Detering rei?t das Gewehr hoch und zielt. Kat schlagt es in die Luft. »Bist du verruckt -?« Detering zittert und wirft sein Gewehr auf die Erde. Wir setzen uns hin und halten uns die Ohren zu. Aber dieses entsetzliche Klagen und Stohnen und Jammern schlagt durch, es schlagt uberall durch.

Wir konnen alle etwas vertragen. Hier aber bricht uns der Schwei? aus. Man mochte aufstehen und fortlaufen, ganz gleich wohin, nur um das Schreien nicht mehr zu horen. Dabei sind es doch keine Menschen, sondern nur Pferde. Von dem dunklen Knauel losen sich wieder Tragbahren. Dann knallen einzelne Schusse. Die Klumpen zucken und werden flacher. Endlich! Aber es ist noch nicht zu Ende. Die Leute kommen nicht an die verwundeten Tiere heran, die in ihrer Angst fluchten, allen Schmerz in den weit aufgerissenen Maulern, Eine der Gestalten geht aufs Knie, ein Schu? – ein Pferd bricht nieder, – noch eins. Das letzte stemmt sich auf die Vorderbeine und dreht sich im Kreise wie ein Karussell, sitzend dreht es sich auf den hochgestemmten Vorderbeinen im Kreise, wahrscheinlich ist der Rucken zerschmettert. Der Soldat rennt hin und schie?t es nieder. Langsam, demutig rutscht es zu Boden.

Wir nehmen die Hande von den Ohren. Das Schreien ist verstummt. Nur ein langgezogener, ersterbender Seufzer hangt noch in der Luft. Dann sind wieder nur die Raketen, das Granatensingen und die Sterne da – und das ist fast sonderbar.

Detering geht und flucht:»Mochte wissen, was die fur Schuld haben.« Er kommt nachher noch einmal heran. Seine Stimme ist erregt, sie klingt beinahe feierlich, als er sagt:»Das sage ich euch, es ist die allergro?te Gemeinheit, da? Tiere im Krieg sind.«

* * *

Wir gehen zuruck. Es ist Zeit, zu unseren Wagen zu gelangen. Der Himmel ist eine Spur heller geworden. Drei Uhr morgens. Der Wind ist frisch und kuhl, die fahle Stunde macht unsere Gesichter grau.

Wir tappen uns vorwarts im Gansemarsch durch die Graben und Trichter und gelangen wieder in die Nebelzone. Katczinsky ist unruhig, das ist ein schlechtes Zeichen. »Was hast du, Kat?« fragt Kropp.

»Ich wollte, wir waren erst zu Hause.«- Zu Hause – er meint die Baracken.

»Dauert nicht mehr lange, Kat.«

Er ist nervos.

»Ich wei? nicht, ich wei? nicht -«

Wir kommen in die Laufgraben und dann in die Wiesen. Das Waldchen taucht auf; wir kennen hier jeden Schritt Boden. Da ist der Jagerfriedhof schon mit den Hugeln und den schwarzen Kreuzen.

In diesem Augenblick pfeift es hinter uns, schwillt, kracht, donnert. Wir haben uns gebuckt – hundert Meter vor uns schie?t eine Feuerwolke empor.

In der nachsten Minute hebt sich ein Stuck Wald unter einem zweiten Einschlag langsam uber die Gipfel, drei, vier Baume segeln mit und brechen dabei in Stucke. Schon zischen wie Kesselventile die folgenden Granaten heran – scharfes Feuer -»Deckung!« brullt jemand -»Deckung!«- Die Wiesen sind flach, der Wald ist zu weit und gefahrlich; – es gibt keine andere Deckung als den Friedhof und die Graberhugel. Wir stolpern im Dunkel hinein, wie hingespuckt klebt jeder gleich hinter einem Hugel.

Keinen Moment zu fruh. Das Dunkel wird wahnsinnig. Es wogt und tobt. Schwarzere Dunkelheiten als die Nacht rasen mit Riesenbuckeln auf uns los, uber uns hinweg. Das Feuer der Explosionen uberflackert den Friedhof.

Nirgendwo ist ein Ausweg. Ich wage im Aufblitzen der Granaten einen Blick auf die Wiesen. Sie sind ein aufgewuhltes Meer, die Stichflammen der Geschosse springen wie Fontanen heraus. Es ist ausgeschlossen, da? jemand daruber hinwegkommt.

Der Wald verschwindet, er wird zerstampft, zerfetzt, zerrissen. Wir mussen hier auf dem Friedhof bleiben.

Vor uns birst die Erde. Es regnet Schollen. Ich spure einen Ruck. Mein Armel ist aufgerissen durch einen Splitter. Ich balle die Faust. Keine Schmerzen. Doch das beruhigt mich nicht, Verletzungen schmerzen stets erst spater. Ich fahre uber den Arm. Er ist angekratzt, aber heil. Da knallt es gegen meinen Schadel, da? mir das Bewu?tsein verschwimmt. Ich habe den blitzartigen Gedanken: Nicht ohnmachtig werden!, versinke in schwarzem Brei und komme sofort wieder hoch. Ein Splitter ist gegen meinen Helm gehauen, er kam so weit her, da? er nicht durchschlug. Ich wische mir den Dreck aus den Augen. Vor mir ist ein Loch aufgerissen, ich erkenne es undeutlich. Granaten treffen nicht leicht in denselben Trichter, deshalb will ich hinein. Mit einem Satze schnelle ich mich lang vor, flach wie ein Fisch uber den Boden, da pfeift es wieder, rasch krieche ich zusammen, greife nach der Deckung, fuhle links etwas, presse mich daneben, es gibt nach, ich stohne, die Erde zerrei?t, der Luftdruck donnert in meinen Ohren, ich krieche unter das Nachgebende, decke es uber mich, es ist Holz, Tuch, Deckung, Deckung, armselige Deckung vor herabschlagenden Splittern.

Ich offne die Augen, meine Finger halten einen Armel umklammert, einen Arm. Ein Verwundeter? Ich schreie ihm zu, keine Antwort – ein Toter. Meine Hand fa?t weiter, in Holzsplitter, da wei? ich wieder, da? wir auf dem Friedhof liegen.

Aber das Feuer ist starker als alles andere. Es vernichtet die Besinnung, ich krieche nur noch tiefer unter den Sarg, er soll mich schutzen, und wenn der Tod selber in ihm liegt.

Vor mir klafft der Trichter. Ich fasse ihn mit den Augen wie mit Fausten, ich mu? mit einem Satz hinein. Da erhalte ich einen Schlag ins Gesicht, eine Hand klammert sich um meine Schulter – ist der Tote wieder erwacht? – Die Hand schuttelt mich, ich wende den Kopf, in sekundenkurzem Licht starre ich in das Gesicht Katczinskys, er hat den Mund weit offen und brullt, ich hore nichts, er ruttelt mich, nahert sich; in einem Moment Abschwellen erreicht mich seine Stimme:»Gas – Gaaas – Gaaas! – Weitersagen!«

Ich rei?e die Gaskapsel heran. Etwas entfernt von mir liegt jemand. Ich denke an nichts mehr als an dies: Der dort mu? es wissen:»Gaaas – Gaaas -!«

Ich rufe, schiebe mich heran, schlage mit der Kapsel nach ihm, er merkt nichts – noch einmal, noch einmal – er duckt sich nur – es ist ein Rekrut – ich sehe verzweifelt nach Kat, er hat die Maske vor – ich rei?e meine auch heraus, der Helm fliegt beiseite, sie streift sich uber mein Gesicht, ich erreiche den Mann, am nachsten liegt mir seine Kapsel, ich fasse die Maske, schiebe sie uber seinen Kopf, er greift zu – ich lasse los – und liege plotzlich mit einem Ruck im Trichter.

Der dumpfe Knall der Gasgranaten mischt sich in das Krachen der Explosivgeschosse. Eine Glocke drohnt zwischen die Explosionen, Gongs, Metallklappern kunden uberallhin – Gas – Gas – Gaas – Hinter mir plumpst es, einmal, zweimal. Ich wische die Augenscheiben meiner Maske vom Atemdunst sauber. Es sind Kat, Kropp und noch jemand. Wir liegen zu viert in schwerer, lauernder Anspannung und atmen so schwach wie moglich.

Die ersten Minuten mit der Maske entscheiden uber Leben und Tod: ist sie dicht? Ich kenne die furchtbaren Bilder aus dem Lazarett: Gaskranke, die in tagelangem Wurgen die verbrannten Lungen stuckweise auskotzen.

Vorsichtig, den Mund auf die Patrone gedruckt, atme ich. Jetzt schleicht der Schwaden uber den Boden und sinkt in alle Vertiefungen. Wie ein weiches, breites Quallentier legt er sich in unseren Trichter, rakelt sich hinein. Ich sto?e Kat an: es ist besser herauszukriechen und oben zu liegen, als hier, wo das Gas sich am meisten sammelt. Doch wir kommen nicht dazu, ein zweiter Feuerhagel beginnt. Es ist, als ob nicht mehr die Geschosse brullen; es ist, als ob die Erde selbst tobt.

Mit einem Krach saust etwas Schwarzes zu uns herab. Hart neben uns schlagt es ein, ein hochgeschleuderter Sarg. Ich sehe Kat sich bewegen und krieche hinuber. Der Sarg ist dem vierten in unserem Loch auf den ausgestreckten Arm geschlagen. Der Mann versucht, mit der andern Hand die Gasmaske abzurei?en. Kropp greift rechtzeitig zu, 67 biegt ihm die Hand hart auf den Rucken und halt sie fest.

Kat und ich gehen daran, den verwundeten Arm frei zu machen. Der Sargdeckel ist lose und geborsten, wir konnen ihn leicht abrei?en, den Toten werfen wir hinaus, er sackt nach unten, dann versuchen wir, den unteren Teil zu lockern.

Zum Gluck wird der Mann bewu?tlos, und Albert kann uns helfen. Wir brauchen nun nicht mehr so behutsam zu sein und arbeiten, was wir konnen, bis der Sarg mit einem Seufzer nachgibt unter den daruntergesteckten Spaten. Es ist heller geworden. Kat nimmt ein Stuck des Deckels, legt es unter den zerschmetterten Arm, und wir binden alle unsere Verbandspackchen darum. Mehr konnen wir im Moment nicht tun.

Mein Kopf brummt und drohnt in der Gasmaske, er ist nahe am Platzen. Die Lungen sind angestrengt, sie haben nur immer wieder denselben hei?en, verbrauchten Atem, die Schlafenadern schwellen, man glaubt zu

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