Jude. Wollen Sie mir nun die kleine Flasche geben?«

Kern reichte sie ihm. »Entschuldigen Sie«, sagte er. »Ich habe etwas ganz anderes von Ihnen gedacht.«

»Das kann ich mir vorstellen.« Der Mann lachte. »Und nun lassen Sie das junge Fraulein nicht langer allein. Es hat sicher schon Angst. Ich wunsche Ihnen beiden alles Gute!« Er gab Kern die Hand.

»Danke. Danke vielmals.«

Kern ging verwirrt zuruck. »Ruth«, sagte er,»entweder ist Weihnachten, oder ich bin verruckt.«

Gleich darauf erschien der Kellner. Er trug ein Tablett mit Kaffee und einen silbernen Stander mit Kuchen, drei Etagen ubereinander.

»Was ist denn das?« fragte Ruth erstaunt.

»Das sind die Wunder von Kerns Farr-Parfum!«

Kern strahlte und schenkte den Kaffee ein. »Wir haben jeder das Recht auf ein beliebiges’ Stuck Kuchen. Was mochtest du haben, Ruth?«

»Ein Stuck Kasekuchen.«

»Hier hast du ein Stuck Kasekuchen. Ich nehme einen Mohrenkopf.«

»Soll ich Ihnen den Rest einpacken?« fragte der Kellner.

»Welchen Rest? Wieso?«

Der Kellner machte eine Handbewegung uber die drei Etagen. »Das ist doch alles fur Sie bestellt!«

Kern sah ihn erstaunt an. »Alles fur uns? Wo ist denn… kommt der Herr denn nicht…«

»Der ist langst weggegangen. Alles schon erledigt. Also…«

»Halt«, sagte Kern eilig,»halt um Himmels willen! Ruth, noch eine Cremeschnitte? Ein Schweinsohr? Oder ein Stuck Streuselkuchen?«

Er packte ihr den Teller voll und nahm sich selbst auch noch ein paar Stucke. »So«, sagte er dann aufatmend,»den Rest packen Sie bitte in zwei Pakete. Eins bekommst du mit, Ruth. Wie herrlich, einmal fur dich sorgen zu konnen!«

»Der Champagner ist schon kalt gestellt«, erwiderte der Kellner und ergriff das silberne Meisterwerk.

»Champagner! Ein guter Witz!« Kern lachte.

»Kein Witz.« Der Kellner zeigte zur Tur. Dort erschien der Wirt personlich und trug einen mit Eis gefullten Kubel vor sich her, aus dem der Hals einer Champagner?asche ragte.

»Nichts fur ungut«, grinste er su?lich. »War naturlich nur ein Scherz, vorhin…«

Kern lehnte sich mit aufgerissenen Augen zuruck.

Der Kellner nickte. »Alles schon bezahlt.«

»Ich traume«, sagte Kern und strich sich uber die Augen. »Hast du jemals Champagner getrunken, Ruth?«

»Nein. Das habe ich bis jetzt nur im Film gesehen.«

Kern fa?te sich muhsam. »Herr Wirt«, sagte er mit Wurde,»Sie sehen, welch vorteilhaften Tausch ich Ihnen vorgeschlagen habe. Eine Flasche des weltberuhmten Kern-Farr gegen zwei lacherliche Kasekuchen! Hier sehen Sie, was Kenner dafur geben!«

»Man kann nicht alles wissen«, erklarte der Wirt. »Ich verstehe mehr von Getranken.«

»Ruth«, sagte Kern,»von heute an glaube ich an Wunder. Wenn jetzt hier durchs Fenster eine wei?e Taube herein?oge, im Schnabel zwei gultige Passe fur uns auf funf Jahre oder eine unbegrenzte Arbeitserlaubnis – es wurde mich nicht erstaunen!«

Sie tranken die Flasche leer. Es ware ihnen als Sunde erschienen, wenn sie einen Tropfen dringelassen hatten. Es schmeckte ihnen nicht einmal so besonders; aber sie tranken und wurden immer heiterer und waren zum Schlu? beide ein wenig betrunken.

Sie brachen auf. Kern nahm die Kuchenpakete und wollte die Koteletts bezahlen. Aber der Kellner wehrte ab. »Alles schon erledigt…«

»Ruth«, sagte Kern mit etwas stockender Stimme,»das Leben uberwaltigt uns. Noch ein solcher Tag, und ich werde zum Romantiker.«

Der Wirt hielt sie auf. »Haben Sie noch was von dem Parfum? Ich dachte, fur meine Frau…«

Kern wurde wieder wach. »Zufallig habe ich noch eine da. Die letzte.« Er zog die zweite Flasche aus der Tasche. »Aber nicht mehr wie vorhin, mein Lieber. Die Gelegenheit haben Sie verpa?t! Zwanzig Kronen!« Er hielt den Atem an. »Weil Sie es sind!«

Der Wirt rechnete blitzschnell. Drei?ig Kronen hatte er dem Rittmeister bei dem Champagner und dem Kuchen zuviel gerechnet. Blieben also noch zehn Kronen Uberverdienst. »Funfzehn«, bot er.

»Zwanzig.« Kern machte Miene, die Flasche wieder einzustekken.

»Also gut.« Der Wirt holte einen zerknitterten Schein aus der Tasche. Er beschlo?, seiner Geliebten, der strammen Barbara, zu sagen, die Flasche hatte funfzig gekostet. Er konnte so einen Hut fur sie sparen, den sie seit

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