du uns nochmals ausrei?en konntest.«

Eine Tur klappte, Steiner sah schrag uber seine Schulter. Es war die Tur des Zimmers, in dem seine Frau lag. Die Schwester schaute heraus und zog rasch den Kopf zuruck.

»Aha«, sagte Steiner,»daher…«

»Ja, die Liebe!« kicherte Steinbrenner. »Fuhrt die ausgekochtesten Vogel ins Nest zuruck – zum Wohle des Staates und zur Freude ihrer Freunde.«

Steiner sah das ?eckige Gesicht mit dem zuruck?iehenden Kinn und den blaulichen Schatten unter den Augen. Er sah ruhig hinein; er wu?te, was ihm von diesem Gesicht bevorstand, aber es war weit weg, wie etwas, was ihn noch nichts anging. Steinbrenner zwinkerte, leckte sich die Lippen und trat dann einen Schritt zuruck. »Immer noch kein Gewissen, Steinbrenner?« fragte Steiner.

Der Mann grinste. »Nur ein gutes, Liebling. Wird immer besser, je mehr von euch ich unter der Fuchtel habe. Habe einen prima Schlaf. Bei dir werde ich eine Ausnahme machen. Dich werde ich nachts besuchen, um ein bi?chen mit dir zu plaudern. Los, abfuhren!« sagte er plotzlich barsch.

Steiner ging mit seiner Eskorte die Treppe hinunter. Die Leute, die ihnen begegneten, blieben stehen und lie?en sie schweigend vorubergehen. Auch auf der Stra?e herrschte dieses Schweigen, wenn sie voruberkamen.

Steiner wurde zur Vernehmung gebracht. Ein alterer Beamter fragte ihn aus. Er gab seine Daten zu Protokoll.

»Weshalb sind Sie nach Deutschland zuruckgekommen?« fragte der Beamte.

»Ich wollte meine Frau sehen, bevor sie stirbt.«

»Wen von Ihren politischen Freunden haben Sie hier getroffen?«

»Niemand.«

»Es ist besser, Sie sagen es mir hier, bevor Sie uberfuhrt werden.«

»Ich habe es schon gesagt: Niemand.«

»In wessen Auftrag sind Sie hier?«

»Ich habe keine Auftrage.«

»Welcher politischen Organisation waren Sie im Ausland angeschlossen?«

»Keiner.«

»Wovon haben Sie denn gelebt?«

»Von dem, was ich verdient habe. Sie sehen, da? ich einen osterreichischen Pa? habe.«

»Und mit welcher Gruppe sollten Sie hier Verbindung nehmen?«

»Wenn ich das gewollt hatte, hatte ich mich anders versteckt. Ich wu?te, was ich tat, als ich zu meiner Frau ging.«

Der Beamte fragte ihn noch eine Zeitlang weiter. Dann studierte er Steiners Pa? und den Brief seiner Frau, den man ihm abgenommen hatte. Er blickte Steiner an; dann las er den Brief noch einmal. »Sie werden heute nachmittag uberfuhrt«, sagte er schlie?lich achselzuckend.

»Ich mochte Sie um etwas bitten«, erwiderte Steiner. »Es ist wenig, aber fur mich ist es alles. Meine Frau lebt noch. Der Arzt sagt, da? es hochstens noch ein bis zwei Tage dauern kann. Sie wei?, da? ich morgen wiederkommen sollte. Wenn ich nicht komme, wird sie wissen, da? ich hier bin. Ich erwarte fur mich weder Mitleid noch irgendeine Vergunstigung; aber ich mochte, da? meine Frau ruhig stirbt. Ich bitte Sie, mich einen oder zwei Tage hierzubehalten und mir zu erlauben, meine Frau zu sehen.«

»Das geht nicht. Ich kann Ihnen nicht Gelegenheit zur Flucht geben.«

»Ich werde nicht ?uchten. Das Zimmer liegt im funften Stock und hat keine Nebenausgange. Wenn mich jemand hinbringt und die Tur bewacht, kann ich nichts machen. Ich bitte Sie nicht fur mich; ich bitte Sie fur eine sterbende Frau.«

»Unmoglich«, sagte der Beamte. »Ich habe nicht die Kompetenz dafur.«

»Sie haben die Kompetenz. Sie konnen mich noch einmal verhoren lassen. Und Sie konnen mir die Zusammenkunft ermoglichen. Der Grund konnte sein, da? ich vielleicht mit meiner Frau etwas spreche, was wichtig zu erfahren ist. Das ware auch der Grund, weshalb meine Bewachung drau?enbleiben wurde. Sie konnten anordnen, da? die Schwester, die ja zuverlassig ist, im Zimmer bleibt, um zu horen, was gesprochen wird.«

»Das ist alles Unsinn. Ihre Frau wird Ihnen nichts sagen und Sie ihr nichts.«

»Naturlich nicht. Sie wei? ja nichts. Aber sie wurde ruhig sterben.«

Der Beamte dachte nach und blatterte in den Akten. »Wir haben Sie damals verhort, uber die Gruppe VII. Sie haben keine Namen genannt. Inzwischen haben wir Muller, Bose und Welldorf gefunden. Wollen Sie uns die ubrigen Namen nennen?«

Steiner schwieg.

»Wollen Sie uns die Namen nennen, wenn ich Ihnen ermogliche, zwei Tage zu Ihrer Frau zu gehen?«

»Ja«, sagte Steiner nach einer Weile.

»Dann sagen Sie sie mir.«

Steiner schwieg.

»Wollen Sie mir morgen abend zwei Namen nennen und die andern ubermorgen?«

»Ich werde Ihnen die Namen ubermorgen nennen.«

»Versprechen Sie das?«

»Ja.«

Der Beamte sah ihn lange an. »Ich werde sehen, was ich tun kann. Sie werden jetzt in Ihre Zelle zuruckgebracht.«

»Wollen Sie mir den Brief zuruckgeben?« fragte Steiner.

»Den Brief? Er mu? bei den Akten bleiben.« Der Beamte betrachtete ihn unschlussig. »Es steht nichts Belastendes darin. Gut, nehmen Sie ihn mit.«

»Danke«, sagte Steiner.

Der Beamte klingelte und lie? Steiner abfuhren. Schade, dachte er, aber was soll man machen? Man kommt ja selbst in des Teufels Kuche, wenn man etwas wie Menschlichkeit verrat. Er hieb plotzlich mit der Faust auf den Tisch.

MORITZ ROSENTHAL LAG in seinem Bett. Er war seit Tagen zum erstenmal ohne Schmerzen. Es war fruher Abend, und in der silbrig blauen Dammerung der Pariser Februartage leuchteten die ersten Lichter auf. Moritz Rosenthal beobachtete, ohne den Kopf zu bewegen, wie die Fenster des gegenuberliegenden Hauses hell wurden; es schwamm wie ein Riesenschiff in der Dammerung, wie ein Ozeandampfer kurz vor der Abfahrt. Das Mauerstuck zwischen den Fenstern warf einen langen dunklen Schatten heruber zum Hotel Verdun; er sah aus wie ein Landungssteg aus Schatten, der darauf wartete, da? man hinuberging.

Moritz Rosenthal regte sich nicht; er lag in seinem Bett, aber er sah, wie plotzlich die Fenster sich weit offneten und wie jemand, der ihm glich, aufstand und hinausschritt. Uber den Schatten hinweg, hinuber zu dem Schiff, das in der langen Dammerung des Lebens sacht schwankte und nun die Anker lichtete und langsam davonglitt. Das Zimmer um ihn herum zerbarst wie eine murbe Pappschachtel in der Stromung und wirbelte davon. Stra?en rauschten voruber, Walder glitten unter dem Bug entlang, Nebel, das Schiff hob sich sanft in das leise Brausen der Unendlichkeit, Wolken schwammen heran, Sterne und tiefes Blau, und dann, in diesem Wiegen wie ein Wiegenlied, wolbte sich ihm eine Kuste entgegen, aus Rosa und Gold, die dunkle Landungsbrucke senkte sich lautlos wieder herab, Moritz Rosenthal schritt sie entlang, hinunter, und als er sich umblickte, war das Schiff nicht mehr da, und er war allein an der fremden Kuste.

Eine lange, ebene Stra?e breitete sich vor seinen Fu?en aus. Der alte Wanderer besann sich nicht lange; eine Stra?e war dazu da, sie entlangzugehen – und seine Fu?e kannten viele Stra?en.

Aber schon nach kurzer Zeit hob sich hinter silbernen Baumen ein funkelndes, machtiges Tor hervor, hinter dem es von Kuppeln und Turmen blitzte. Eine gro?e Gestalt in Licht und Schimmer stand mit einem Krummstabe mitten vor dem Eingang.

Der Zoll! dachte Moritz Rosenthal erschrocken und sprang hinter ein Gebusch. Er sah sich um. Zuruck konnte er nicht mehr; es ging da ins Nichts hinab. Es hilft nichts, dachte der alte Emigrant ergeben, ich werde mich hier versteckt halten mussen, bis es Nacht wird. Vielleicht kann ich dann seitlich wegschleichen und irgendwo hintenherum vorbeikommen. Er schielte zwischen einer Astgabel von Karfunkel und Onyx hindurch und sah, da? der gewaltige Wachter mit seinem Stabe winkte. Er blickte sich noch einmal um. Au?er ihm war niemand da. Der

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