Wochen verlangte, und der achtundvierzig Kronen kosten sollte. Ein doppeltes Geschaft.
Kern und Ruth gingen zum Hotel. Sie holten Ruths Koffer und gingen dann zum Bahnhof.
Ruth war still geworden. »Sei nicht traurig«, sagte Kern. »Ich komme bald nach. In einer Woche spatestens mu? ich hier hinaus. Ich kenne das. Dann komme ich nach Wien. Willst du, da? ich nach Wien komme?«
»Ja, komm! Aber nur, wenn es richtig fur dich ist.«
»Warum sagst du nicht einfach: ›Ja, komm‹?«
Sie sah ihn etwas schuldbewu?t an. »Ist das andere nicht mehr?«
»Ich wei? nicht. Es klingt vorsichtiger.«
»Ja«, erwiderte sie, plotzlich traurig,»vorsichtiger, das ist es.«
»Sei doch nicht traurig«, sagte Kern. »Vorhin warst du noch so froh!«
Sie blickte hil?os zu ihm auf. »Hor nicht auf mich«, murmelte sie. »Manchmal bin ich ganz durcheinander. Vielleicht ist es der Wein. Denk, es ware der Wein. Komm, wir haben noch ein paar Minuten Zeit.«
Sie setzten sich auf eine Bank in den Anlagen. Kern legte den Arm um ihre Schultern. »Sei doch froh, Ruth. Das andere nutzt ja nichts. Das klingt dumm, aber fur uns ist es nicht dumm. Wir haben unser bi?chen Frohlichkeit bitter notig. Gerade wir.«
Sie starrte vor sich hin. »Ich mochte ja froh sein, Ludwig. Aber ich bin so schwer. Ich mochte so gern leicht sein. Ich mochte alles gut machen. Aber es ist immer ungeschickt und schwer.« Sie stie? die Worte zornig hervor, und Kern sah plotzlich, da? ihr Gesicht uberstromt war von Tranen. Sie weinte ohne Laut, zornig und hil?os. »Ich wei? nicht, weshalb ich weine«, sagte sie,»ich habe doch gerade jetzt so wenig Grund. Aber vielleicht weine ich deshalb. Sieh nicht hin… sieh mich nicht an…«
»Doch«, erwiderte Kern. – Sie beugte ihr Gesicht vor und legte ihm ihre Hande auf die Schulter. Er zog sie an sich, und sie ku?te ihn – blind, mit geschlossenen Augen und hartem, geschlossenem Mund, wild und zornig, als stie?e sie ihn weg.
»Ach…« Sie wurde ruhiger. »Was wei?t du…« Ihr Kopf ?el an seine Schulter, ihre Augen blieben geschlossen,»was wei?t du…« Ihr Mund offnete sich, und ihre Lippen wurden weich wie eine Frucht.
SIE GINGEN WEITER. Am Bahnhof verschwand Kern und kaufte einen Strau? Rosen. Er segnete dabei den Mann mit dem Monokel und den Wirt des »Schwarzen Ferkels«.
Ruth war vollig verwirrt, als er mit den Blumen ankam. Sie errotete, und aller Kummer wich aus ihrem Gesicht. »Blumen«, sagte sie,»Rosen! Ich reise ab wie ein Filmstar.«
»Du reist ab wie die Frau eines au?erst erfolgreichen Geschaftsmannes«, erklarte Kern stolz.
»Geschaftsleute schenken keine Blumen, Ludwig.«
»Doch, die jungste Generation tut es wieder.«
Er legte ihren Koffer und das Kuchenpaket in das Gepacknetz. Sie stieg mit ihm aus. Auf dem Bahnhof nahm sie seinen Kopf in die Hande und sah ihn ernst an. »Es war gut, da? du da warst.« Sie ku?te ihn. »Und nun geh. Geh fort, wahrend ich einsteige. Ich will jetzt nicht wieder weinen. Sonst glaubst du, ich konnte gar nichts anderes. Geh…«
Er blieb stehen. »Ich furchte mich nicht vor einem Abschied«, sagte er. »Ich habe schon viele mitgemacht. Dies ist kein Abschied.«
Der Zug fuhr an. Ruth winkte. Kern blieb stehen, bis der Zug nicht mehr zu sehen war. Dann ging er zuruck. Er hatte das Gefuhl, die ganze Stadt ware ausgestorben.
Vor dem Eingang des Hotels traf er Rabe. »Guten Abend«, sagte er, zog die Zigarettenschachtel heraus und hielt sie ihm hin. Rabe fuhr zuruck und hob den Arm, als wollte er sich vor einem Schlage schutzen. Kern blickte ihn erstaunt an. »Verzeihen Sie«, sagte Rabe sehr verlegen. »Das ist noch so eine… eine unwillkurliche Bewegung…«
Er nahm eine Zigarette.
STEINER WAR SEIT vierzehn Tagen Kellner in der Gastwirtschaft »Zum Grunen Baum«. Es war spat nachts. Der Wirt schlief seit zwei Stunden, und nur noch ein paar Gaste sa?en herum.
Steiner lie? die Laden herunter. »Feierabend!« sagte er.
»Trinken wir noch einen, Johann«, erwiderte einer der Gaste, ein Tischlermeister mit einem Gesicht wie eine Gurke.
»Gut«, erwiderte Steiner. »Mikolasch?«
»Nein, keinen Ungarischen mehr. Fangen wir jetzt mit einem guten Zwetschgenwasser an.«
Steiner brachte die Flasche und die Glaser. »Trink einen mit«, sagte der Tischlermeister.
»Heute nicht. Entweder nichts mehr, oder ich mu?te mich besaufen.«
»Dann besauf dich.« Der Tischlermeister rieb seine Gurke. »Ich besaufe mich auch! Stell dir vor: Die dritte Tochter! Kommt da heute morgen die Hebamme heraus und sagt: Gratuliere, Herr Blau, die dritte gesunde Tochter!‹ Und ich hab’ mir gedacht, diesmal wird’s bestimmt ein Bub! Drei Madchen und kein Stammhalter! Ist das nicht zum Wahnsinnigwerden? Ist das nicht zum Wahnsinnigwerden, Johann? Du bist doch ein Mensch, du mu?t das doch verstehen!«
»Na und wie«, sagte Steiner. »Nehmen wir gro?ere Glaser?«
Der Tischlermeister schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ver?ucht noch einmal, da hast du verdammt recht! Das ist es! Gro?ere Glaser, das ist eine Idee! Da? ich darauf noch nicht gekommen bin!«
Sie nahmen gro?ere Glaser und tranken eine Stunde lang. Dann verwechselte der Tischlermeister alles und beschwerte sich daruber, da? seine Frau drei Jungen geboren hatte. Mit Muhe zahlte er und schwankte mit seinen Kumpanen hinaus.
Steiner raumte ab. Er schenkte sich noch ein Wasserglas voll Zwetschengeist ein und trank es aus. Sein Kopf drohnte. Er setzte sich an den Tisch und brutete vor sich hin. Dann stand er auf und ging in seine Kammer. Er kramte aus seinen Sachen eine Fotogra?e seiner Frau hervor und sah sie lange an. Er hatte nie etwas von ihr gehort. Er hatte ihr auch nie geschrieben, weil er annahm, ihre Post wurde uberwacht. Er glaubte, da? sie sich hatte scheiden lassen.
»Verdammt!« Er stand auf. »Vielleicht lebt sie langst mit einem andern und hat mich vergessen!« Er ri? mit einem Ruck die Fotogra?e durch und warf sie zu Boden. »Ich mu? auch da ’raus! Es macht mich sonst kaputt. Ich bin ein Mann, der allein lebt, ich bin Johann Huber und nicht mehr Steiner, fertig!«
Er trank noch ein Glas, dann schlo? er ab und ging auf die Stra?e. In der Nahe des Rings sprach ihn ein Madchen an. »Gehst du mit mir, Schatz?«
»Ja.«
Sie gingen nebeneinander her. Das Madchen betrachtete Steiner forschend von der Seite. »Du hast mich ja nicht einmal angesehen.«
»Doch«, erwiderte Steiner, ohne den Blick zu heben.
»Ich glaube nicht. Gefall’ ich dir?«
»Ja, du gefallst mir.«
»Das geht ja schnell bei dir.«
»Ja«, sagte er,»das geht schnell.«
Sie schob ihren Arm unter seinen. »Was schenkst du mir denn, Schatz?«
»Ich wei? nicht. Was willst du haben?«
»Bleibst du die ganze Nacht?«
»Nein.«
»Wie ware es mit zwanzig Schilling?«
»Zehn. Ich bin ein Kellner, der nicht viel verdient.«
»Du siehst nicht aus wie ein Kellner.«
»Es gibt auch Leute, die sehn nicht aus wie Staatsprasidenten und sind es doch.«
Das Madchen lachte. »Du bist lustig. Ich mag lustige Leute gern. Also zehn, meinetwegen. Ich habe ein schones Zimmer. Pa? auf, ich werde dich glucklich machen.«
»So?« sagte Steiner.
Das Zimmer war eine rote Pluschbude mit Nippes?guren und Deckchen uber Tischen und Sesseln. Auf dem Sofa sa? eine Reihe von Teddybaren, Fastnachtspuppen und Stoffaffen. Uber dem Sofa hing die vergro?erte Fotogra?e eines Feldwebels in voller Uniform mit glotzendem Blick und gewichstem Schnurrbart.