Decke lag, hob sich, als wollte sie sich vergewissern und beruhren, was die Augen sahen.

»Ich bin es, Marie«, sagte Steiner.

Die Frau versuchte den Kopf zu heben. Ihre Augen irrten uber sein Gesicht, das dicht vor ihr war.

»Sei ruhig, Marie, ich bin es«, sagte Steiner. »Ich bin gekommen.«

»Josef…«, ?usterte die Frau.

Steiner mu?te den Kopf senken. Das Wasser scho? ihm in die Augen. Er bi? sich auf die Lippen und schluckte. »Ich bin es, Marie. Ich bin zuruckgekommen, zu dir.«

»Wenn sie dich ?nden…«, ?usterte die Frau.

»Sie ?nden mich nicht. Sie konnen mich nicht ?nden. Ich kann hierbleiben. Ich bleibe bei dir.«

»Fa? mich an, Josef – ich mu? fuhlen, da? du da bist. Gesehen habe ich dich oft…«

Er nahm ihre leichte Hand mit den blauen Adern in seine Hande und ku?te sie. Dann beugte er sich uber sie und legte seine Lippen auf ihren muden und schon fernen Mund. Als er sich aufrichtete, standen ihre Augen voll Tranen. Sie schuttelte sanft das Gesicht, und die Tropfen ?elen wie Regen herunter.

»Ich wu?te, da? du nicht kommen konntest. Aber ich habe immer auf dich gewartet…«

»Jetzt bleibe ich bei dir.«

Sie versuchte ihn zuruckzuschieben. »Du kannst doch nicht hierbleiben! Du mu?t fort. Du wei?t nicht, was hier war. Du mu?t gleich gehen. Geh, Josef…«

»Nein, es ist nicht gefahrlich.«

»Es ist gefahrlich, ich wei? es besser. Ich habe dich gesehen, nun geh! Es dauert nicht lange mehr mit mir. Das kann ich gut allein abmachen.«

»Ich habe es so eingerichtet, da? ich hierbleiben kann, Marie. Es kommt eine Amnestie; darunter falle ich auch.«

Sie blickte ihn unglaubig an.

»Es ist wahr«, sagte er,»ich schwore es dir, Marie. Es braucht niemand zu wissen, da? ich hier bin. Aber es ist auch nicht schlimm, wenn man es wei?.«

»Ich sage nichts, Josef. Ich habe nie etwas gesagt.«

»Das wei? ich, Marie.« Eine Warme stieg ihm in die Stirn. »Du hast dich nicht von mir scheiden lassen?«

»Nein. Wie konnte ich das! Sei nicht bose deshalb.«

»Es war nur fur dich, damit du es leichter haben solltest.«

»Ich habe es nicht schwer gehabt. Man hat mir geholfen. Auch da? ich dieses Zimmer habe. Es war besser, allein zu liegen. Du warst dann mehr da.«

Steiner sah sie an. Das Gesicht war zusammengeschmolzen, die Knochen traten heraus, und die Haut war wachsern bla?, mit blauen Schatten. Der Hals war zerbrechlich und dunn, und die Schlusselbeine standen stark aus den eingesunkenen Schultern hervor. Sogar die Augen waren verschleiert, und der Mund war ohne Farbe. Nur das Haar leuchtete und funkelte, es schien dichter und starker geworden zu sein, als ob all die vergangene Kraft sich in ihm gesammelt habe, um uber den erloschenden Korper zu triumphieren. Es bauschte sich in der Nachmittagssonne wie eine Gloriole aus Rot und Gold, wie ein wilder Protest gegen die Mudigkeit des kindhaften Leibes unter dem Leinen, das er kaum mehr hob.

Die Tur ging auf, und eine Schwester kam herein. Steiner stand auf. Die Schwester trug ein Glas mit einer milchigen Flussigkeit und stellte es auf den Tisch. »Sie haben Besuch?« sagte sie, wahrend ihre raschen, blauen Augen Steiner musterten.

Die Kranke bewegte den Kopf. »Aus Breslau«, ?usterte sie.

»So weit her? Das ist schon. Da haben Sie doch etwas Unterhaltung. «

Die blauen Augen gingen wieder hurtig uber Steiner hinweg, wahrend die Schwester ein Thermometer hervorzog.

»Hat sie Fieber?« fragte Steiner.

»Ach wo«, erwiderte die Schwester frohlich. »Seit Tagen schon nicht mehr.«

Sie legte das Thermometer an und ging. Steiner zog einen Stuhl an das Bett und setzte sich Marie gegenuber. Er nahm ihre Hande in seine Hande. »Freust du dich, da? ich da bin?« und war sich bewu?t, wie toricht seine Frage war.

»Es ist alles«, sagte Marie, ohne zu lacheln.

Sie sahen sich an und schwiegen. Es war so wenig zu sagen, denn es war so viel, da? sie beisammen waren. Sie sahen sich an, und es war nichts mehr da au?er ihnen. Der eine versank im andern. Sie waren heimgekehrt zu sich. Das Leben hatte keine Zukunft und keine Vergangenheit mehr; es war nur noch Gegenwart. Es war Ruhe, Stille und Frieden.

Die Schwester kam noch einmal herein und zeichnete einen Strich auf die Fieberkurve; sie merkten es kaum. Sie sahen sich an.

Die Sonne glitt langsam weiter, sie verlie? zogernd das ?ammende, schone Haar und lie? sich wie eine weiche Katze aus Licht dicht daneben auf dem Kissen nieder; dann schob sie sich unwillig zur Wand hinuber und kletterte langsam daran empor; die beiden sahen sich an. Die Dammerung kam auf blauen Fu?en und fullte das Zimmer; sie sahen sich an und lie?en sich nicht, bis die Schatten aus den Zimmerecken hervorgeweht kamen und mit ihren Flugeln das wei?e Gesicht, das einzige Gesicht verdeckten.

Die Tur ging auf, und mit einem Strom von Licht kam der Arzt und hinter ihm die Schwester. »Sie mussen nun gehen«, sagte die Schwester.

»Ja.« Steiner erhob sich und beugte sieh uber das Bett. »Ich komme morgen wieder, Marie.«

Sie lag wie ein mude gespieltes, halb schlafendes, halb traumendes Kind. »Ja«, sagte sie, und er konnte nicht erkennen, ob sie zu ihm oder zu seinem Traumbild sprach. »Ja, komm wieder.«

Steiner wartete drau?en auf den Arzt. Er fragte ihn, wie lange es noch dauern wurde. Der Arzt musterte ihn. »Drei bis vier Tage hochstens«, sagte er dann. »Es ist ein Wunder, da? sie uberhaupt noch so lange ausgehalten hat.«

»Danke.« Steiner ging langsam die Treppen hinunter. Vor dem Portal blieb er stehen. Vor ihm lag plotzlich die Stadt. Er hatte sie nicht wahrgenommen, als er gekommen war… aber jetzt lag sie deutlich und unentrinnbar zugleich vor ihm. Er sah die Stra?en, er sah die Gefahr, die unsichtbare, schweigende Gefahr, die an jeder Ecke, in jedem Haustor, in jedem Gesicht auf ihn lauerte. Er wu?te, da? er nicht viel tun konnte. Der Platz, wo man ihn fassen konnte, wie ein Wild an der Tranke im Dschungel, war dieser wei?e, steinerne Bau hinter ihm. Aber er wu?te auch, da? er sich verbergen mu?te, um wiederkommen zu konnen. Drei bis vier Tage. Ein Nichts und eine Ewigkeit. Einen Augenblick uberlegte er, ob er versuchen sollte, einen seiner Freunde zu treffen – doch dann entschied er sich fur ein mittleres Hotel. Das war am unauffalligsten fur den ersten Tag.

KERN SASSMITDEM Osterreicher Leopold Bruck und dem Westfalen Moenke in einer Zelle des Gefangnisses La Sante. Sie klebten Tuten.

»Kinder«, sagte Leopold nach einer Weile,»ich habe einen Hunger – unmenschlich! Am liebsten mochte ich den Kleister auffressen – wenn’s nicht bestraft wurde!«

»Warte noch zehn Minuten«, erwiderte Kern. »Dann kommt der Abendfra?.«-»Was nutzt das schon! Hinterher werde ich erst recht Hunger haben.« Leopold blies eine Tute auf und zerschlug sie mit einem Knall. »Es ist ein Elend in so ver?uchten Zeiten, da? der Mensch einen Magen hat. Wenn ich jetzt an ein Bein?eisch denke… oder gar an einen Tafelspitz… ich konnte diese ganze Bude niederrei?en!«

Moenke hob den Kopf. »Ich denke mehr an ein gro?es, blutiges Beefsteak«, erklarte er. »Mit Zwiebeln und Bratkartoffeln. Dazu ein eiskaltes Bier.«

»Hor auf!« Leopold stohnte. »Denken wir an was anderes. An Blumen meinetwegen.«

»Warum denn gerade an Blumen?«

»An irgend etwas Schones, verstehst du denn nicht? Zum Ablenken was!«

»Blumen lenken mich nicht ab.«

»Ich habe einmal ein Beet mit Rosen gesehen.« Leopold versuchte sich krampfhaft zu konzentrieren. »Letzten Sommer. Vor dem Gefangnis in Pallanza. Abends in der Sonne, als wir entlassen wurden. Rote Rosen. So rot wie… wie…«

»Wie ein rohes Beefsteak«, half Moenke aus.

»Ach, verdammt!«

Ein Schlussel rasselte. »Da kommt der Fra?«, sagte Moenke.

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