IM VORRAUM BEIM Portier standen ein Madchen in einem Pelzmantel und ein etwas angetrunkener Mann. Sie verhandelten mit dem Portier. Das Madchen war hubsch und gut geschminkt. Es sah Ruth verachtlich an. Der Mann rauchte eine Zigarre und trat nicht beiseite, als Kern den Zimmerschlussel verlangte.

»Scheint ziemlich elegant hier zu sein«, sagte Kern, als sie die Treppen hinaufstiegen. »Hast du den Pelzmantel gesehen?«

»Ja, Ludwig.« Ruth lachelte. »Es war eine Imitation. Einfache Katze. So etwas kostet nicht viel mehr als ein guter Tuchmantel.«

»Das hatte ich nie gesehen. Ich hatte es fur Nerz gehalten.«

Kern knipste den Lichtschalter an. Ruth lie? ihre Tasche und ihren Mantel zu Boden fallen und legte ihre Arme um seinen Nacken und ihr Gesicht an sein Gesicht. »Ich bin mude«, sagte sie,»mude und glucklich und etwas furchtsam und am meisten mude. Hilf mir und bring mich zu Bett.«

»Ja.«

Sie lagen im Dunkel nebeneinander. Ruth legte ihren Kopf an Kerns Schulter und schlief mit einem tiefen Seufzer wie ein Kind sofort ein. Kern lag noch eine Zeitlang wach und horte auf ihren Atem. Dann schlief auch er ein.

Irgend etwas weckte ihn. Er ?og hoch und lauschte. Drau?en war Larm. Sein Herz setzte aus; er glaubte, es sei die Polizei. Rasch sprang er aus dem Bett, lief zur Tur, offnete sie eine Handbreit und spahte hinaus. Jemand schrie unten etwas, und eine wutende, hohe Frauenstimme antwortete in schrillem Franzosisch. Nach einiger Zeit kam der Portier herauf.

»Was ist los?« fragte Kern erregt durch den Turspalt.

Der Portier sah ihn trage erstaunt an. »Nichts, ein Betrunkener, der nicht zahlen wollte.«

»Sonst nichts?«

»Was soll sonst sein. So was kommt schon vor. Haben Sie weiter nichts zu tun?«

Er schlo? die Tur nebenan auf und lie? einen Mann mit einem pechschwarzen Schnurrbart und eine wogende, blonde Frau, die hinter ihm hergekommen waren, eintreten. Kern schlo? den Spalt und tastete sich im Dunkeln zuruck. Er stie? gegen das Bett, und als er sich aufstutzte, spurte er plotzlich Ruths weiche Brust unter seiner Hand. Prag, dachte er, und eine Welle von Liebe ubersturzte ihn. Im selben Moment erzitterte die Brust, Ruth stemmte sich auf die Ellenbogen, und eine fremde, angstvolle, ganz enge Stimme ?usterte:»Was… was ist? Um Gottes willen!« und verstummte, und nur der Atem keuchte im Dunkel.

»Ich bin es, Ruth«, sagte Kern und legte sich in das Bett. »Ich bin es, ich habe dich erschreckt.«

»Ach so«, murmelte sie, und ihre Ellenbogen gaben nach.

Sie schlief sofort wieder ein. Ihr hei?es Gesicht lag an Kerns Schulter. Das haben sie nun schon aus dir gemacht, dachte er erbittert. Damals in Prag fragtest du nur leise: Wer ist da? – aber jetzt zitterst du bereits und hast Angst…

»Zieh dich ganz aus«, sagte eine fette Mannerstimme im Zimmer nebenan. »Ich bin scharf auf deinen dicken Hintern.«

Die Frau lachte. »Da kann ich dir was bieten.«

Kern horchte. Er wu?te jetzt, wo er war. In einem Stundenhotel. Vorsichtig spahte er zu Ruth hinuber. Sie schien nichts gehort zu haben. »Ruth«, sagte er fast lautlos,»du geliebtes, kleines, mudes Pony… schlaf weiter und wach nicht auf. Das da druben hat mit uns nichts zu tun. Ich liebe dich und du liebst mich, und wir sind allein…«

»Verdammt!« Ein Klatschen drang durch die dunne Wand. »Das ist Klasse, Donnerwetter noch mal! Wie Stein!«

»Au! Du Schwein! Du bist schon ein tolles Schwein!« johlte die Frau.

»Naturlich! Dachtest du, ich ware aus Pappe?«

»Wir sind gar nicht hier«, ?usterte Kern. »Ruth, wir sind gar nicht hier. Wir liegen auf einer Wiese in der Sonne, und rund um uns bluhen Kamillen und Klatschmohn und Wegerich. Ein Kuckuck ruft, und bunte Schmetterlinge ?iegen uber dein Gesicht…«

»Andersrum! La? das Licht an!« quetschte die fette Stimme nebenan.

»Was willst du denn jetzt? Ah!« Die Frau kreischte vor Lachen.

»In einem kleinen Bauernhaus sind wir«, ?usterte Kern. »Es ist Abend, und wir haben saure Milch gegessen und frisches Brot. Die Dammerung weht uber unsere Gesichter, es ist still, wir warten auf die Nacht, wir sind ruhig und wissen, da? wir uns lieben…«

Nebenan begann Radau und Knarren und Schreien.

»Ich lehne den Kopf an deine Knie und fuhle deine Hande auf meinem Haar. Du hast keine Angst mehr, du hast einen Pa?, und alle Polizisten gru?en unsere Gesichter, es ist still, wir warten auf die Nacht, wir sind ruhig und wissen, da? wir uns lieben… ich…«

Schritte kamen uber den Korridor. An der anderen Seite des Zimmers, die bisher ruhig gewesen war, rasselte ein Schlussel. »Danke«, sagte der Portier,»besten Dank.«

»Was schenkst du mir, Schatz?« fragte eine gelangweilte Stimme.

»Viel habe ich nicht«, erwiderte ein Mann. »Wie war’s mit einem Funfziger?«

»Du bist verruckt. Unter hundert mache ich keinen Knopf auf.«

»Aber Kind…« Die Stimme wurde zu einem kehligen Raunen.

»Wir haben Ferien und sind an der See«, sagte Kern leise und eindringlich. »Du hast gebadet und bist im hei?en Sande eingeschlafen. Das Meer ist blau, und am Horizont sieht man ein wei?es Segel. Die Mowen schreien und der Wind weht…«

Irgend etwas polterte gegen die Wand. Ruth zuckte. »Was ist?« fragte sie schlaftrunken.

»Nichts, nichts! Schlaf, Ruth.«

»Du bist da, ja?«

»Ich bin immer da und liebe dich.«

»Ja, liebe mich…«

Sie schlief wieder ein. »Du bist bei mir und ich bin bei dir, und all der Dreck geht uns nichts an, der Dreck, durch den sie uns jagen«, ?usterte Kern durch den schmutzigen Larm des Stundenhotels. »Wir sind allein und jung, und unser Schlaf ist rein, Ruth, geliebtes Pony von den bluhenden Feldern der Liebe.«

Kern kam aus dem Buro der Fluchtlingshilfe. Er hatte nichts anderes erwartet als das, was er gehort hatte. An eine Aufenthaltserlaubnis war nicht zu denken. An Unterstutzungen nur im au?ersten Fall. Arbeit mit und ohne Aufenthaltserlaubnis war selbstverstandlich verboten.

Kern war nicht besonders niedergeschlagen. Es war in allen Landern das gleiche. Trotzdem lebten Tausende von Emigranten, die den Gesetzen nach langst verhungert sein mu?ten.

Er blieb eine Zeitlang im Vorzimmer des Buros stehen. Der Raum war gedrangt voll Menschen. Kern betrachtete sie der Reihe nach genau. Dann ging er auf einen Mann zu, der etwas abseits sa? und einen ruhigen, uberlegeneren Eindruck machte. »Verzeihen Sie«, sagte er. »Ich mochte Sie etwas fragen. Konnen Sie mir sagen, wo man wohnen kann, ohne angemeldet zu sein? Ich bin erst seit gestern in Paris.«

»Haben Sie Geld?« fragte der Mann, ohne im geringsten erstaunt zu sein.

»Etwas.«

»Konnen Sie sechs Francs am Tag fur ein Zimmer bezahlen?«

»Vorlau?g ja.«

»Dann gehen Sie in das Hotel Verdun in der Rue de Turenne. Sagen Sie der Wirtin, ich schicke sie. Ich hei?e Klassmann. Doktor Klassmann«, fugte der Mann mit trubem Spott hinzu.

»Ist das Verdun sicher vor Polizei?«

»Sicher ist nichts. Man fullt Anmeldezettel ohne Datum aus, die nicht zur Polizei gegeben werden. Sollte revidiert werden, sind Sie immer gerade am selben Tage angekommen, und die Zettel sollten am nachsten Morgen zur Polizei geschickt werden, verstehen Sie? Die Hauptsache ist, da? man Sie nicht gerade erwischt. Dafur gibt es einen prima unterirdischen Gang. Sie werden das schon sehen. Das Verdun ist kein Hotel – es ist etwas, was Gott schon vor funfzig Jahren in weiser Voraussicht fur die Emigranten geschaffen hat. Haben Sie Ihre Zeitung schon gelesen?«

»Ja.«

»Dann geben Sie sie mir. Damit sind wir dann quitt.«

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