Wagen fahren zuruck. Sie sollen uns morgens vor dem Hellwerden wieder abholen.
Nebel und Geschutzrauch stehen in Brusthohe uber den Wiesen. Der Mond scheint darauf. Auf der Stra?e ziehen Truppen. Die Stahlhelme schimmern mit matten Reflexen im Mondlicht. Die Kopfe und die Gewehre ragen aus dem wei?en Nebel, nickende Kopfe, schwankende Gewehrlaufe.
Weiter vorn hort der Nebel auf. Die Kopfe werden hier zu Gestalten; – Rocke, Hosen und Stiefel kommen aus dem Nebel wie aus einem Milchteich. Sie formieren sich zur Kolonne. Die Kolonne marschiert, geradeaus, die Gestalten schlie?en sich zu einem Keil, man erkennt die einzelnen nicht mehr, nur ein dunkler Keil schiebt sich nach vorn, sonderbar erganzt aus den im Nebelteich heranschwimmenden Kopfen und Gewehren. Eine Kolonne – keine Menschen.
Auf einer Querstra?e fahren leichte Geschutze und Munitionswagen heran. Die Pferde haben glanzende Rucken im Mondschein, ihre Bewegungen sind schon, sie werfen die Kopfe, man sieht die Augen blitzen. Die Geschutze und Wagen gleiten vor dem verschwimmenden Hintergrund der Mondlandschaft voruber, die Reiter mit ihren Stahlhelmen sehen aus wie Ritter einer vergangenen Zeit, es ist irgendwie schon und ergreifend.
Wir streben dem Pionierpark zu. Ein Teil von uns ladet sich gebogene, spitze Eisenstabe auf die Schultern, der andere steckt glatte Eisenstocke durch Drahtrollen und zieht damit ab. Die Lasten sind unbequem und schwer. Das Terrain wird zerrissener. Von vorn kommen Meldungen durch:»Achtung, links tiefer Granattrichter«-»Vorsicht, Graben«- Unsere Augen sind angespannt, unsere Fu?e und Stocke fuhlen vor, ehe sie die Last des Korpers empfangen. Mit einmal halt der Zug; – man prallt mit dem Gesicht gegen die Drahtrolle des Vordermannes und schimpft. Einige zerschossene Wagen sind im Wege. Ein neuer Befehl. »Zigaretten und Pfeifen aus.«- Wir sind dicht an den Graben.
Es ist inzwischen ganz dunkel geworden. Wir umgehen ein Waldchen und haben dann den Frontabschnitt vor uns. Eine Ungewisse, rotliche Helle steht am Horizont von einem Ende zum andern. Sie ist in standiger Bewegung, durchzuckt vom Mundungsfeuer der Batterien. Leuchtkugeln steigen daruber hoch, silberne und rote Balle, die zerplatzen und in wei?en, grunen und roten Sternen niederregnen. Franzosische Raketen schie?en auf, die in der Luft einen Seidenschirm entfalten und ganz langsam niederschweben. Sie erleuchten alles taghell, bis zu uns dringt ihr Schein, wir sehen unsere Schatten scharf am Boden. Minutenlang schweben sie, ehe sie ausgebrannt sind. Sofort steigen neue hoch, uberall, und dazwischen wieder die grunen, roten und blauen.
»Schlamassel«, sagt Kat.
Das Gewitter der Geschutze verstarkt sich zu einem einzigen dumpfen Drohnen und zerfallt dann wieder in Gruppeneinschlage. Die trockenen Salven der Maschinengewehre knarren. Uber uns ist die Luft erfullt von unsichtbarem Jagen, Heulen, Pfeifen und Zischen. Es sind kleinere Geschosse; – dazwischen orgeln aber auch die gro?en Kohlenkasten, die ganz schweren Brocken durch die Nacht und landen weit hinter uns. Sie haben einen rohrenden, heiseren, entfernten Ruf, wie Hirsche in der Brunft, und ziehen hoch uber dem Geheul und Gepfeife der kleineren Geschosse ihre Bahn.
Die Scheinwerfer beginnen den schwarzen Himmel abzusuchen. Sie rutschen daruber hin wie riesige, am Ende dunner werdende Lineale. Einer steht still und zittert nur wenig. Sofort ist ein zweiter bei ihm, sie kreuzen sich, ein schwarzes Insekt ist zwischen ihnen und versucht zu entkommen: der Flieger. Er wird unsicher, geblendet und taumelt.
Wir rammen die Eisenpfahle in regelma?igen Abstanden fest. Immer zwei Mann halten eine Rolle, die andern spulen den Stacheldraht ab. Es ist der ekelhafte Draht mit den dichtstehenden, langen Stacheln. Ich bin das Abrollen nicht mehr gewohnt und rei?e mir die Hand auf.
Nach einigen Stunden sind wir fertig. Aber wir haben noch Zeit, bis die Lastwagen kommen. Die meisten von uns legen sich hin und schlafen. Ich versuche es auch. Doch es wird zu kuhl. Man merkt, da? wir nahe am Meere sind, man wacht vor Kalte immer wieder auf.
Einmal schlafe ich fest. Als ich plotzlich mit einem Ruck hochfliege, wei? ich nicht, wo ich bin. Ich sehe die Sterne, ich sehe die Raketen und habe einen Augenblick den Eindruck, auf einem Fest im Garten eingeschlafen zu sein. Ich wei? nicht, ob es Morgen oder Abend ist, ich liege in der bleichen Wiege der Dammerung und warte auf weiche Worte, die kommen mussen, weich und geborgen – weine ich? Ich fasse nach meinen Augen, es ist so wunderlich, bin ich ein Kind? Sanfte Haut; – nur eine Sekunde wahrt es, dann erkenne ich die Silhouette Katczinskys. Er sitzt ruhig, der alte Soldat, und raucht eine Pfeife, eine Deckelpfeife naturlich. Als er bemerkt, da? ich wach bin, sagt er nur:»Du bist schon zusammengefahren. Es war nur ein Zunder, er ist da ins Gebusch gesaust.«
Ich setze mich hoch, ich fuhle mich sonderbar allein. Es ist gut, da? Kat da ist. Er sieht gedankenvoll zur Front und sagt:»Ganz schones Feuerwerk, wenn’s nicht so gefahrlich ware.«
Hinter uns schlagt es ein. Ein paar Rekruten fahren erschreckt auf. Nach ein paar Minuten funkt es wieder heruber, naher als vorher. Kat klopft seine Pfeife aus. »Es gibt Zunder.«
Schon geht es los. Wir kriechen weg, so gut es in der Eile geht. Der nachste Schu? sitzt bereits zwischen uns. Ein paar Leute schreien. Am Horizont steigen grune Raketen auf. Der Dreck fliegt hoch, Splitter surren. Man hort sie noch aufklatschen, wenn der Larm der Einschlage langst wieder verstummt ist.
Neben uns liegt ein verangstigter Rekrut, ein Flachskopf. Er hat das Gesicht in die Hande gepre?t. Sein Helm ist weggepurzelt. Ich fische ihn heran und will ihn auf seinen Schadel stulpen. Er sieht auf, sto?t den Helm fort und kriecht wie ein Kind mit dem Kopf unter meinen Arm, dicht an meine Brust. Die schmalen Schultern zucken. Schultern, wie Kemmerich sie hatte. Ich lasse ihn gewahren. Damit der Helm aber wenigstens zu etwas nutze ist, packe ich ihn auf seinen Hintern, nicht aus Blodsinn, sondern aus Uberlegung, denn das ist der hochste Fleck. Wenn da zwar auch dickes Fleisch sitzt, Schusse hinein sind doch verflucht schmerzhaft, au?erdem mu? man monatelang im Lazarett auf dem Bauch liegen und nachher ziemlich sicher hinken.
Irgendwo hat es machtig eingehauen. Man hort Schreien zwischen den Einschlagen.
Endlich wird es ruhig. Das Feuer ist uber uns hinweggefegt und liegt nun auf den letzten Reservegraben. Wir riskieren einen Blick. Rote Raketen flattern am Himmel. Wahrscheinlich kommt ein Angriff.
Bei uns bleibt es ruhig. Ich setze mich auf und ruttele den Rekruten an der Schulter. »Vorbei, Kleiner! Ist noch mal gutgegangen.«
Er sieht sich verstort um. Ich rede ihm zu:»Wirst dich schon gewohnen.«
Er bemerkt seinen Helm und setzt ihn auf. Langsam kommt er zu sich. Plotzlich wird er feuerrot und hat ein verlegenes Aussehen. Vorsichtig langt er mit der Hand nach hinten und sieht mich gequalt an. Ich verstehe sofort: Kanonenfieber. Dazu hatte ich ihm eigentlich den Helm nicht gerade dorthingepackt – aber ich troste ihn doch:»Das ist keine Schande, es haben schon ganz andere Leute als du nach ihrem ersten Feueruberfall die Hosen voll gehabt. Geh hinter den Busch da und schmei? deine Unterhose weg. Erledigt -«
Er trollt sich. Es wird stiller, doch das Schreien hort nicht auf. »Was ist los, Albert?« frage ich.
»Druben haben ein paar Kolonnen Volltreffer gekriegt.«
Das Schreien dauert an. Es sind keine Menschen, sie konnen nicht so furchtbar schreien.
Kat sagt:»Verwundete Pferde.«
Ich habe noch nie Pferde schreien gehort und kann es kaum glauben. Es ist der Jammer der Welt, es ist die gemarterte Kreatur, ein wilder, grauenvoller Schmerz, der da stohnt. Wir sind bleich. Detering richtet sich auf. »Schinder, Schinder! Schie?t sie doch ab!«
Er ist Landwirt und mit Pferden vertraut. Es geht ihm nahe. Und als ware es Absicht, schweigt das Feuer jetzt beinahe. Um so deutlicher wird das Schreien der Tiere. Man wei? nicht mehr, woher es kommt in dieser jetzt so stillen, silbernen Landschaft, es ist unsichtbar, geisterhaft, uberall, zwischen Himmel und Erde, es schwillt unerme?lich an – Detering wird wutend und brullt:»Erschie?t sie, erschie?t sie doch, verflucht noch mal!«
»Sie mussen doch erst die Leute holen«, sagt Kat. Wir stehen auf und suchen, wo die Stelle ist. Wenn man die Tiere erblickt, wird es besser auszuhalten sein. Meyer hat ein Glas bei sich. Wir sehen eine dunkle Gruppe Sanitater mit Tragbahren und schwarze, gro?ere Klumpen, die sich bewegen. Das sind die verwundeten Pferde. Aber nicht alle. Einige galoppieren weiter entfernt, brechen nieder und rennen weiter. Einem ist der Bauch aufgerissen, die Gedarme hangen lang heraus. Es verwickelt sich darin und sturzt, doch es steht wieder auf.